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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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schleudert worden find. Aber unsere Forschungen sind schwerlich auch nur
durch die Oberfläche gedrungen. Derartige Beleuchtungen könnten fortgesetzt
werden, aber es ist bereits genug gesagt, um Jedem eine richtige Idee zu
geben von den enormen Betrügereien, die an der guten Stadt Neuyork von
ihren Vätern verübt worden sind."




Kerr Wilhelm Mstow.

"Caserta, den 20. September 1860. Riggozi: "Nun sind Sie doch wohl
froh, daß Sie Ihren Nüstow wieder haben?" Ronchetti: "Sehr froh, beson¬
ders seit ich gestern die Ehre und das Glück gehabt habe, an seiner Seite im
Feuer zu sein."" /

So endigt das von Rüstow selbst geschriebene Buch "Erinnerungen
aus dem italienischen Feldzuae !860", und demnach wird jedem Leser die¬
ses naiven Selbstlobes ohne Weiteres klar sein, daß übermäßige Bescheiden¬
heit Rüstow's Fehler nicht ist. Es mangelt sogar nicht an Stimmen, welche
auf Grund naher persönlicher Bekanntschaft von ihm behaupten, er setze sich
allen Ernstes Napoleon I. als Heerführer gleich, wodurch er dann auch mit
Alexander dem Großen, Cäsar und Dschingis-Khan rangiren würde. Wer
weiß! Es geht gewiß so mancher Schiller hinter'in Pfluge her, und so man¬
cher Rafael steht am Schraubstocke, warum sollte nicht ein Napoleon hinter
Büchern und Tintenfaß geblieben sein. Aber umsomehr muß ihn dann
mit Ansäuerlichkeit erfüllen, daß ein ungünstiges Schicksal ihn von dem
Platze, der ihm gebührte, entfernt gehalten hat. Ganz Deutschland muß das'
büßen. In seinem "Krieg um die Rheingrenze" antwortet Rüstow auf die
Anklage der Borliebe für die Franzosen also: "Meine Vorliebe für sie be-,
ruht zum großen Theile darauf , daß ich in ihnen einen tiefen sittlichen Faid
gefunden habe, in allen Classen. Ich will hier keine Vergleiche anstellen." --
Vorliebe setzt aber nothwendig Vergleiche voraus, So hat denn Rüstow die
deutsche Nation aus seiner Sittlichkeitswage gewogen, und gegen Frankreich
zu leicht befunden. Sehr schlimm für Deutschland!

Auch die deutsche Kriegsleitung hat unter seiner Stimmung zu leiten. --
"Wir waren in Metz noch im Juni 1870", schreibt er, und wir sind ganz
überzeugt, daß die Deutschen noch nach den großen Augustschlachten mit voller
Aussicht auf Erfolg einen Sturm auf die Kehle des Forts Plappeville unter¬
nehmen konnten. Gewiß hatten sie dabei keine großen Verluste. Metz ist
allerdings so wie so gefallen, allein wenn Plappeville etwa am 23. August
auf die von uns angedeutete Weise erobert wurde, so hätte Metz bald fallen
müssen, der Kampf nahm eine andere Wendung, und Gefahren, welche durch
den Ausgang, den er genommen, ganz Europa bedrohen, -- wir wiederholen
das Wort, welches täglich besser verstanden werden wird -- wären abgewen¬
det worden." -- Hier sieht man deutlich, welche Gefahren es für Europa
hatte, daß Moltke und nicht Rüstow an der Spitze des großen deutschen
Generalstabs stand. -- Da ging Rüstow bei seiner allereinzigsten Kriegsthat,
vor der Festung Capua 1860 (S. 290 seiner Erinnerungen aus dem ilalieni-


Grmzboten II. 1871. 60

schleudert worden find. Aber unsere Forschungen sind schwerlich auch nur
durch die Oberfläche gedrungen. Derartige Beleuchtungen könnten fortgesetzt
werden, aber es ist bereits genug gesagt, um Jedem eine richtige Idee zu
geben von den enormen Betrügereien, die an der guten Stadt Neuyork von
ihren Vätern verübt worden sind."




Kerr Wilhelm Mstow.

„Caserta, den 20. September 1860. Riggozi: „Nun sind Sie doch wohl
froh, daß Sie Ihren Nüstow wieder haben?" Ronchetti: „Sehr froh, beson¬
ders seit ich gestern die Ehre und das Glück gehabt habe, an seiner Seite im
Feuer zu sein."" /

So endigt das von Rüstow selbst geschriebene Buch „Erinnerungen
aus dem italienischen Feldzuae !860", und demnach wird jedem Leser die¬
ses naiven Selbstlobes ohne Weiteres klar sein, daß übermäßige Bescheiden¬
heit Rüstow's Fehler nicht ist. Es mangelt sogar nicht an Stimmen, welche
auf Grund naher persönlicher Bekanntschaft von ihm behaupten, er setze sich
allen Ernstes Napoleon I. als Heerführer gleich, wodurch er dann auch mit
Alexander dem Großen, Cäsar und Dschingis-Khan rangiren würde. Wer
weiß! Es geht gewiß so mancher Schiller hinter'in Pfluge her, und so man¬
cher Rafael steht am Schraubstocke, warum sollte nicht ein Napoleon hinter
Büchern und Tintenfaß geblieben sein. Aber umsomehr muß ihn dann
mit Ansäuerlichkeit erfüllen, daß ein ungünstiges Schicksal ihn von dem
Platze, der ihm gebührte, entfernt gehalten hat. Ganz Deutschland muß das'
büßen. In seinem „Krieg um die Rheingrenze" antwortet Rüstow auf die
Anklage der Borliebe für die Franzosen also: „Meine Vorliebe für sie be-,
ruht zum großen Theile darauf , daß ich in ihnen einen tiefen sittlichen Faid
gefunden habe, in allen Classen. Ich will hier keine Vergleiche anstellen." —
Vorliebe setzt aber nothwendig Vergleiche voraus, So hat denn Rüstow die
deutsche Nation aus seiner Sittlichkeitswage gewogen, und gegen Frankreich
zu leicht befunden. Sehr schlimm für Deutschland!

Auch die deutsche Kriegsleitung hat unter seiner Stimmung zu leiten. —
„Wir waren in Metz noch im Juni 1870", schreibt er, und wir sind ganz
überzeugt, daß die Deutschen noch nach den großen Augustschlachten mit voller
Aussicht auf Erfolg einen Sturm auf die Kehle des Forts Plappeville unter¬
nehmen konnten. Gewiß hatten sie dabei keine großen Verluste. Metz ist
allerdings so wie so gefallen, allein wenn Plappeville etwa am 23. August
auf die von uns angedeutete Weise erobert wurde, so hätte Metz bald fallen
müssen, der Kampf nahm eine andere Wendung, und Gefahren, welche durch
den Ausgang, den er genommen, ganz Europa bedrohen, — wir wiederholen
das Wort, welches täglich besser verstanden werden wird — wären abgewen¬
det worden." — Hier sieht man deutlich, welche Gefahren es für Europa
hatte, daß Moltke und nicht Rüstow an der Spitze des großen deutschen
Generalstabs stand. — Da ging Rüstow bei seiner allereinzigsten Kriegsthat,
vor der Festung Capua 1860 (S. 290 seiner Erinnerungen aus dem ilalieni-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/481>, abgerufen am 24.07.2024.