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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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nehmen, "unsern Esprit werden sie uns lassen müssen". Ein belgischer Schrift¬
steller, Mr. Leclercq, hat die Geduld gehabt, eine Art Blumenlese von Pro¬
ben dieses Esprits zusammen zu stellen, die freilich nur bis Sedan geht. Der
Ekel scheint ihn dann übermannt zu haben. Geben wir ein paar Beispiele
dieses Geistes der Athener an der Seine. Die französischen Truppen marschi-
ren in den Krieg. Es ist ein lustiges Schauspiel, die Armee des famosen
Generals Bonn bricht nach Berlin auf, nur die Offenbachsche Musik fehlt,
aber die Marseillaise ersetzt sie. Herr v. Girardin erzählt uns in der "Li-
bertö": "In den Wartesälen der Eisenbahn drängt sich ein begeistertes Publi-
cum. Alle verschiedenen Corps, Infanterie, Cavallerie, Train, Artillerie werden
gleich gut empfangen, aber man muß hervorheben, die Zuaven und Tureos
gefallen am meisten, sie zeigen einen furchtbaren Schwung und ein erstaun¬
liches Feuer. Ach, sagen sie, die Preußen haben die afrikanische Menagerie
sehen wollen. Wohlan, sie sollen sie sehen. In der That, sie bieten einen
schrecklichen Anblick, halb nackt, Roth auf den Köpfen, das Auge leuchtend
von Patriotismus und Wein. Arme Landwehr! zwölfhundert Zuaven rücken
in den Bahnhof ein, in die Wagen gepfercht, einen wilden Cancan tanzend
und aus vollem Halse brüllend".

Ferner ein Beispiel aus dem "Gaulois": "Kennen Sie die neueste Mode?
Man tauft seinen Hund Bismarck und hängt ihm an den Schwanz einen
Zettel mit: Vive 1a ?rg,nee!" --

Drittes Beispiel: Ein Boulevardier, Monsieur A. Schott, der Autor
eines geschätzten Werkes über die Cocotten, schreibt am 1. August dem "Paris-
Journal" geschmackvoll und zartsinnig: "Wie alles, was aus dem Feuchten
geboren wird, mehrt sich die deutsche Race reißend schnell. Ich habe sie in
der Nähe studirt, bei ihr daheim, auf ihrem schwefelhaltigen und mit Sauer¬
salz getränkten Boden. Diese deutschen Fleischklumpen, gemacht aus Bier
und Kartoffeln, sind weich und von starkem Geruch. Der Duft ist seltsam,
eine Mischung von weißen und schwarzen Rettichen, nur der Adel riecht nach
Pökelfleisch". --

Viertes Beispiel: Nach Weißenburg und Wörth, Mars la Tour und
Gravelotte, in dem Augenblicke, wo Paris die Nachricht vom Unglück bei
Sedan erfahren s>6te, am 3. September, beschrieb ein Hr. Millaud im "Figaro"
den Landsturms den Preußen in seiner Erschöpftheit aufzurufen gezwungen
sein sollte, folgendermaßen feinen pariser Lesern: "Seht mal. Da kommen
sie angewackelt, die Leute vom Landsturm. Aus den Ruf des Baterlandes
haben sie ihre Sorgenstühle und ihre Enkelchen verlassen. Was für würdige
Grauköpfe! Die Arriöregarde ist vorzüglich aus Gichtbrüchigen zusammengestellt.
Veralteter Schleim, Husten und Luströhrenreiz zieht voran. Er ersetzt mit
Vortheil die Miltärmusik. Sie marschiren. Von Zeit zu Zeit wird ange-


nehmen, „unsern Esprit werden sie uns lassen müssen". Ein belgischer Schrift¬
steller, Mr. Leclercq, hat die Geduld gehabt, eine Art Blumenlese von Pro¬
ben dieses Esprits zusammen zu stellen, die freilich nur bis Sedan geht. Der
Ekel scheint ihn dann übermannt zu haben. Geben wir ein paar Beispiele
dieses Geistes der Athener an der Seine. Die französischen Truppen marschi-
ren in den Krieg. Es ist ein lustiges Schauspiel, die Armee des famosen
Generals Bonn bricht nach Berlin auf, nur die Offenbachsche Musik fehlt,
aber die Marseillaise ersetzt sie. Herr v. Girardin erzählt uns in der „Li-
bertö": „In den Wartesälen der Eisenbahn drängt sich ein begeistertes Publi-
cum. Alle verschiedenen Corps, Infanterie, Cavallerie, Train, Artillerie werden
gleich gut empfangen, aber man muß hervorheben, die Zuaven und Tureos
gefallen am meisten, sie zeigen einen furchtbaren Schwung und ein erstaun¬
liches Feuer. Ach, sagen sie, die Preußen haben die afrikanische Menagerie
sehen wollen. Wohlan, sie sollen sie sehen. In der That, sie bieten einen
schrecklichen Anblick, halb nackt, Roth auf den Köpfen, das Auge leuchtend
von Patriotismus und Wein. Arme Landwehr! zwölfhundert Zuaven rücken
in den Bahnhof ein, in die Wagen gepfercht, einen wilden Cancan tanzend
und aus vollem Halse brüllend".

Ferner ein Beispiel aus dem „Gaulois": „Kennen Sie die neueste Mode?
Man tauft seinen Hund Bismarck und hängt ihm an den Schwanz einen
Zettel mit: Vive 1a ?rg,nee!" —

Drittes Beispiel: Ein Boulevardier, Monsieur A. Schott, der Autor
eines geschätzten Werkes über die Cocotten, schreibt am 1. August dem „Paris-
Journal" geschmackvoll und zartsinnig: „Wie alles, was aus dem Feuchten
geboren wird, mehrt sich die deutsche Race reißend schnell. Ich habe sie in
der Nähe studirt, bei ihr daheim, auf ihrem schwefelhaltigen und mit Sauer¬
salz getränkten Boden. Diese deutschen Fleischklumpen, gemacht aus Bier
und Kartoffeln, sind weich und von starkem Geruch. Der Duft ist seltsam,
eine Mischung von weißen und schwarzen Rettichen, nur der Adel riecht nach
Pökelfleisch". —

Viertes Beispiel: Nach Weißenburg und Wörth, Mars la Tour und
Gravelotte, in dem Augenblicke, wo Paris die Nachricht vom Unglück bei
Sedan erfahren s>6te, am 3. September, beschrieb ein Hr. Millaud im „Figaro"
den Landsturms den Preußen in seiner Erschöpftheit aufzurufen gezwungen
sein sollte, folgendermaßen feinen pariser Lesern: „Seht mal. Da kommen
sie angewackelt, die Leute vom Landsturm. Aus den Ruf des Baterlandes
haben sie ihre Sorgenstühle und ihre Enkelchen verlassen. Was für würdige
Grauköpfe! Die Arriöregarde ist vorzüglich aus Gichtbrüchigen zusammengestellt.
Veralteter Schleim, Husten und Luströhrenreiz zieht voran. Er ersetzt mit
Vortheil die Miltärmusik. Sie marschiren. Von Zeit zu Zeit wird ange-


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[0436] nehmen, „unsern Esprit werden sie uns lassen müssen". Ein belgischer Schrift¬ steller, Mr. Leclercq, hat die Geduld gehabt, eine Art Blumenlese von Pro¬ ben dieses Esprits zusammen zu stellen, die freilich nur bis Sedan geht. Der Ekel scheint ihn dann übermannt zu haben. Geben wir ein paar Beispiele dieses Geistes der Athener an der Seine. Die französischen Truppen marschi- ren in den Krieg. Es ist ein lustiges Schauspiel, die Armee des famosen Generals Bonn bricht nach Berlin auf, nur die Offenbachsche Musik fehlt, aber die Marseillaise ersetzt sie. Herr v. Girardin erzählt uns in der „Li- bertö": „In den Wartesälen der Eisenbahn drängt sich ein begeistertes Publi- cum. Alle verschiedenen Corps, Infanterie, Cavallerie, Train, Artillerie werden gleich gut empfangen, aber man muß hervorheben, die Zuaven und Tureos gefallen am meisten, sie zeigen einen furchtbaren Schwung und ein erstaun¬ liches Feuer. Ach, sagen sie, die Preußen haben die afrikanische Menagerie sehen wollen. Wohlan, sie sollen sie sehen. In der That, sie bieten einen schrecklichen Anblick, halb nackt, Roth auf den Köpfen, das Auge leuchtend von Patriotismus und Wein. Arme Landwehr! zwölfhundert Zuaven rücken in den Bahnhof ein, in die Wagen gepfercht, einen wilden Cancan tanzend und aus vollem Halse brüllend". Ferner ein Beispiel aus dem „Gaulois": „Kennen Sie die neueste Mode? Man tauft seinen Hund Bismarck und hängt ihm an den Schwanz einen Zettel mit: Vive 1a ?rg,nee!" — Drittes Beispiel: Ein Boulevardier, Monsieur A. Schott, der Autor eines geschätzten Werkes über die Cocotten, schreibt am 1. August dem „Paris- Journal" geschmackvoll und zartsinnig: „Wie alles, was aus dem Feuchten geboren wird, mehrt sich die deutsche Race reißend schnell. Ich habe sie in der Nähe studirt, bei ihr daheim, auf ihrem schwefelhaltigen und mit Sauer¬ salz getränkten Boden. Diese deutschen Fleischklumpen, gemacht aus Bier und Kartoffeln, sind weich und von starkem Geruch. Der Duft ist seltsam, eine Mischung von weißen und schwarzen Rettichen, nur der Adel riecht nach Pökelfleisch". — Viertes Beispiel: Nach Weißenburg und Wörth, Mars la Tour und Gravelotte, in dem Augenblicke, wo Paris die Nachricht vom Unglück bei Sedan erfahren s>6te, am 3. September, beschrieb ein Hr. Millaud im „Figaro" den Landsturms den Preußen in seiner Erschöpftheit aufzurufen gezwungen sein sollte, folgendermaßen feinen pariser Lesern: „Seht mal. Da kommen sie angewackelt, die Leute vom Landsturm. Aus den Ruf des Baterlandes haben sie ihre Sorgenstühle und ihre Enkelchen verlassen. Was für würdige Grauköpfe! Die Arriöregarde ist vorzüglich aus Gichtbrüchigen zusammengestellt. Veralteter Schleim, Husten und Luströhrenreiz zieht voran. Er ersetzt mit Vortheil die Miltärmusik. Sie marschiren. Von Zeit zu Zeit wird ange-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/436>, abgerufen am 24.07.2024.