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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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bewegen, während das Haus bereits eine starke Erhöhung beschlossen'habe.
Wenn auch von Seiten des Mr. White und seiner Freunde, sei doch von der
Seite der Conservativen, welche ja fortwährend die Vermehrung der Verthei¬
digungsanstalten des Landes verlangt hätten, nicht begreiflich, daß sie diesen
Antrag unterstützten. Die Einwendungen gegen die neue Steuer seien gegen
jede Steuer anwendbar; es genüge nicht zu beweisen, daß eine Steuer schlecht
sei, sondern man müsse auch etwas Besseres an deren Stelle setzen können.
Die Gegner verwahrten sich sämmtlich gegen den Verdacht, aus Parteimoti¬
ven zu sprechen. Disraeli erklärte, das Haus würde es im Ganzen mit einem
Deficit von 5 Millionen zu thun haben, welchem zu begegnen, der vorge¬
schlagene Weg nicht geeignet wäre. Die Zündhölzchensteuer sei eine höchst
unbesonnene Idee, und die Abänderungen in den übrigen Steuern ließen sich
ebenso wenig rechtfertigen. Er hoffe, die Regierung werde es nicht zur Ab¬
stimmung kommen lassen, sondern in Berücksichtigung der Vorstellungen ihrer
eigenen Anhänger nachgeben oder das Budget vertagen, und sie könne ver¬
sichert sein, daß die Opposition in kein Triumphgeschrei ausbrechen werde.
Es sei eine alte Regel, daß wegen Meinungsverschiedenheiten über finanzielle
Vorlagen die Regierung nicht zurückzutreten brauche, und Mr. Gladstone
werde wohl nicht so thöricht sein, zu dieser Zeit des Jahres eine Minister-
Krisis und eine Schein-Resignation in Scene zu setzen. Gladstone erwiderte
darauf, es gäbe kein Beispiel, daß ein Budget zurückgenommen und radical
umgeformt worden sei. Die Resolution sei so schlau abgefaßt, daß sich leider
die entgegengesetzten Parteien zu ihrer Unterstützung entschließen könnten, und
dennoch habe sich das Haus gegen die Forderung Lindsays und Anderer ent¬
schieden, man solle keine Erhöhung der Steuern zugeben.

Bei der Abstimmung wurde die Resolution mit 257 gegen 230 Stimmen
abgelehnt, das Ministerium hatte also nur noch die geringe Majorität von
27 Stimmen zu seinen Gunsten erlangt. Einen eigenthümlichen und für das
Ministerium durchaus nicht günstigen Eindruck machte, daß während der
Sitzung am Themseufer eine die Zugänge zum Parlamentshause bewachende
Polizeimannschaft versammelt war, als wenn, wie die Times sagte,
Westminster Hall in Gefahr wäre, von einer Commune Londons genom¬
men zu werden; dies sei eine Schaustellung von Stärke gewesen, welche
sehr nach der Verwirrung der Schwäche aussah.

Als am nächsten Tage Mr. Disraeli eine neue Resolution gegen die
Finanzvorschläge ankündigte, erklärte endlich der Schatzkanzler Mr. Löwe, daß
die Regierung Angesichts des Mißfallens, welches die Zündhölzchensteuer viel¬
fach erregt habe, sich zur Zurückziehung derselben entschlossen, sie beharre aber
auf den übrigen Vorlagen; wodurch Ersatz geschaffen werden solle, darüber
werde sie nach zwei Tagen Vorschläge machen. Am 27. April waren die


bewegen, während das Haus bereits eine starke Erhöhung beschlossen'habe.
Wenn auch von Seiten des Mr. White und seiner Freunde, sei doch von der
Seite der Conservativen, welche ja fortwährend die Vermehrung der Verthei¬
digungsanstalten des Landes verlangt hätten, nicht begreiflich, daß sie diesen
Antrag unterstützten. Die Einwendungen gegen die neue Steuer seien gegen
jede Steuer anwendbar; es genüge nicht zu beweisen, daß eine Steuer schlecht
sei, sondern man müsse auch etwas Besseres an deren Stelle setzen können.
Die Gegner verwahrten sich sämmtlich gegen den Verdacht, aus Parteimoti¬
ven zu sprechen. Disraeli erklärte, das Haus würde es im Ganzen mit einem
Deficit von 5 Millionen zu thun haben, welchem zu begegnen, der vorge¬
schlagene Weg nicht geeignet wäre. Die Zündhölzchensteuer sei eine höchst
unbesonnene Idee, und die Abänderungen in den übrigen Steuern ließen sich
ebenso wenig rechtfertigen. Er hoffe, die Regierung werde es nicht zur Ab¬
stimmung kommen lassen, sondern in Berücksichtigung der Vorstellungen ihrer
eigenen Anhänger nachgeben oder das Budget vertagen, und sie könne ver¬
sichert sein, daß die Opposition in kein Triumphgeschrei ausbrechen werde.
Es sei eine alte Regel, daß wegen Meinungsverschiedenheiten über finanzielle
Vorlagen die Regierung nicht zurückzutreten brauche, und Mr. Gladstone
werde wohl nicht so thöricht sein, zu dieser Zeit des Jahres eine Minister-
Krisis und eine Schein-Resignation in Scene zu setzen. Gladstone erwiderte
darauf, es gäbe kein Beispiel, daß ein Budget zurückgenommen und radical
umgeformt worden sei. Die Resolution sei so schlau abgefaßt, daß sich leider
die entgegengesetzten Parteien zu ihrer Unterstützung entschließen könnten, und
dennoch habe sich das Haus gegen die Forderung Lindsays und Anderer ent¬
schieden, man solle keine Erhöhung der Steuern zugeben.

Bei der Abstimmung wurde die Resolution mit 257 gegen 230 Stimmen
abgelehnt, das Ministerium hatte also nur noch die geringe Majorität von
27 Stimmen zu seinen Gunsten erlangt. Einen eigenthümlichen und für das
Ministerium durchaus nicht günstigen Eindruck machte, daß während der
Sitzung am Themseufer eine die Zugänge zum Parlamentshause bewachende
Polizeimannschaft versammelt war, als wenn, wie die Times sagte,
Westminster Hall in Gefahr wäre, von einer Commune Londons genom¬
men zu werden; dies sei eine Schaustellung von Stärke gewesen, welche
sehr nach der Verwirrung der Schwäche aussah.

Als am nächsten Tage Mr. Disraeli eine neue Resolution gegen die
Finanzvorschläge ankündigte, erklärte endlich der Schatzkanzler Mr. Löwe, daß
die Regierung Angesichts des Mißfallens, welches die Zündhölzchensteuer viel¬
fach erregt habe, sich zur Zurückziehung derselben entschlossen, sie beharre aber
auf den übrigen Vorlagen; wodurch Ersatz geschaffen werden solle, darüber
werde sie nach zwei Tagen Vorschläge machen. Am 27. April waren die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/463>, abgerufen am 25.07.2024.