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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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auswärtigen Angelegenheiten betonte Earl Granville seine persönlichen freund¬
lichen Beziehungen zu Frankreich (ob zum Volke oder zum Kaiserhause oder
zur republikanischen Regierung, blieb unklar) wie zu Deutschland; er bedauerte,
daß "seine aufrichtigen Bemühungen für die strenge Neutralität Englands in
beiden Ländern übel aufgenommen worden seien." Alle Welt weiß, daß er
seine Gunst den Franzosen zuwendete, aber nicht in dem Maße der That,
wie sie durch seine diplomatischen Bemühungen davon zu erwarten sich be¬
rechtigt glaubten; immerhin wurden sie dadurch zu ihrem unsinnigen Wider¬
stände bewogen. Die von Sir Hamilton im Unterhause beantragte Adresse
wurde weit lebhafter debattirt, wobei namentlich Disraeli dem Ministerium
entgegentrat und ihm Energielosigkeit vorwarf, insofern es nicht durch die
Androhung der bewaffneten Neutralität einen Druck auf Napoleon ausgeübt
hätte, um den Krieg zu verhüten. Er wies auf die Folgen desselben hin, auf
das Vorgehen Rußlands, auf die Verletzung der September-Convention und
auf den beleidigenden Ton, mit dem England von Amerika behandelt werde.
Er versprach deshalb wenigstens dem Cabinet seine Unterstützung bei der
Organisation der Kriegsmacht. Gladstone, der Premier, erwiderte in Betreff
Amerika's, er vertraue auf den gesunden Verstand der Amerikaner und theilte
die Namen der Cominissionsmitglieder zur Ausgleichung der betreffenden
Fragen mit; er erklärte eine bewaffnete Neutralität für unmöglich. Die
Adresse wurde schließlich ohne Widerstand angenommen, da die Minister keine
Miene machten, auf die verschiedenen Bemerkungen ein Wort zu erwidern.

Als nach den Adreßdebatten ein Blaubuch in bedeutendem Umfange mit
den Ackerstücken über die Pontusfrage vorgelegt war, entwickelte sich eine
förmliche Fluth von Anfragen und Interpellationen. Dieselben betrafen zu¬
nächst die Abwesenheit eines französischen Vertreters auf der Conferenz, die
Verproviantirung von Paris, die Verhandlungen mit Holland wegen Ab¬
tretung eines Küstenstrichs mit Forts in Guinea, Entschädigungsgelder der
spanischen Regierung für den Toreado. Der am 14. Februar veröffentlichte
Theil des Blaubuchs enthielt Actenstücke über die Pontusfrage von der Ueber-
reichung der Gortschakoffschen Note bis zu Anfang Februar und über den
deutsch-französischen Krieg vom August bis zum Abschluß des Waffenstillstan¬
des. Eigenthümlich war, daß von dieser Zeit ab fast jedesmal, wenn die
Conferenz eine Sitzung abgehalten hatte, auch im Unterhause Anfragen ge¬
stellt wurden und sich die Angriffe gegen die Politik des Ministeriums mehr¬
ten. So geheim auch der Inhalt der Besprechungen gehalten wurde, es
mußte doch nicht möglich sein, den Mangel an Einfluß in der Stellung des
englischen Cabinets zu verbergen, der sich lediglich auf die Verschiebung end¬
gültiger Beschlüsse beschränkte, bis Frankreichs Vertreter ankäme. Wieder
war es Disraeli, welcher, nachdem die Conferenz vom Unterhause bis zum


auswärtigen Angelegenheiten betonte Earl Granville seine persönlichen freund¬
lichen Beziehungen zu Frankreich (ob zum Volke oder zum Kaiserhause oder
zur republikanischen Regierung, blieb unklar) wie zu Deutschland; er bedauerte,
daß „seine aufrichtigen Bemühungen für die strenge Neutralität Englands in
beiden Ländern übel aufgenommen worden seien." Alle Welt weiß, daß er
seine Gunst den Franzosen zuwendete, aber nicht in dem Maße der That,
wie sie durch seine diplomatischen Bemühungen davon zu erwarten sich be¬
rechtigt glaubten; immerhin wurden sie dadurch zu ihrem unsinnigen Wider¬
stände bewogen. Die von Sir Hamilton im Unterhause beantragte Adresse
wurde weit lebhafter debattirt, wobei namentlich Disraeli dem Ministerium
entgegentrat und ihm Energielosigkeit vorwarf, insofern es nicht durch die
Androhung der bewaffneten Neutralität einen Druck auf Napoleon ausgeübt
hätte, um den Krieg zu verhüten. Er wies auf die Folgen desselben hin, auf
das Vorgehen Rußlands, auf die Verletzung der September-Convention und
auf den beleidigenden Ton, mit dem England von Amerika behandelt werde.
Er versprach deshalb wenigstens dem Cabinet seine Unterstützung bei der
Organisation der Kriegsmacht. Gladstone, der Premier, erwiderte in Betreff
Amerika's, er vertraue auf den gesunden Verstand der Amerikaner und theilte
die Namen der Cominissionsmitglieder zur Ausgleichung der betreffenden
Fragen mit; er erklärte eine bewaffnete Neutralität für unmöglich. Die
Adresse wurde schließlich ohne Widerstand angenommen, da die Minister keine
Miene machten, auf die verschiedenen Bemerkungen ein Wort zu erwidern.

Als nach den Adreßdebatten ein Blaubuch in bedeutendem Umfange mit
den Ackerstücken über die Pontusfrage vorgelegt war, entwickelte sich eine
förmliche Fluth von Anfragen und Interpellationen. Dieselben betrafen zu¬
nächst die Abwesenheit eines französischen Vertreters auf der Conferenz, die
Verproviantirung von Paris, die Verhandlungen mit Holland wegen Ab¬
tretung eines Küstenstrichs mit Forts in Guinea, Entschädigungsgelder der
spanischen Regierung für den Toreado. Der am 14. Februar veröffentlichte
Theil des Blaubuchs enthielt Actenstücke über die Pontusfrage von der Ueber-
reichung der Gortschakoffschen Note bis zu Anfang Februar und über den
deutsch-französischen Krieg vom August bis zum Abschluß des Waffenstillstan¬
des. Eigenthümlich war, daß von dieser Zeit ab fast jedesmal, wenn die
Conferenz eine Sitzung abgehalten hatte, auch im Unterhause Anfragen ge¬
stellt wurden und sich die Angriffe gegen die Politik des Ministeriums mehr¬
ten. So geheim auch der Inhalt der Besprechungen gehalten wurde, es
mußte doch nicht möglich sein, den Mangel an Einfluß in der Stellung des
englischen Cabinets zu verbergen, der sich lediglich auf die Verschiebung end¬
gültiger Beschlüsse beschränkte, bis Frankreichs Vertreter ankäme. Wieder
war es Disraeli, welcher, nachdem die Conferenz vom Unterhause bis zum


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[0410] auswärtigen Angelegenheiten betonte Earl Granville seine persönlichen freund¬ lichen Beziehungen zu Frankreich (ob zum Volke oder zum Kaiserhause oder zur republikanischen Regierung, blieb unklar) wie zu Deutschland; er bedauerte, daß „seine aufrichtigen Bemühungen für die strenge Neutralität Englands in beiden Ländern übel aufgenommen worden seien." Alle Welt weiß, daß er seine Gunst den Franzosen zuwendete, aber nicht in dem Maße der That, wie sie durch seine diplomatischen Bemühungen davon zu erwarten sich be¬ rechtigt glaubten; immerhin wurden sie dadurch zu ihrem unsinnigen Wider¬ stände bewogen. Die von Sir Hamilton im Unterhause beantragte Adresse wurde weit lebhafter debattirt, wobei namentlich Disraeli dem Ministerium entgegentrat und ihm Energielosigkeit vorwarf, insofern es nicht durch die Androhung der bewaffneten Neutralität einen Druck auf Napoleon ausgeübt hätte, um den Krieg zu verhüten. Er wies auf die Folgen desselben hin, auf das Vorgehen Rußlands, auf die Verletzung der September-Convention und auf den beleidigenden Ton, mit dem England von Amerika behandelt werde. Er versprach deshalb wenigstens dem Cabinet seine Unterstützung bei der Organisation der Kriegsmacht. Gladstone, der Premier, erwiderte in Betreff Amerika's, er vertraue auf den gesunden Verstand der Amerikaner und theilte die Namen der Cominissionsmitglieder zur Ausgleichung der betreffenden Fragen mit; er erklärte eine bewaffnete Neutralität für unmöglich. Die Adresse wurde schließlich ohne Widerstand angenommen, da die Minister keine Miene machten, auf die verschiedenen Bemerkungen ein Wort zu erwidern. Als nach den Adreßdebatten ein Blaubuch in bedeutendem Umfange mit den Ackerstücken über die Pontusfrage vorgelegt war, entwickelte sich eine förmliche Fluth von Anfragen und Interpellationen. Dieselben betrafen zu¬ nächst die Abwesenheit eines französischen Vertreters auf der Conferenz, die Verproviantirung von Paris, die Verhandlungen mit Holland wegen Ab¬ tretung eines Küstenstrichs mit Forts in Guinea, Entschädigungsgelder der spanischen Regierung für den Toreado. Der am 14. Februar veröffentlichte Theil des Blaubuchs enthielt Actenstücke über die Pontusfrage von der Ueber- reichung der Gortschakoffschen Note bis zu Anfang Februar und über den deutsch-französischen Krieg vom August bis zum Abschluß des Waffenstillstan¬ des. Eigenthümlich war, daß von dieser Zeit ab fast jedesmal, wenn die Conferenz eine Sitzung abgehalten hatte, auch im Unterhause Anfragen ge¬ stellt wurden und sich die Angriffe gegen die Politik des Ministeriums mehr¬ ten. So geheim auch der Inhalt der Besprechungen gehalten wurde, es mußte doch nicht möglich sein, den Mangel an Einfluß in der Stellung des englischen Cabinets zu verbergen, der sich lediglich auf die Verschiebung end¬ gültiger Beschlüsse beschränkte, bis Frankreichs Vertreter ankäme. Wieder war es Disraeli, welcher, nachdem die Conferenz vom Unterhause bis zum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/410>, abgerufen am 24.07.2024.