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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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der Zeit nach der Schlacht bei Jena wir weiter unten kennen lernen werden,
ertheilten den Aeußerungen übereinstimmend das Prädicat unverschämt, Der
Letztere rief aus (Preußischer Staatsanzeiger, Octobr. 1806, S. 433), indem
er Friedrich den Großen in Schutz nahm: "Nie ist eine unverschämtere Lüge
ausgesprochen, nie ein Gott mehr gelästert worden, wie dieser unwissende,
mit erhaben klingenden Worten um sich werfende Verläumder, Herr Arndt,
lästert." Und Kamptz sagte in einem Artikel gegen Arndt, der betitelt ist: über die
Geistescultur im deutschen Norden, besonders in den Königl. Preuß. Staaten (Mi¬
nerva von Archenholz, 1806, Bd. 4, S. 87 ff.): "Mit Erstaunen habe ich
die Kette unrichtiger, absprechender, ich darf wohl sagen, unverschämter Be¬
hauptungen aus der Feder eines Mannes, wie Arndt, dem gewiß auch ich
die vollste Achtung widme, sich entwickeln sehen; lange war ich zweifelhaft,
ob ich mehr über die Arroganz der Diction oder den tiefen Ungrund des Ge¬
sagten erstaunen solle; Materie und Form sind sich aber gegenseitig einander
würdig." Obwohl Kamptz ausdrücklich sagte, daß trotz der durchaus unrich¬
tigen Ansicht Arndt's von der Geistesbildung im deutschen und preußischen
Norden ihm seine volle Achtung gewidmet bleibe, ist es doch Arndt hoch an¬
zurechnen, in wie edler und versöhnender Weise er ihm in der Erklärung,
welche datirt ist Stockholm 27. Jan. 1807 (Minerva, 1807, Bd. 1, S. 313 ff.),
antwortete. Sein Buch, sagt er darin, sei als die Stimme seines Volkes
empfangen worden, wie es aus Liebe seines Volkes geboren worden sei. Er
habe nicht wehe thun wollen, aber die Zeit stehe im Kampf und jeder Ein¬
zelne auch, der nicht bloß Gemeines thun und leiden wolle. Man müsse billig
sein gegen einen Menschen, der nicht Worte wägen möge. Was er über die
Norddeutschen gesagt habe, treffe auch ihn selbst. Der höchste Gipfel der
Menschheit und die heiligste Offenbarung der Kraft eines Volkes, wiederholt
er, sei die Kunst und die Erfindung. In Bezug aber auf die Zukunft Deutsch¬
lands sagt er, seine Hoffnungen seien noch nicht zu Ende, sie würden viel¬
mehr grüner, je mehr Schmach und Blut das Vaterland bedecke. Die wahr¬
haft rühmlichen Schlußworte seiner Entgegnung lauten: "Schließlich reiche
ich Herrn von Kamptz brüderlich die Hand und schließe mit dem heißen
Wunsch, daß unsren patriotischen Herzen noch die Freude werde, Hohes und
Gewaltiges deutscher Nation zu erleben."

Der Zeit seiner Entstehung nach schließt sich der zweite Theil des "Gei¬
stes der Zeit" eng an den ersten an. Er besteht aus vier verschiedenen in den
Jahren 1806--1808 verfaßten Aufsätzen. Den Anfang macht "Blick vor-
und rückwärts", ein Aufsatz aus dem September 1806, der das (später im
"demagogischen" Sinn mißdeutete) Motto trägt:


der Zeit nach der Schlacht bei Jena wir weiter unten kennen lernen werden,
ertheilten den Aeußerungen übereinstimmend das Prädicat unverschämt, Der
Letztere rief aus (Preußischer Staatsanzeiger, Octobr. 1806, S. 433), indem
er Friedrich den Großen in Schutz nahm: „Nie ist eine unverschämtere Lüge
ausgesprochen, nie ein Gott mehr gelästert worden, wie dieser unwissende,
mit erhaben klingenden Worten um sich werfende Verläumder, Herr Arndt,
lästert." Und Kamptz sagte in einem Artikel gegen Arndt, der betitelt ist: über die
Geistescultur im deutschen Norden, besonders in den Königl. Preuß. Staaten (Mi¬
nerva von Archenholz, 1806, Bd. 4, S. 87 ff.): „Mit Erstaunen habe ich
die Kette unrichtiger, absprechender, ich darf wohl sagen, unverschämter Be¬
hauptungen aus der Feder eines Mannes, wie Arndt, dem gewiß auch ich
die vollste Achtung widme, sich entwickeln sehen; lange war ich zweifelhaft,
ob ich mehr über die Arroganz der Diction oder den tiefen Ungrund des Ge¬
sagten erstaunen solle; Materie und Form sind sich aber gegenseitig einander
würdig." Obwohl Kamptz ausdrücklich sagte, daß trotz der durchaus unrich¬
tigen Ansicht Arndt's von der Geistesbildung im deutschen und preußischen
Norden ihm seine volle Achtung gewidmet bleibe, ist es doch Arndt hoch an¬
zurechnen, in wie edler und versöhnender Weise er ihm in der Erklärung,
welche datirt ist Stockholm 27. Jan. 1807 (Minerva, 1807, Bd. 1, S. 313 ff.),
antwortete. Sein Buch, sagt er darin, sei als die Stimme seines Volkes
empfangen worden, wie es aus Liebe seines Volkes geboren worden sei. Er
habe nicht wehe thun wollen, aber die Zeit stehe im Kampf und jeder Ein¬
zelne auch, der nicht bloß Gemeines thun und leiden wolle. Man müsse billig
sein gegen einen Menschen, der nicht Worte wägen möge. Was er über die
Norddeutschen gesagt habe, treffe auch ihn selbst. Der höchste Gipfel der
Menschheit und die heiligste Offenbarung der Kraft eines Volkes, wiederholt
er, sei die Kunst und die Erfindung. In Bezug aber auf die Zukunft Deutsch¬
lands sagt er, seine Hoffnungen seien noch nicht zu Ende, sie würden viel¬
mehr grüner, je mehr Schmach und Blut das Vaterland bedecke. Die wahr¬
haft rühmlichen Schlußworte seiner Entgegnung lauten: „Schließlich reiche
ich Herrn von Kamptz brüderlich die Hand und schließe mit dem heißen
Wunsch, daß unsren patriotischen Herzen noch die Freude werde, Hohes und
Gewaltiges deutscher Nation zu erleben."

Der Zeit seiner Entstehung nach schließt sich der zweite Theil des „Gei¬
stes der Zeit" eng an den ersten an. Er besteht aus vier verschiedenen in den
Jahren 1806—1808 verfaßten Aufsätzen. Den Anfang macht „Blick vor-
und rückwärts", ein Aufsatz aus dem September 1806, der das (später im
„demagogischen" Sinn mißdeutete) Motto trägt:


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[0398] der Zeit nach der Schlacht bei Jena wir weiter unten kennen lernen werden, ertheilten den Aeußerungen übereinstimmend das Prädicat unverschämt, Der Letztere rief aus (Preußischer Staatsanzeiger, Octobr. 1806, S. 433), indem er Friedrich den Großen in Schutz nahm: „Nie ist eine unverschämtere Lüge ausgesprochen, nie ein Gott mehr gelästert worden, wie dieser unwissende, mit erhaben klingenden Worten um sich werfende Verläumder, Herr Arndt, lästert." Und Kamptz sagte in einem Artikel gegen Arndt, der betitelt ist: über die Geistescultur im deutschen Norden, besonders in den Königl. Preuß. Staaten (Mi¬ nerva von Archenholz, 1806, Bd. 4, S. 87 ff.): „Mit Erstaunen habe ich die Kette unrichtiger, absprechender, ich darf wohl sagen, unverschämter Be¬ hauptungen aus der Feder eines Mannes, wie Arndt, dem gewiß auch ich die vollste Achtung widme, sich entwickeln sehen; lange war ich zweifelhaft, ob ich mehr über die Arroganz der Diction oder den tiefen Ungrund des Ge¬ sagten erstaunen solle; Materie und Form sind sich aber gegenseitig einander würdig." Obwohl Kamptz ausdrücklich sagte, daß trotz der durchaus unrich¬ tigen Ansicht Arndt's von der Geistesbildung im deutschen und preußischen Norden ihm seine volle Achtung gewidmet bleibe, ist es doch Arndt hoch an¬ zurechnen, in wie edler und versöhnender Weise er ihm in der Erklärung, welche datirt ist Stockholm 27. Jan. 1807 (Minerva, 1807, Bd. 1, S. 313 ff.), antwortete. Sein Buch, sagt er darin, sei als die Stimme seines Volkes empfangen worden, wie es aus Liebe seines Volkes geboren worden sei. Er habe nicht wehe thun wollen, aber die Zeit stehe im Kampf und jeder Ein¬ zelne auch, der nicht bloß Gemeines thun und leiden wolle. Man müsse billig sein gegen einen Menschen, der nicht Worte wägen möge. Was er über die Norddeutschen gesagt habe, treffe auch ihn selbst. Der höchste Gipfel der Menschheit und die heiligste Offenbarung der Kraft eines Volkes, wiederholt er, sei die Kunst und die Erfindung. In Bezug aber auf die Zukunft Deutsch¬ lands sagt er, seine Hoffnungen seien noch nicht zu Ende, sie würden viel¬ mehr grüner, je mehr Schmach und Blut das Vaterland bedecke. Die wahr¬ haft rühmlichen Schlußworte seiner Entgegnung lauten: „Schließlich reiche ich Herrn von Kamptz brüderlich die Hand und schließe mit dem heißen Wunsch, daß unsren patriotischen Herzen noch die Freude werde, Hohes und Gewaltiges deutscher Nation zu erleben." Der Zeit seiner Entstehung nach schließt sich der zweite Theil des „Gei¬ stes der Zeit" eng an den ersten an. Er besteht aus vier verschiedenen in den Jahren 1806—1808 verfaßten Aufsätzen. Den Anfang macht „Blick vor- und rückwärts", ein Aufsatz aus dem September 1806, der das (später im „demagogischen" Sinn mißdeutete) Motto trägt:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/398>, abgerufen am 25.07.2024.