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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Sieger gewesen und es mag nicht ritterlich klingen, wenn wir nun nach her¬
gestellten Frieden uns den Besitz unserer Eroberungen sichern zu wollen schei¬
nen, indem wir für den jetzigen Besitzstand das allgemeine Friedensinteresse
ins Spiel bringen. Aber in der Wirklichkeit, wenn es gelingt, liegt doch eine
hohe Gerechtigkeit der Geschichte in solcher Combination. Als im vorigen
Jahre der Krieg ausbrach, den Frankreich mit einer seltenen Ruchlosigkeit an¬
gezettelt, bot Europa ein klägliches Schauspiel dar. Die Acten lagen offen
vor aller Welt. Frankreich hatte seit 1866 nicht aufgehört, sich in kriegeri¬
schen Ausfällen gegen Preußen zu ergehen, die französische Presse hatte auf
das Leidenschaftlichste zum Kriege gehetzt. Die Wahl eines Prinzen v. Ho-
henzollern auf den spanischen Thron war ein lächerlicher Vorwand, denn
Preußen konnte nicht daran denken und dachte nicht daran einen Einfluß auf
Spanien zu gewinnen. Dennoch willigte der König Wilhelm ein, auch die¬
sen Vorwand aus dem Wege zu schaffen und als so der Beweis der höch¬
sten Friedensliebe gegeben war und die Franzosen darin nur eine Veranlas¬
sung sahen, mit noch unverschämteren Forderungen vorzugehen, da enthüllte
Graf Bismarck der staunenden Welt, mit welchen Raub- und Umsturzplänen
sich das Kaiserreich fortwährend getragen, dem noch im Jahre 1867 bei dem
Luxemburger Streit alle Mächte beigesprungen waren.

Diese Enthüllung war prächtig vorbereitet und durch eine unglaubliche
Unklugheit des Gegners war Graf Bismarck im Stande einen Beweis von
solcher Genauigkeit und Ueberzeugungskraft zu führen, wie vielleicht noch nie
in solchen Dingen der Fall gewesen. Die Franzosen stammelten Lügen, die
so fadenscheinig waren, daß sie selbst an den Erfolg derselben nicht glaubten
-- und dennoch blieb ganz Europa neutral und Sympathien hat uns in
diesem Kampfe niemand geschenkt als der Kaiser von Rußland und die Deut¬
schen in Oestreich, ja die Mehrzahl der Staaten lauerte nur auf den Augen¬
blick, um über uns herzufallen. Alle Lehren der Geschichte waren vergessen,
Alles was seit zwanzig Jahren über die schmähliche Negierung des dritten
Napoleon gesagt worden war, Alles was die französische Eroberungslust unter
dem ersten Napoleon und schon früher, unter Ludwig XIV. Uebles über Eu¬
ropa verhängt hatte. Die Weisheit der Regierungen und besonders Englands
hatte seit einem Jahrzehnt darin bestanden, Frankreich zu beschwichtigen, in¬
dem ihm seine Forderungen bewilligt wurden, indem man auf den schwächern
oder für schwächer gehaltenen Gegner drückte, um diesen zur Nachgiebigkeit
zu zwingen.

Nachdem die Macht Napoleon's gebrochen, er selbst gestürzt war, erhob
sich in Frankreich die Republik und wiederum fand sie in einem großen Theile
Europa's Sympathie. Es solle jetzt einem Kampf der Freiheit gegen die
Sklaverei gelten und Tausende in Belgien, in der Schweiz, in England glaub-


Sieger gewesen und es mag nicht ritterlich klingen, wenn wir nun nach her¬
gestellten Frieden uns den Besitz unserer Eroberungen sichern zu wollen schei¬
nen, indem wir für den jetzigen Besitzstand das allgemeine Friedensinteresse
ins Spiel bringen. Aber in der Wirklichkeit, wenn es gelingt, liegt doch eine
hohe Gerechtigkeit der Geschichte in solcher Combination. Als im vorigen
Jahre der Krieg ausbrach, den Frankreich mit einer seltenen Ruchlosigkeit an¬
gezettelt, bot Europa ein klägliches Schauspiel dar. Die Acten lagen offen
vor aller Welt. Frankreich hatte seit 1866 nicht aufgehört, sich in kriegeri¬
schen Ausfällen gegen Preußen zu ergehen, die französische Presse hatte auf
das Leidenschaftlichste zum Kriege gehetzt. Die Wahl eines Prinzen v. Ho-
henzollern auf den spanischen Thron war ein lächerlicher Vorwand, denn
Preußen konnte nicht daran denken und dachte nicht daran einen Einfluß auf
Spanien zu gewinnen. Dennoch willigte der König Wilhelm ein, auch die¬
sen Vorwand aus dem Wege zu schaffen und als so der Beweis der höch¬
sten Friedensliebe gegeben war und die Franzosen darin nur eine Veranlas¬
sung sahen, mit noch unverschämteren Forderungen vorzugehen, da enthüllte
Graf Bismarck der staunenden Welt, mit welchen Raub- und Umsturzplänen
sich das Kaiserreich fortwährend getragen, dem noch im Jahre 1867 bei dem
Luxemburger Streit alle Mächte beigesprungen waren.

Diese Enthüllung war prächtig vorbereitet und durch eine unglaubliche
Unklugheit des Gegners war Graf Bismarck im Stande einen Beweis von
solcher Genauigkeit und Ueberzeugungskraft zu führen, wie vielleicht noch nie
in solchen Dingen der Fall gewesen. Die Franzosen stammelten Lügen, die
so fadenscheinig waren, daß sie selbst an den Erfolg derselben nicht glaubten
— und dennoch blieb ganz Europa neutral und Sympathien hat uns in
diesem Kampfe niemand geschenkt als der Kaiser von Rußland und die Deut¬
schen in Oestreich, ja die Mehrzahl der Staaten lauerte nur auf den Augen¬
blick, um über uns herzufallen. Alle Lehren der Geschichte waren vergessen,
Alles was seit zwanzig Jahren über die schmähliche Negierung des dritten
Napoleon gesagt worden war, Alles was die französische Eroberungslust unter
dem ersten Napoleon und schon früher, unter Ludwig XIV. Uebles über Eu¬
ropa verhängt hatte. Die Weisheit der Regierungen und besonders Englands
hatte seit einem Jahrzehnt darin bestanden, Frankreich zu beschwichtigen, in¬
dem ihm seine Forderungen bewilligt wurden, indem man auf den schwächern
oder für schwächer gehaltenen Gegner drückte, um diesen zur Nachgiebigkeit
zu zwingen.

Nachdem die Macht Napoleon's gebrochen, er selbst gestürzt war, erhob
sich in Frankreich die Republik und wiederum fand sie in einem großen Theile
Europa's Sympathie. Es solle jetzt einem Kampf der Freiheit gegen die
Sklaverei gelten und Tausende in Belgien, in der Schweiz, in England glaub-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/445>, abgerufen am 24.07.2024.