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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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noch ziemlich räthselhaften Fuccio. Derselbe ist ein seltnes Beispiel für den
Uebergang des italisch-antikisirenden Stils (wir vermeiden den vagen Aus¬
druck romanisch) in den italisch-gothischen Stil, muß also etwa aus der
Mitte des 13. Jahrhunderts stammen. Denn wennauch die gothische Archi¬
tektur in der Unterkirche schon vom Anfang des 13- Jahrhunderts stammt,
so ging in die decorative Sculptur der gothische Stil doch erst einige
Zeit später über, da ja Niccolo Pisano noch in der 2. Hälfte desselben, und
einige seiner Schüler, wie Tino ti Camaino, gar noch im Anfang des 14.
Jahrhunderts den klassischen Formen der Tradition treu blieben. Genug,
fünf Stufen von rothem Marmor von Assisi führen zu dem Thron hinauf,
dessen Postament und Sitz antike Gliederung und Profilirung zeigen. Die
Armlehnen bilden zwei stehende Löwen, die Rücklehne läuft in einen Spitz¬
bogen aus, dessen Krabben aus Voluten gebildet sind. Ueber dem Thron
erhebt sich auf zwei korinthischen, glatten Säulchen von demselben rothen
Marmor und mit vergoldeten Capitälen, sowie auf zwei Wandconsolen ein
Schutzdach mit antikisirendem Gebälk und spitzem Giebel aus weißem Marmor,
dessen Giebelfeld kleeblattförmig ausgeschnitten ist. Auch diese auf Säulen
ruhenden Baldachine, die sich, mit Variationen, durch den ganzen italisch-go¬
thischen Stil durch wiederholen, sind kein germanisch-gothisches, sondern ein
italisch-antikisirendes, und schließlich antikes Motiv. -- Erwähnung
verdient schließlich auch noch eine hübsche, kleine, reichsculpirte gothische Kanzel am
letzten Pfeiler des Langschiffes links. Sechs Wandsäulchen gliedern dieselbe
und dazwischen befinden sich, allerdings ziemlich roh, fünf Figürchen in Taber¬
nakeln. Außer an den Pfeiler augemauert zu sein, ruht die Kanzel noch auf
einer Art Stele. °

Um uns den Eindruck nicht zu verderben, gingen wir nicht die innere
Treppe zur Unterkirche hinab, sondern machten lieber den Umweg außen
herum, um auf regelrechtem Wege durch das schöne Portal einzutreten, wel¬
ches gothischen Stils, jedoch mit einem Renaissaneevorbau versehen ist. Ebenso
sind die Holzthüren mit guten, ornamentalen Schnitzereien der Renaissance
versehen. Ueber der Thüre ziehen drei brillante und höchst harmonische Ro¬
setten die Blicke des Kunstliebhabers auf sich, sobald er in das Innere ein¬
getreten, und noch ehe er sich Rechenschaft von der mystischen Wirkung der
halbdunkeln Kirche selbst gegeben. Die Hauptfarben der mittleren größten
sind, vom Centrum nach der Peripherie- Blau, Grün, Weiß, Gelb, Car-
moisin. In den beiden kleinern halten sich Weiß, Roth, Blau, Gelb das
Gleichgewicht. -- Noch hat der Beschauer den eigentlichen Langraum der Kirche
nicht erblickt, sondern ahnt ihn nur in dem Dunkel, das ihm links entgegen¬
starrt. Er befindet sich noch in dem ziemlich breiten Corridor, der von der
Thüre aus rechtwinklig auf den untern Theil des linken Seitenschiffes stößt.


noch ziemlich räthselhaften Fuccio. Derselbe ist ein seltnes Beispiel für den
Uebergang des italisch-antikisirenden Stils (wir vermeiden den vagen Aus¬
druck romanisch) in den italisch-gothischen Stil, muß also etwa aus der
Mitte des 13. Jahrhunderts stammen. Denn wennauch die gothische Archi¬
tektur in der Unterkirche schon vom Anfang des 13- Jahrhunderts stammt,
so ging in die decorative Sculptur der gothische Stil doch erst einige
Zeit später über, da ja Niccolo Pisano noch in der 2. Hälfte desselben, und
einige seiner Schüler, wie Tino ti Camaino, gar noch im Anfang des 14.
Jahrhunderts den klassischen Formen der Tradition treu blieben. Genug,
fünf Stufen von rothem Marmor von Assisi führen zu dem Thron hinauf,
dessen Postament und Sitz antike Gliederung und Profilirung zeigen. Die
Armlehnen bilden zwei stehende Löwen, die Rücklehne läuft in einen Spitz¬
bogen aus, dessen Krabben aus Voluten gebildet sind. Ueber dem Thron
erhebt sich auf zwei korinthischen, glatten Säulchen von demselben rothen
Marmor und mit vergoldeten Capitälen, sowie auf zwei Wandconsolen ein
Schutzdach mit antikisirendem Gebälk und spitzem Giebel aus weißem Marmor,
dessen Giebelfeld kleeblattförmig ausgeschnitten ist. Auch diese auf Säulen
ruhenden Baldachine, die sich, mit Variationen, durch den ganzen italisch-go¬
thischen Stil durch wiederholen, sind kein germanisch-gothisches, sondern ein
italisch-antikisirendes, und schließlich antikes Motiv. — Erwähnung
verdient schließlich auch noch eine hübsche, kleine, reichsculpirte gothische Kanzel am
letzten Pfeiler des Langschiffes links. Sechs Wandsäulchen gliedern dieselbe
und dazwischen befinden sich, allerdings ziemlich roh, fünf Figürchen in Taber¬
nakeln. Außer an den Pfeiler augemauert zu sein, ruht die Kanzel noch auf
einer Art Stele. °

Um uns den Eindruck nicht zu verderben, gingen wir nicht die innere
Treppe zur Unterkirche hinab, sondern machten lieber den Umweg außen
herum, um auf regelrechtem Wege durch das schöne Portal einzutreten, wel¬
ches gothischen Stils, jedoch mit einem Renaissaneevorbau versehen ist. Ebenso
sind die Holzthüren mit guten, ornamentalen Schnitzereien der Renaissance
versehen. Ueber der Thüre ziehen drei brillante und höchst harmonische Ro¬
setten die Blicke des Kunstliebhabers auf sich, sobald er in das Innere ein¬
getreten, und noch ehe er sich Rechenschaft von der mystischen Wirkung der
halbdunkeln Kirche selbst gegeben. Die Hauptfarben der mittleren größten
sind, vom Centrum nach der Peripherie- Blau, Grün, Weiß, Gelb, Car-
moisin. In den beiden kleinern halten sich Weiß, Roth, Blau, Gelb das
Gleichgewicht. — Noch hat der Beschauer den eigentlichen Langraum der Kirche
nicht erblickt, sondern ahnt ihn nur in dem Dunkel, das ihm links entgegen¬
starrt. Er befindet sich noch in dem ziemlich breiten Corridor, der von der
Thüre aus rechtwinklig auf den untern Theil des linken Seitenschiffes stößt.


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[0472] noch ziemlich räthselhaften Fuccio. Derselbe ist ein seltnes Beispiel für den Uebergang des italisch-antikisirenden Stils (wir vermeiden den vagen Aus¬ druck romanisch) in den italisch-gothischen Stil, muß also etwa aus der Mitte des 13. Jahrhunderts stammen. Denn wennauch die gothische Archi¬ tektur in der Unterkirche schon vom Anfang des 13- Jahrhunderts stammt, so ging in die decorative Sculptur der gothische Stil doch erst einige Zeit später über, da ja Niccolo Pisano noch in der 2. Hälfte desselben, und einige seiner Schüler, wie Tino ti Camaino, gar noch im Anfang des 14. Jahrhunderts den klassischen Formen der Tradition treu blieben. Genug, fünf Stufen von rothem Marmor von Assisi führen zu dem Thron hinauf, dessen Postament und Sitz antike Gliederung und Profilirung zeigen. Die Armlehnen bilden zwei stehende Löwen, die Rücklehne läuft in einen Spitz¬ bogen aus, dessen Krabben aus Voluten gebildet sind. Ueber dem Thron erhebt sich auf zwei korinthischen, glatten Säulchen von demselben rothen Marmor und mit vergoldeten Capitälen, sowie auf zwei Wandconsolen ein Schutzdach mit antikisirendem Gebälk und spitzem Giebel aus weißem Marmor, dessen Giebelfeld kleeblattförmig ausgeschnitten ist. Auch diese auf Säulen ruhenden Baldachine, die sich, mit Variationen, durch den ganzen italisch-go¬ thischen Stil durch wiederholen, sind kein germanisch-gothisches, sondern ein italisch-antikisirendes, und schließlich antikes Motiv. — Erwähnung verdient schließlich auch noch eine hübsche, kleine, reichsculpirte gothische Kanzel am letzten Pfeiler des Langschiffes links. Sechs Wandsäulchen gliedern dieselbe und dazwischen befinden sich, allerdings ziemlich roh, fünf Figürchen in Taber¬ nakeln. Außer an den Pfeiler augemauert zu sein, ruht die Kanzel noch auf einer Art Stele. ° Um uns den Eindruck nicht zu verderben, gingen wir nicht die innere Treppe zur Unterkirche hinab, sondern machten lieber den Umweg außen herum, um auf regelrechtem Wege durch das schöne Portal einzutreten, wel¬ ches gothischen Stils, jedoch mit einem Renaissaneevorbau versehen ist. Ebenso sind die Holzthüren mit guten, ornamentalen Schnitzereien der Renaissance versehen. Ueber der Thüre ziehen drei brillante und höchst harmonische Ro¬ setten die Blicke des Kunstliebhabers auf sich, sobald er in das Innere ein¬ getreten, und noch ehe er sich Rechenschaft von der mystischen Wirkung der halbdunkeln Kirche selbst gegeben. Die Hauptfarben der mittleren größten sind, vom Centrum nach der Peripherie- Blau, Grün, Weiß, Gelb, Car- moisin. In den beiden kleinern halten sich Weiß, Roth, Blau, Gelb das Gleichgewicht. — Noch hat der Beschauer den eigentlichen Langraum der Kirche nicht erblickt, sondern ahnt ihn nur in dem Dunkel, das ihm links entgegen¬ starrt. Er befindet sich noch in dem ziemlich breiten Corridor, der von der Thüre aus rechtwinklig auf den untern Theil des linken Seitenschiffes stößt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/472>, abgerufen am 25.07.2024.