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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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für die liebe Jugend, für junge Gesellen vnd züchtige Jungkfrawen; Gesänge
mit ganz newen possierlichen vnd artigen Texten; Berg kr e Yen, Jäger-,
Reiter-, Studenten- u. Schäferlieder; lieblichste welsche, französische,
lateinische und polnische Weisen. Schon damals war man um Titel nicht
verlegen; es gab: Venuskränzlen, Venusblümlein, Venusglöcklein, die gehar¬
nischte Venus, güldene Venuspfeil, singende Rosen, Zeitvertreiber, Waldlieder¬
lein, Wein- vnd Würzgärtlein, Rosenthaler, Musenluft, Weltspiegel, wohlrie¬
chende, anmuthige, musikalische Blümlein, Streit- vnd Triumphkräntzlein, mus.
Rauchfäßlein, Herzenströster, Sorgen-Lager, Bunzlauischer Quäcklaun oder
Thränen-Quelle, geistreiche Andachtswecker, süße Mandel-Karren, mus. Ta¬
fel-Confect, Gemüths-Ergötzungen u. s. f.

Im 17. Jahrh, (seit 1613) beeinträchtigten, wie schon gesagt, die Solo¬
gesänge die mehrstimmigen Lieder; den süßen Arien und Cantaten berühmter
italienischer Meister, welche fortan, verbunden mit Castraten und Sängerinnen,
das Reich der musikalischen Künste sast allein beherrschten, lauschen zu können,
erschien lohnender, als selbst zu singen; dagegen wirft sich jetzt der Dilettan¬
tismus mit Vorliebe auf die Pflege der Kammermusik. Im 18. Jahrh,
treten wenige selbständige mehrstimmige Gesangscompositionen (Kammerduette
und Madrigale) mehr ans Licht; auch diese alle nur auf italienische Worte
gesetzt. Die italienische Sprache wird für derartige Werke mit Vorliebe selbst
noch in unserm Jahrhundert auch von deutschen Meistern beibehalten (Canzo-
netten von Danzi, Cannabich, C .M. v. Weber, Krebs, Lindpaintner, Sterlet,
Winter u. s. w.), die scherzhaften deutschen Cantaten, denen man im 18.
Jahrh, hie und da begegnet (der verliebte Nachtwächter, der Zahnarzt, die
Glücksbude des Cupido, der betrogene Geld-Freyer, die Wurmkuchen-Frau,
der Geschmack am Lieben u. s. w.) sind alle nur ein-, höchstens zweistimmig.
Erst mit I. Haydn, der eine Anzahl vorzüglicher mehrstimmiger Gesänge
setzte, erwachte wieder der Geschmack an dieser Musikgattung, doch fehlte den
Sängern bereits die wünschenswerte musikalische Technik; die Familien hat¬
ten den mehrstimmigen Gesang zu lange aufgegeben, seine Uebung vergessen.
Mozart, Schicht, Fasel), Reichardt, Götzloff, Bornhardt, Danzi, Berge, Eber¬
wein, Blum, Neukomm, C. M. von Weber, Himmel, Fr. Schneider, Präger,
Riem, Call, Cherubini, Kuhlau, Fr. Schubert, Reissiger, Schnyder von War¬
tensee und Andere haben viele Gesänge für gemischte Stimmen componirt,
doch ist ein Beweis für die mangelnde Kunstfertigkeit, daß sie, um die
Sänger zu unterstützen, zu solchen Tonsätzen meist eine Clavier- wenn nicht
gar eine Guitarrebegleitung fügten. Der neuesten Zeit endlich blieb vorbe¬
halten, das Verlorne Gebiet wieder zurückzuerobern und zwar war es Men¬
delssohn, der mit dem größten Erfolg und entschiedenem Glücke das vier¬
stimmige Lied, diese eigentlichste Hausmusik, wieder cultivirte. Mag man


für die liebe Jugend, für junge Gesellen vnd züchtige Jungkfrawen; Gesänge
mit ganz newen possierlichen vnd artigen Texten; Berg kr e Yen, Jäger-,
Reiter-, Studenten- u. Schäferlieder; lieblichste welsche, französische,
lateinische und polnische Weisen. Schon damals war man um Titel nicht
verlegen; es gab: Venuskränzlen, Venusblümlein, Venusglöcklein, die gehar¬
nischte Venus, güldene Venuspfeil, singende Rosen, Zeitvertreiber, Waldlieder¬
lein, Wein- vnd Würzgärtlein, Rosenthaler, Musenluft, Weltspiegel, wohlrie¬
chende, anmuthige, musikalische Blümlein, Streit- vnd Triumphkräntzlein, mus.
Rauchfäßlein, Herzenströster, Sorgen-Lager, Bunzlauischer Quäcklaun oder
Thränen-Quelle, geistreiche Andachtswecker, süße Mandel-Karren, mus. Ta¬
fel-Confect, Gemüths-Ergötzungen u. s. f.

Im 17. Jahrh, (seit 1613) beeinträchtigten, wie schon gesagt, die Solo¬
gesänge die mehrstimmigen Lieder; den süßen Arien und Cantaten berühmter
italienischer Meister, welche fortan, verbunden mit Castraten und Sängerinnen,
das Reich der musikalischen Künste sast allein beherrschten, lauschen zu können,
erschien lohnender, als selbst zu singen; dagegen wirft sich jetzt der Dilettan¬
tismus mit Vorliebe auf die Pflege der Kammermusik. Im 18. Jahrh,
treten wenige selbständige mehrstimmige Gesangscompositionen (Kammerduette
und Madrigale) mehr ans Licht; auch diese alle nur auf italienische Worte
gesetzt. Die italienische Sprache wird für derartige Werke mit Vorliebe selbst
noch in unserm Jahrhundert auch von deutschen Meistern beibehalten (Canzo-
netten von Danzi, Cannabich, C .M. v. Weber, Krebs, Lindpaintner, Sterlet,
Winter u. s. w.), die scherzhaften deutschen Cantaten, denen man im 18.
Jahrh, hie und da begegnet (der verliebte Nachtwächter, der Zahnarzt, die
Glücksbude des Cupido, der betrogene Geld-Freyer, die Wurmkuchen-Frau,
der Geschmack am Lieben u. s. w.) sind alle nur ein-, höchstens zweistimmig.
Erst mit I. Haydn, der eine Anzahl vorzüglicher mehrstimmiger Gesänge
setzte, erwachte wieder der Geschmack an dieser Musikgattung, doch fehlte den
Sängern bereits die wünschenswerte musikalische Technik; die Familien hat¬
ten den mehrstimmigen Gesang zu lange aufgegeben, seine Uebung vergessen.
Mozart, Schicht, Fasel), Reichardt, Götzloff, Bornhardt, Danzi, Berge, Eber¬
wein, Blum, Neukomm, C. M. von Weber, Himmel, Fr. Schneider, Präger,
Riem, Call, Cherubini, Kuhlau, Fr. Schubert, Reissiger, Schnyder von War¬
tensee und Andere haben viele Gesänge für gemischte Stimmen componirt,
doch ist ein Beweis für die mangelnde Kunstfertigkeit, daß sie, um die
Sänger zu unterstützen, zu solchen Tonsätzen meist eine Clavier- wenn nicht
gar eine Guitarrebegleitung fügten. Der neuesten Zeit endlich blieb vorbe¬
halten, das Verlorne Gebiet wieder zurückzuerobern und zwar war es Men¬
delssohn, der mit dem größten Erfolg und entschiedenem Glücke das vier¬
stimmige Lied, diese eigentlichste Hausmusik, wieder cultivirte. Mag man


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/422>, abgerufen am 25.07.2024.