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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Räume des Unterhauses Kopf an Kopf besetzt, alles war gespannt auf die
neue Vorlage. Statt Lowes erhob sich der Premier und erklärte: Das Mi¬
nisterium habe das ganze Budget einer völligen Prüfung unterworfen und
dabei die verschiedenen Angriffe möglichst berücksichtigt, die mitunter nur durch
zufällige Bündnisse unter sich feindlicher Parteien ihre Stärke erhalten hätten.
Die Regierung habe beschlossen, auch den Antrag über die Erhöhung der
Erbschaftssteuer zurückzuziehen. Den Ersatz solle das einfachste Mittel bilden,
die Steigerung der Einkommensteuer um 2 Pence statt um 1^ Penny.

Aber weder Disraeli noch ein anderer der Redner war mit diesem Aus'
kunftsmittel einverstanden; man war unzufrieden mit der Beibehaltung des
hohen Ausgabe-Budgets, und mehrere Mitglieder kündigten Resolutionen
gegen die Erhöhung der Einkommensteuer an. Die Verlegenheit im Cabinet
war groß und der Hauptgegner desselben, Mr. Disraeli, der gegenwärtig zwar
nicht den Sturz, aber wenigstens eine Demüthigung herbeizuführen suchte,
war in besonders guter Laune, die er auch bei Gelegenheit der Eröffnung
der Industrie-Ausstellung am 1. Mai an den Tag legen konnte. An diesem
Tage stand die Entscheidung über vier Anträge gegen das Cabinet bevor; vor
allen war der von W. H. Smith, dem konservativen Mitgliede von West-
minster, auf die Tagesordnung gestellt. Die Regierung hatte beschlossen, alle
zu bekämpfen. Beide Parteien sahen sehr wohl ein, daß Disraeli. selbst
wenn das gegenwärtige Cabinet nicht die Majorität erhielte, nicht im Stande
sein würde, mit den Tories die Regierung zu übernehmen. Aber die Partei
rieb sich doch die Hände, wenn sie die Majorität von der Höhe, auf die sie
sich durch einige glückliche Budgets gehoben hatte, jetzt immer mehr herab"
sinken sah.

Mr. Smith erklärte in seiner Motion die Erhöhung der Einkommensteuer
für inopportun und ungerechtfertigt, da sie namentlich die ärmeren Klassen
treffen würde. Zuerst antwortete ihm im Namen der Regierung der Präsi¬
dent des Armenamtes, der früher beim Schatzamte thätig gewesene Stansfield.
mit einer Anspielung auf die Absicht des Ministeriums, aus der Sache eine
Cabinetsfrage zu machen. Ferner griff er zu dem Auskunftsmittel, den in
der Hauptsache vorübergehenden Charakter der Mehrbelastung des Militär¬
etats darzulegen. Die weitere Erhöhung der Einkommensteuer vertheidigte
Stansfield durch den Hinweis auf die Gefahren für die Staatsschuldentilgung,
welche entstehen müßten, wenn man einmal zu dem Mittel greifen wollte,
die Suspendirung der terminablen Leibrenten eintreten zu lassen. Hierauf er¬
klärte der Premier selbst, daß er allerdings auf sein Verbleiben im Amte
großen Werth lege, indeß würde es ihm für seinen Sturz ein Trost sein,
wenn er hoffen dürfe, daß seine Nachfolger eine sparsamere Amtsverwaltung
führen würden. Den Plan, die terminablen Leibrenten zu suspendiren, um


Räume des Unterhauses Kopf an Kopf besetzt, alles war gespannt auf die
neue Vorlage. Statt Lowes erhob sich der Premier und erklärte: Das Mi¬
nisterium habe das ganze Budget einer völligen Prüfung unterworfen und
dabei die verschiedenen Angriffe möglichst berücksichtigt, die mitunter nur durch
zufällige Bündnisse unter sich feindlicher Parteien ihre Stärke erhalten hätten.
Die Regierung habe beschlossen, auch den Antrag über die Erhöhung der
Erbschaftssteuer zurückzuziehen. Den Ersatz solle das einfachste Mittel bilden,
die Steigerung der Einkommensteuer um 2 Pence statt um 1^ Penny.

Aber weder Disraeli noch ein anderer der Redner war mit diesem Aus'
kunftsmittel einverstanden; man war unzufrieden mit der Beibehaltung des
hohen Ausgabe-Budgets, und mehrere Mitglieder kündigten Resolutionen
gegen die Erhöhung der Einkommensteuer an. Die Verlegenheit im Cabinet
war groß und der Hauptgegner desselben, Mr. Disraeli, der gegenwärtig zwar
nicht den Sturz, aber wenigstens eine Demüthigung herbeizuführen suchte,
war in besonders guter Laune, die er auch bei Gelegenheit der Eröffnung
der Industrie-Ausstellung am 1. Mai an den Tag legen konnte. An diesem
Tage stand die Entscheidung über vier Anträge gegen das Cabinet bevor; vor
allen war der von W. H. Smith, dem konservativen Mitgliede von West-
minster, auf die Tagesordnung gestellt. Die Regierung hatte beschlossen, alle
zu bekämpfen. Beide Parteien sahen sehr wohl ein, daß Disraeli. selbst
wenn das gegenwärtige Cabinet nicht die Majorität erhielte, nicht im Stande
sein würde, mit den Tories die Regierung zu übernehmen. Aber die Partei
rieb sich doch die Hände, wenn sie die Majorität von der Höhe, auf die sie
sich durch einige glückliche Budgets gehoben hatte, jetzt immer mehr herab»
sinken sah.

Mr. Smith erklärte in seiner Motion die Erhöhung der Einkommensteuer
für inopportun und ungerechtfertigt, da sie namentlich die ärmeren Klassen
treffen würde. Zuerst antwortete ihm im Namen der Regierung der Präsi¬
dent des Armenamtes, der früher beim Schatzamte thätig gewesene Stansfield.
mit einer Anspielung auf die Absicht des Ministeriums, aus der Sache eine
Cabinetsfrage zu machen. Ferner griff er zu dem Auskunftsmittel, den in
der Hauptsache vorübergehenden Charakter der Mehrbelastung des Militär¬
etats darzulegen. Die weitere Erhöhung der Einkommensteuer vertheidigte
Stansfield durch den Hinweis auf die Gefahren für die Staatsschuldentilgung,
welche entstehen müßten, wenn man einmal zu dem Mittel greifen wollte,
die Suspendirung der terminablen Leibrenten eintreten zu lassen. Hierauf er¬
klärte der Premier selbst, daß er allerdings auf sein Verbleiben im Amte
großen Werth lege, indeß würde es ihm für seinen Sturz ein Trost sein,
wenn er hoffen dürfe, daß seine Nachfolger eine sparsamere Amtsverwaltung
führen würden. Den Plan, die terminablen Leibrenten zu suspendiren, um


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[0464] Räume des Unterhauses Kopf an Kopf besetzt, alles war gespannt auf die neue Vorlage. Statt Lowes erhob sich der Premier und erklärte: Das Mi¬ nisterium habe das ganze Budget einer völligen Prüfung unterworfen und dabei die verschiedenen Angriffe möglichst berücksichtigt, die mitunter nur durch zufällige Bündnisse unter sich feindlicher Parteien ihre Stärke erhalten hätten. Die Regierung habe beschlossen, auch den Antrag über die Erhöhung der Erbschaftssteuer zurückzuziehen. Den Ersatz solle das einfachste Mittel bilden, die Steigerung der Einkommensteuer um 2 Pence statt um 1^ Penny. Aber weder Disraeli noch ein anderer der Redner war mit diesem Aus' kunftsmittel einverstanden; man war unzufrieden mit der Beibehaltung des hohen Ausgabe-Budgets, und mehrere Mitglieder kündigten Resolutionen gegen die Erhöhung der Einkommensteuer an. Die Verlegenheit im Cabinet war groß und der Hauptgegner desselben, Mr. Disraeli, der gegenwärtig zwar nicht den Sturz, aber wenigstens eine Demüthigung herbeizuführen suchte, war in besonders guter Laune, die er auch bei Gelegenheit der Eröffnung der Industrie-Ausstellung am 1. Mai an den Tag legen konnte. An diesem Tage stand die Entscheidung über vier Anträge gegen das Cabinet bevor; vor allen war der von W. H. Smith, dem konservativen Mitgliede von West- minster, auf die Tagesordnung gestellt. Die Regierung hatte beschlossen, alle zu bekämpfen. Beide Parteien sahen sehr wohl ein, daß Disraeli. selbst wenn das gegenwärtige Cabinet nicht die Majorität erhielte, nicht im Stande sein würde, mit den Tories die Regierung zu übernehmen. Aber die Partei rieb sich doch die Hände, wenn sie die Majorität von der Höhe, auf die sie sich durch einige glückliche Budgets gehoben hatte, jetzt immer mehr herab» sinken sah. Mr. Smith erklärte in seiner Motion die Erhöhung der Einkommensteuer für inopportun und ungerechtfertigt, da sie namentlich die ärmeren Klassen treffen würde. Zuerst antwortete ihm im Namen der Regierung der Präsi¬ dent des Armenamtes, der früher beim Schatzamte thätig gewesene Stansfield. mit einer Anspielung auf die Absicht des Ministeriums, aus der Sache eine Cabinetsfrage zu machen. Ferner griff er zu dem Auskunftsmittel, den in der Hauptsache vorübergehenden Charakter der Mehrbelastung des Militär¬ etats darzulegen. Die weitere Erhöhung der Einkommensteuer vertheidigte Stansfield durch den Hinweis auf die Gefahren für die Staatsschuldentilgung, welche entstehen müßten, wenn man einmal zu dem Mittel greifen wollte, die Suspendirung der terminablen Leibrenten eintreten zu lassen. Hierauf er¬ klärte der Premier selbst, daß er allerdings auf sein Verbleiben im Amte großen Werth lege, indeß würde es ihm für seinen Sturz ein Trost sein, wenn er hoffen dürfe, daß seine Nachfolger eine sparsamere Amtsverwaltung führen würden. Den Plan, die terminablen Leibrenten zu suspendiren, um

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/464>, abgerufen am 25.07.2024.