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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Mauern an, wo wir von einer herrlichen Plattform, belebt von mancherlei
malerischen Volksgruppen, noch einen Blick zurück aus die stille, heitere Land¬
schaft mit Oliven und Cypressen, ein rechtes Bild des Friedens, werfen. Wir
können bei der Betrachtung dieses unversehrten glücklichen Erdwinkels uns
eines wehmüthigen Gefühls nicht erwehren; denn eben vielleicht messen sich
deutsche Krieger mit den Franzosen.

Wir biegen durch den hohen Thorbogen in die dunklere Stadt und neue,
ganz seltsame Eindrücke empfangen uns. Das Mittelalter ist hier, in seinen
Bauten, wie in dem naiven Wesen der Bewohner, noch unberührt, aber
allerdings in etwelchem Verfall erhalten worden. Die ausgedehnte und ehe¬
mals volkreiche Stadt birgt jetzt verhältnißmäßig nur wenige, etwa 6000,
Bewohner in sich, und geht immer mehr einem dorfartigen Dasein entgegen,
weil sie zu unbequem für den modernen Verkehr auf der Höhe liegt, und
heutzutage nicht die Sitte frommer Pilgerfahrten in dem Maße mehr herrscht,
wie sie im Mittelalter diese Stadt in's Leben zu rufen im Stande war. --
Aber wo sollen wir den Blick zuerst hinwenden, um all die für den Maler
wie mit Absicht geschaffenen Winkel, Thorwege, alten Häuschen mit Fenstern
verschiedenen Stiles, mit Loggien, gothischen Bogen, Renaissancethüren, die
schmalen steilen Seitenstraßen mit scharfem Licht und Schatten, zerfallenen
Mauern und Schlingpflanzen, -- um all' diesen anmuthigen, sonnigen Schmutz
und Verfall, wo sich die freundlichen, hübschen Leute, Hunde, Katzen und
Hühner so behaglich eingenistet, ganz in uns aufzunehmen und zu genießen.
Man muß ordentlich lachen und glaubt es kaum, wie der liebe Gott in so
reicher Fülle Studien sür Architekturgenremaler an einem Punkte hat ver¬
einigen können! Und dennoch ist keine eigentliche Unredlichkeit, wenigstens
in den bewohnten Straßen, zu sehen, wie etwa in Palestrina, wo die Schweine
Herren sind; die Straßen sind gefegt und die Leute sauber. Wir stiegen bei
Stoppini im Leone ab, einem alten hübschen Barokpalast, dessen elegantes
Innere uns fast erschreckte. Wir erfuhren jedoch bald, daß man nicht nur,
entgegen Bädeker's Aussage, in schönen großen Betten dort übernachten kann,
sondern auch bei dem biedern, kräftigen Besitzer, mit seinen drei hübschen,
schüchternen Töchtern, eine so familiäre und uneigennützige Behandlung er¬
fährt, daß man sich nur schwer von dieser neuen Heimath trennt. Ja, alle
diese mittelitalienischen Bergstädtchen üben eine so sanfte, versöhnende An¬
ziehung auf dieses mit Dampf gehetzte Herz des modernen Menschen aus. daß
man fast die Mönche für die' vernünftigsten Leute halten möchte, die auf
solchen schönen Bergen ihr Leben in stiller Beschaulichkeit verbringen.

Für die Kirche S. Francesco wollten wir einen ganzen Tag uns vor¬
behalten, und durchschweiften daher nur die Stadt, um die andern, schneller
genossenen Sehenswürdigkeiten anzusehen. -- S. Rufino, die Kathedrale, hat


Mauern an, wo wir von einer herrlichen Plattform, belebt von mancherlei
malerischen Volksgruppen, noch einen Blick zurück aus die stille, heitere Land¬
schaft mit Oliven und Cypressen, ein rechtes Bild des Friedens, werfen. Wir
können bei der Betrachtung dieses unversehrten glücklichen Erdwinkels uns
eines wehmüthigen Gefühls nicht erwehren; denn eben vielleicht messen sich
deutsche Krieger mit den Franzosen.

Wir biegen durch den hohen Thorbogen in die dunklere Stadt und neue,
ganz seltsame Eindrücke empfangen uns. Das Mittelalter ist hier, in seinen
Bauten, wie in dem naiven Wesen der Bewohner, noch unberührt, aber
allerdings in etwelchem Verfall erhalten worden. Die ausgedehnte und ehe¬
mals volkreiche Stadt birgt jetzt verhältnißmäßig nur wenige, etwa 6000,
Bewohner in sich, und geht immer mehr einem dorfartigen Dasein entgegen,
weil sie zu unbequem für den modernen Verkehr auf der Höhe liegt, und
heutzutage nicht die Sitte frommer Pilgerfahrten in dem Maße mehr herrscht,
wie sie im Mittelalter diese Stadt in's Leben zu rufen im Stande war. —
Aber wo sollen wir den Blick zuerst hinwenden, um all die für den Maler
wie mit Absicht geschaffenen Winkel, Thorwege, alten Häuschen mit Fenstern
verschiedenen Stiles, mit Loggien, gothischen Bogen, Renaissancethüren, die
schmalen steilen Seitenstraßen mit scharfem Licht und Schatten, zerfallenen
Mauern und Schlingpflanzen, — um all' diesen anmuthigen, sonnigen Schmutz
und Verfall, wo sich die freundlichen, hübschen Leute, Hunde, Katzen und
Hühner so behaglich eingenistet, ganz in uns aufzunehmen und zu genießen.
Man muß ordentlich lachen und glaubt es kaum, wie der liebe Gott in so
reicher Fülle Studien sür Architekturgenremaler an einem Punkte hat ver¬
einigen können! Und dennoch ist keine eigentliche Unredlichkeit, wenigstens
in den bewohnten Straßen, zu sehen, wie etwa in Palestrina, wo die Schweine
Herren sind; die Straßen sind gefegt und die Leute sauber. Wir stiegen bei
Stoppini im Leone ab, einem alten hübschen Barokpalast, dessen elegantes
Innere uns fast erschreckte. Wir erfuhren jedoch bald, daß man nicht nur,
entgegen Bädeker's Aussage, in schönen großen Betten dort übernachten kann,
sondern auch bei dem biedern, kräftigen Besitzer, mit seinen drei hübschen,
schüchternen Töchtern, eine so familiäre und uneigennützige Behandlung er¬
fährt, daß man sich nur schwer von dieser neuen Heimath trennt. Ja, alle
diese mittelitalienischen Bergstädtchen üben eine so sanfte, versöhnende An¬
ziehung auf dieses mit Dampf gehetzte Herz des modernen Menschen aus. daß
man fast die Mönche für die' vernünftigsten Leute halten möchte, die auf
solchen schönen Bergen ihr Leben in stiller Beschaulichkeit verbringen.

Für die Kirche S. Francesco wollten wir einen ganzen Tag uns vor¬
behalten, und durchschweiften daher nur die Stadt, um die andern, schneller
genossenen Sehenswürdigkeiten anzusehen. — S. Rufino, die Kathedrale, hat


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[0468] Mauern an, wo wir von einer herrlichen Plattform, belebt von mancherlei malerischen Volksgruppen, noch einen Blick zurück aus die stille, heitere Land¬ schaft mit Oliven und Cypressen, ein rechtes Bild des Friedens, werfen. Wir können bei der Betrachtung dieses unversehrten glücklichen Erdwinkels uns eines wehmüthigen Gefühls nicht erwehren; denn eben vielleicht messen sich deutsche Krieger mit den Franzosen. Wir biegen durch den hohen Thorbogen in die dunklere Stadt und neue, ganz seltsame Eindrücke empfangen uns. Das Mittelalter ist hier, in seinen Bauten, wie in dem naiven Wesen der Bewohner, noch unberührt, aber allerdings in etwelchem Verfall erhalten worden. Die ausgedehnte und ehe¬ mals volkreiche Stadt birgt jetzt verhältnißmäßig nur wenige, etwa 6000, Bewohner in sich, und geht immer mehr einem dorfartigen Dasein entgegen, weil sie zu unbequem für den modernen Verkehr auf der Höhe liegt, und heutzutage nicht die Sitte frommer Pilgerfahrten in dem Maße mehr herrscht, wie sie im Mittelalter diese Stadt in's Leben zu rufen im Stande war. — Aber wo sollen wir den Blick zuerst hinwenden, um all die für den Maler wie mit Absicht geschaffenen Winkel, Thorwege, alten Häuschen mit Fenstern verschiedenen Stiles, mit Loggien, gothischen Bogen, Renaissancethüren, die schmalen steilen Seitenstraßen mit scharfem Licht und Schatten, zerfallenen Mauern und Schlingpflanzen, — um all' diesen anmuthigen, sonnigen Schmutz und Verfall, wo sich die freundlichen, hübschen Leute, Hunde, Katzen und Hühner so behaglich eingenistet, ganz in uns aufzunehmen und zu genießen. Man muß ordentlich lachen und glaubt es kaum, wie der liebe Gott in so reicher Fülle Studien sür Architekturgenremaler an einem Punkte hat ver¬ einigen können! Und dennoch ist keine eigentliche Unredlichkeit, wenigstens in den bewohnten Straßen, zu sehen, wie etwa in Palestrina, wo die Schweine Herren sind; die Straßen sind gefegt und die Leute sauber. Wir stiegen bei Stoppini im Leone ab, einem alten hübschen Barokpalast, dessen elegantes Innere uns fast erschreckte. Wir erfuhren jedoch bald, daß man nicht nur, entgegen Bädeker's Aussage, in schönen großen Betten dort übernachten kann, sondern auch bei dem biedern, kräftigen Besitzer, mit seinen drei hübschen, schüchternen Töchtern, eine so familiäre und uneigennützige Behandlung er¬ fährt, daß man sich nur schwer von dieser neuen Heimath trennt. Ja, alle diese mittelitalienischen Bergstädtchen üben eine so sanfte, versöhnende An¬ ziehung auf dieses mit Dampf gehetzte Herz des modernen Menschen aus. daß man fast die Mönche für die' vernünftigsten Leute halten möchte, die auf solchen schönen Bergen ihr Leben in stiller Beschaulichkeit verbringen. Für die Kirche S. Francesco wollten wir einen ganzen Tag uns vor¬ behalten, und durchschweiften daher nur die Stadt, um die andern, schneller genossenen Sehenswürdigkeiten anzusehen. — S. Rufino, die Kathedrale, hat

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/468>, abgerufen am 24.07.2024.