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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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hervor. Dieselben wurden zunächst eingeleitet durch "Standard," das Organ
Disraelis, welcher darauf aufmerksam machte, daß die Neutralität des Pon-
tus die wichtigste Errungenschaft des Krimkrieges gewesen sei, diese einzige
Sicherheit und Garantie sei jetzt aufgegeben worden, man werde das kaum
mit ungemischter Befriedigung im Lande aufnehmen. Zwar arbeitete Times
dagegen vor, indem sie die Erklärungen des Herzogs von Broglie mittheilte,
durch welche er seine Unterschrift zu dem neuen Vertrage motivirte, ohne an
den Verhandlungen theilgenommen zu haben, worin er erwähnte, daß die
französische Negierung vorgezogen haben würde, sich des Anschlusses zu ent¬
halten, sie habe jedoch gefürchtet, es könne scheinen, als bezeuge sie nicht hin¬
reichend-, welch hohen Werth sie auf alles lege, was die Harmonie zwischen
den großen Staaten erhalten oder wiederherstellen könne. Aber schließlich
mußte das Blatt doch zugestehen, daß Frankreich unter andern Umständen
eine andere Ansicht gehabt haben würde.

Sir Charles Dilke hatte sogar ein Tadelsvotum gegen die Regierung in
folgender Resolution beantragt: "Das Haus bedauert, daß I. M. Regierung
den Vorschlag für den Zusammentritt einer Conserenz angenommen habe
unter Umständen, wie sie in den dem Parlament vorgelegten Depeschen über
die Gortschcckoff'sche Cireülarnote auseinander gesetzt sind." Am 30. März
war das Unterhaus voll besetzt, als die Debatte über den Antrag begann.
Merkwürdiger aber noch, als der Angriff des Antragstellers und seiner Freunde,
war die Vertheidigung des Ministeriums durch Sir Robert Peel, welcher offen
erklärte, daß kein Mensch Verlangen nach Krieg getragen habe, um das ge¬
borstene und baufällige Haus am Bosporus zu stützen, dessen Regierung seit
Jahrhunderten eine Schmach für die Civilisation und durch ihre eigene
Schwäche eine Quelle ewiger Gefahr für Europa sei. England hätte sich in
solchem Kriege nicht behaupten können, während es sich so den Dank von
ganz Europa verdient hätte. Auch Lord Enfield vertheidigte seinen Chef mit
ähnlichen Bemerkungen. Die Majorität hatte sich, wie gesagt, vorgenommen,
den Antrag nur discutiren, das Ministerium aber nicht fallen zu lassen, es
kam daher gar nicht erst zur Abstimmung. Daß die Stimmung der Oppo¬
sition nicht besser, sondern schlimmer wurde, als Kaiser Alexander dem Fürsten
Gortschakoff mit einem schmeichelhaften Schreiben bald nach dem Schluß der
Conferenz das Prädicat "Durchlaucht", und dem russischen Botschafter Baron
von Brünnow den Grafentitel verlieh, ist natürlich. Auch im Oberhause
fand am 16. Mai eine ähnliche Debatte statt.

Die Pontus-Conferenz war indessen nicht der einzige Gegenstand der
Aufregung. Das Unterhaus hatte gegen den Minister des Aeußern auch
wegen des deutsch-französischen Krieges vieles auf dem Herzen, umso
mehr als der eben abgeschlossene Waffenstillstand und dann der Präliminar-


hervor. Dieselben wurden zunächst eingeleitet durch „Standard," das Organ
Disraelis, welcher darauf aufmerksam machte, daß die Neutralität des Pon-
tus die wichtigste Errungenschaft des Krimkrieges gewesen sei, diese einzige
Sicherheit und Garantie sei jetzt aufgegeben worden, man werde das kaum
mit ungemischter Befriedigung im Lande aufnehmen. Zwar arbeitete Times
dagegen vor, indem sie die Erklärungen des Herzogs von Broglie mittheilte,
durch welche er seine Unterschrift zu dem neuen Vertrage motivirte, ohne an
den Verhandlungen theilgenommen zu haben, worin er erwähnte, daß die
französische Negierung vorgezogen haben würde, sich des Anschlusses zu ent¬
halten, sie habe jedoch gefürchtet, es könne scheinen, als bezeuge sie nicht hin¬
reichend-, welch hohen Werth sie auf alles lege, was die Harmonie zwischen
den großen Staaten erhalten oder wiederherstellen könne. Aber schließlich
mußte das Blatt doch zugestehen, daß Frankreich unter andern Umständen
eine andere Ansicht gehabt haben würde.

Sir Charles Dilke hatte sogar ein Tadelsvotum gegen die Regierung in
folgender Resolution beantragt: „Das Haus bedauert, daß I. M. Regierung
den Vorschlag für den Zusammentritt einer Conserenz angenommen habe
unter Umständen, wie sie in den dem Parlament vorgelegten Depeschen über
die Gortschcckoff'sche Cireülarnote auseinander gesetzt sind." Am 30. März
war das Unterhaus voll besetzt, als die Debatte über den Antrag begann.
Merkwürdiger aber noch, als der Angriff des Antragstellers und seiner Freunde,
war die Vertheidigung des Ministeriums durch Sir Robert Peel, welcher offen
erklärte, daß kein Mensch Verlangen nach Krieg getragen habe, um das ge¬
borstene und baufällige Haus am Bosporus zu stützen, dessen Regierung seit
Jahrhunderten eine Schmach für die Civilisation und durch ihre eigene
Schwäche eine Quelle ewiger Gefahr für Europa sei. England hätte sich in
solchem Kriege nicht behaupten können, während es sich so den Dank von
ganz Europa verdient hätte. Auch Lord Enfield vertheidigte seinen Chef mit
ähnlichen Bemerkungen. Die Majorität hatte sich, wie gesagt, vorgenommen,
den Antrag nur discutiren, das Ministerium aber nicht fallen zu lassen, es
kam daher gar nicht erst zur Abstimmung. Daß die Stimmung der Oppo¬
sition nicht besser, sondern schlimmer wurde, als Kaiser Alexander dem Fürsten
Gortschakoff mit einem schmeichelhaften Schreiben bald nach dem Schluß der
Conferenz das Prädicat „Durchlaucht", und dem russischen Botschafter Baron
von Brünnow den Grafentitel verlieh, ist natürlich. Auch im Oberhause
fand am 16. Mai eine ähnliche Debatte statt.

Die Pontus-Conferenz war indessen nicht der einzige Gegenstand der
Aufregung. Das Unterhaus hatte gegen den Minister des Aeußern auch
wegen des deutsch-französischen Krieges vieles auf dem Herzen, umso
mehr als der eben abgeschlossene Waffenstillstand und dann der Präliminar-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/412>, abgerufen am 25.07.2024.