Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Eigenschaften jedes literarischen Productes, besonders aber eines solchen, wel¬
ches die Geschichte oder einen Ausschnitt aus der Geschichte der eigenen Hei¬
math und des eigenen Volkes darstellen will. Aber beide müssen, so scheint
uns selbstverständlich, sofort verschwinden, wenn man in einer frem¬
den Sprache das innerste Wesen des heimathlichen Geistes einzupferchen
sich genöthigt oder bewogen findet. Und je correcter oder kunstgerechter es
geschieht, desto schlimmer wird es diesem ergehen. Wer in einer fremden Sprache
stammelt, redet im Grunde seine eigene, nur in lächerlicher und ärgerlicher
Travestie, aber er redet sie doch. Es ist wohl ein eigen Ding mit der selbst¬
gefälligen Forderung unserer klassischen Zuchtmeister, die uns in unserer Ju¬
gend so viel Kopfbrechens und Zweifel verursacht hat, nicht bloß latei¬
nisch zu schreiben, sondern auch lateinisch zu denken. Genau besehen denkt
Niemand, der lateinisch schreibt, lateinisch, aber was er schreibt ist deßwegen,
weil es nicht lateinisch ist und es niemals werden kann, doch noch nicht oder
nicht mehr deutsch, es müßte denn wirkliches, echtes lächerliches Küchenlatein
sein. Dies mag, noch am ersten hingehen, wenn es darauf ankommt, daß
wirklich Sinn und Empfindung in dem Geschreibsel sein soll. Die angebliche
Classicität bringt es nicht weiter als zur leeren Phrase und hohlen Grimasse.

Doch um von dieser kleinen Abschweifung wieder auf unser Thema zurück¬
zukehren, so versichern wir, und es wird leicht geglaubt werden, daß uns
das wahre, echte Deutsch in unseren Städtechroniken, Reimchroniken, Landes¬
geschichten des 14. Jahrhunderts sehr viel besser gefällt, als das Küchenlatein
ihrer gelehrten oder gelehrt sein wollenden Concurrenten. Aber wenn uns
das Küchenlatein schon besser gefiel als der klassische Kothurn des Hochmittel¬
alters, so gefällt uns das Deutsche noch unendlich besser. Und damit wäre denn
doch ein ganz bedeutsamer Vorzug dieser Historiographie, nicht bloß des ein¬
zelnen Schriftstellers vor dem Einzelnen allenfalls vergleichbaren, sondern der
ganzen Art und Gattung vor der verwandten der Vergangenheit begründet.
Die deutsche Gegenwart ist glücklicherweise in ihrer Rückbildung zu natür¬
licher, oder lateinisch ausgedrückt nationaler Cultur schon so weit gefördert,
daß sie mit uns derselben Meinung sein wird.

Mit dem Eindringen der Muttersprache in die Geschichtschreibung hat
es bei uns bekanntlich länger gedauert als bei mancher andern Nation dessel¬
ben mittelalterlichen Culturkreises. Sogar unter den romanischen Völkern hat
sich die Landessprache eher Bahn gebrochen, obwohl hier das Lateinische doch
eine viel weniger fremdartige Stellung einnimmt als in Deutschland und eben
deßhalb auch der Volksgeist viel eher einen leidlich zureichenden Ausdruck seines
Wesens in ihr finden konnte. Vollends da, wo sich außerhalb Deutschlands
eine deutsche oder germanische Nationalität als solche behauptete, wie in
dem Britannien der Angelsachsen oder in Scandinavien, gibt es gleichsam als


Eigenschaften jedes literarischen Productes, besonders aber eines solchen, wel¬
ches die Geschichte oder einen Ausschnitt aus der Geschichte der eigenen Hei¬
math und des eigenen Volkes darstellen will. Aber beide müssen, so scheint
uns selbstverständlich, sofort verschwinden, wenn man in einer frem¬
den Sprache das innerste Wesen des heimathlichen Geistes einzupferchen
sich genöthigt oder bewogen findet. Und je correcter oder kunstgerechter es
geschieht, desto schlimmer wird es diesem ergehen. Wer in einer fremden Sprache
stammelt, redet im Grunde seine eigene, nur in lächerlicher und ärgerlicher
Travestie, aber er redet sie doch. Es ist wohl ein eigen Ding mit der selbst¬
gefälligen Forderung unserer klassischen Zuchtmeister, die uns in unserer Ju¬
gend so viel Kopfbrechens und Zweifel verursacht hat, nicht bloß latei¬
nisch zu schreiben, sondern auch lateinisch zu denken. Genau besehen denkt
Niemand, der lateinisch schreibt, lateinisch, aber was er schreibt ist deßwegen,
weil es nicht lateinisch ist und es niemals werden kann, doch noch nicht oder
nicht mehr deutsch, es müßte denn wirkliches, echtes lächerliches Küchenlatein
sein. Dies mag, noch am ersten hingehen, wenn es darauf ankommt, daß
wirklich Sinn und Empfindung in dem Geschreibsel sein soll. Die angebliche
Classicität bringt es nicht weiter als zur leeren Phrase und hohlen Grimasse.

Doch um von dieser kleinen Abschweifung wieder auf unser Thema zurück¬
zukehren, so versichern wir, und es wird leicht geglaubt werden, daß uns
das wahre, echte Deutsch in unseren Städtechroniken, Reimchroniken, Landes¬
geschichten des 14. Jahrhunderts sehr viel besser gefällt, als das Küchenlatein
ihrer gelehrten oder gelehrt sein wollenden Concurrenten. Aber wenn uns
das Küchenlatein schon besser gefiel als der klassische Kothurn des Hochmittel¬
alters, so gefällt uns das Deutsche noch unendlich besser. Und damit wäre denn
doch ein ganz bedeutsamer Vorzug dieser Historiographie, nicht bloß des ein¬
zelnen Schriftstellers vor dem Einzelnen allenfalls vergleichbaren, sondern der
ganzen Art und Gattung vor der verwandten der Vergangenheit begründet.
Die deutsche Gegenwart ist glücklicherweise in ihrer Rückbildung zu natür¬
licher, oder lateinisch ausgedrückt nationaler Cultur schon so weit gefördert,
daß sie mit uns derselben Meinung sein wird.

Mit dem Eindringen der Muttersprache in die Geschichtschreibung hat
es bei uns bekanntlich länger gedauert als bei mancher andern Nation dessel¬
ben mittelalterlichen Culturkreises. Sogar unter den romanischen Völkern hat
sich die Landessprache eher Bahn gebrochen, obwohl hier das Lateinische doch
eine viel weniger fremdartige Stellung einnimmt als in Deutschland und eben
deßhalb auch der Volksgeist viel eher einen leidlich zureichenden Ausdruck seines
Wesens in ihr finden konnte. Vollends da, wo sich außerhalb Deutschlands
eine deutsche oder germanische Nationalität als solche behauptete, wie in
dem Britannien der Angelsachsen oder in Scandinavien, gibt es gleichsam als


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0379" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126655"/>
          <p xml:id="ID_1152" prev="#ID_1151"> Eigenschaften jedes literarischen Productes, besonders aber eines solchen, wel¬<lb/>
ches die Geschichte oder einen Ausschnitt aus der Geschichte der eigenen Hei¬<lb/>
math und des eigenen Volkes darstellen will. Aber beide müssen, so scheint<lb/>
uns selbstverständlich, sofort verschwinden, wenn man in einer frem¬<lb/>
den Sprache das innerste Wesen des heimathlichen Geistes einzupferchen<lb/>
sich genöthigt oder bewogen findet. Und je correcter oder kunstgerechter es<lb/>
geschieht, desto schlimmer wird es diesem ergehen. Wer in einer fremden Sprache<lb/>
stammelt, redet im Grunde seine eigene, nur in lächerlicher und ärgerlicher<lb/>
Travestie, aber er redet sie doch. Es ist wohl ein eigen Ding mit der selbst¬<lb/>
gefälligen Forderung unserer klassischen Zuchtmeister, die uns in unserer Ju¬<lb/>
gend so viel Kopfbrechens und Zweifel verursacht hat, nicht bloß latei¬<lb/>
nisch zu schreiben, sondern auch lateinisch zu denken. Genau besehen denkt<lb/>
Niemand, der lateinisch schreibt, lateinisch, aber was er schreibt ist deßwegen,<lb/>
weil es nicht lateinisch ist und es niemals werden kann, doch noch nicht oder<lb/>
nicht mehr deutsch, es müßte denn wirkliches, echtes lächerliches Küchenlatein<lb/>
sein. Dies mag, noch am ersten hingehen, wenn es darauf ankommt, daß<lb/>
wirklich Sinn und Empfindung in dem Geschreibsel sein soll. Die angebliche<lb/>
Classicität bringt es nicht weiter als zur leeren Phrase und hohlen Grimasse.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1153"> Doch um von dieser kleinen Abschweifung wieder auf unser Thema zurück¬<lb/>
zukehren, so versichern wir, und es wird leicht geglaubt werden, daß uns<lb/>
das wahre, echte Deutsch in unseren Städtechroniken, Reimchroniken, Landes¬<lb/>
geschichten des 14. Jahrhunderts sehr viel besser gefällt, als das Küchenlatein<lb/>
ihrer gelehrten oder gelehrt sein wollenden Concurrenten. Aber wenn uns<lb/>
das Küchenlatein schon besser gefiel als der klassische Kothurn des Hochmittel¬<lb/>
alters, so gefällt uns das Deutsche noch unendlich besser. Und damit wäre denn<lb/>
doch ein ganz bedeutsamer Vorzug dieser Historiographie, nicht bloß des ein¬<lb/>
zelnen Schriftstellers vor dem Einzelnen allenfalls vergleichbaren, sondern der<lb/>
ganzen Art und Gattung vor der verwandten der Vergangenheit begründet.<lb/>
Die deutsche Gegenwart ist glücklicherweise in ihrer Rückbildung zu natür¬<lb/>
licher, oder lateinisch ausgedrückt nationaler Cultur schon so weit gefördert,<lb/>
daß sie mit uns derselben Meinung sein wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1154" next="#ID_1155"> Mit dem Eindringen der Muttersprache in die Geschichtschreibung hat<lb/>
es bei uns bekanntlich länger gedauert als bei mancher andern Nation dessel¬<lb/>
ben mittelalterlichen Culturkreises. Sogar unter den romanischen Völkern hat<lb/>
sich die Landessprache eher Bahn gebrochen, obwohl hier das Lateinische doch<lb/>
eine viel weniger fremdartige Stellung einnimmt als in Deutschland und eben<lb/>
deßhalb auch der Volksgeist viel eher einen leidlich zureichenden Ausdruck seines<lb/>
Wesens in ihr finden konnte. Vollends da, wo sich außerhalb Deutschlands<lb/>
eine deutsche oder germanische Nationalität als solche behauptete, wie in<lb/>
dem Britannien der Angelsachsen oder in Scandinavien, gibt es gleichsam als</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0379] Eigenschaften jedes literarischen Productes, besonders aber eines solchen, wel¬ ches die Geschichte oder einen Ausschnitt aus der Geschichte der eigenen Hei¬ math und des eigenen Volkes darstellen will. Aber beide müssen, so scheint uns selbstverständlich, sofort verschwinden, wenn man in einer frem¬ den Sprache das innerste Wesen des heimathlichen Geistes einzupferchen sich genöthigt oder bewogen findet. Und je correcter oder kunstgerechter es geschieht, desto schlimmer wird es diesem ergehen. Wer in einer fremden Sprache stammelt, redet im Grunde seine eigene, nur in lächerlicher und ärgerlicher Travestie, aber er redet sie doch. Es ist wohl ein eigen Ding mit der selbst¬ gefälligen Forderung unserer klassischen Zuchtmeister, die uns in unserer Ju¬ gend so viel Kopfbrechens und Zweifel verursacht hat, nicht bloß latei¬ nisch zu schreiben, sondern auch lateinisch zu denken. Genau besehen denkt Niemand, der lateinisch schreibt, lateinisch, aber was er schreibt ist deßwegen, weil es nicht lateinisch ist und es niemals werden kann, doch noch nicht oder nicht mehr deutsch, es müßte denn wirkliches, echtes lächerliches Küchenlatein sein. Dies mag, noch am ersten hingehen, wenn es darauf ankommt, daß wirklich Sinn und Empfindung in dem Geschreibsel sein soll. Die angebliche Classicität bringt es nicht weiter als zur leeren Phrase und hohlen Grimasse. Doch um von dieser kleinen Abschweifung wieder auf unser Thema zurück¬ zukehren, so versichern wir, und es wird leicht geglaubt werden, daß uns das wahre, echte Deutsch in unseren Städtechroniken, Reimchroniken, Landes¬ geschichten des 14. Jahrhunderts sehr viel besser gefällt, als das Küchenlatein ihrer gelehrten oder gelehrt sein wollenden Concurrenten. Aber wenn uns das Küchenlatein schon besser gefiel als der klassische Kothurn des Hochmittel¬ alters, so gefällt uns das Deutsche noch unendlich besser. Und damit wäre denn doch ein ganz bedeutsamer Vorzug dieser Historiographie, nicht bloß des ein¬ zelnen Schriftstellers vor dem Einzelnen allenfalls vergleichbaren, sondern der ganzen Art und Gattung vor der verwandten der Vergangenheit begründet. Die deutsche Gegenwart ist glücklicherweise in ihrer Rückbildung zu natür¬ licher, oder lateinisch ausgedrückt nationaler Cultur schon so weit gefördert, daß sie mit uns derselben Meinung sein wird. Mit dem Eindringen der Muttersprache in die Geschichtschreibung hat es bei uns bekanntlich länger gedauert als bei mancher andern Nation dessel¬ ben mittelalterlichen Culturkreises. Sogar unter den romanischen Völkern hat sich die Landessprache eher Bahn gebrochen, obwohl hier das Lateinische doch eine viel weniger fremdartige Stellung einnimmt als in Deutschland und eben deßhalb auch der Volksgeist viel eher einen leidlich zureichenden Ausdruck seines Wesens in ihr finden konnte. Vollends da, wo sich außerhalb Deutschlands eine deutsche oder germanische Nationalität als solche behauptete, wie in dem Britannien der Angelsachsen oder in Scandinavien, gibt es gleichsam als

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/379
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/379>, abgerufen am 25.07.2024.