Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

cmzeiger" lebte die Erinnerung an die alte Freundschaft wieder auf, und er
fiel plötzlich so sehr aus seiner neu einstudirten Rolle, daß er im Bund mit
Sonnemann und Probst die Reden von Römer und Schmid aus Anlaß
des Antrags über die Abschaffung der Zeitungscautionen befehden zu müssen
glaubte. So viel ist jedenfalls gewiß und läßt sich trotz aller Schönfärberei
nicht leugnen, daß die schwäbischen Preßzustände bisher in jeder Beziehung
traurig waren und wohl auch in nächster Zeit bleiben werden. Das Uebel
liegt in der Kleinheit des Landes und in der bisher ^gegebenen Nothwendig¬
keit, specifisch württembergische Parteiblätter zu schaffen, deren, von dem offi-
ciellen Staatsanzeiger und dem von allen Parteien gelesenen Schwäbischen
Mercur abgesehen, im Ganzen nur drei, ein nationales, ein demokratisches
und ein ultramontanes existiren, welche sämmtlich in Stuttgart erscheinen.

Diese Blätter, welche ohne Unterschied unter derselben Calamität. dem
beschränkten Leserkreis und dem beschränkten Capital, zu leiden haben, im Zaum
zuhalten, bedürfte man allerdings, wenn man nur ernstlich wollte, des bundcs-
täglichen Mittels der Cautionsentziehung nicht: hierzu genügte, neben den
willkürlichen Maßregelungen, zu welchen das Preßgesetz legitimirte, die
längst bewährte Landesverweisung für auswärtige Journalisten, sobald die¬
selben wirklich unangenehm zu werden drohten, ein Mittel, dessen halbofficielle
Ankündigung schon Wunder zu wirken vermag, wobei wir übrigens gerne
constatiren, daß man Freese und den beiden anderen Redacteuren der "demo¬
kratischen Korrespondenz" zu ihren fortgesetzten Angriffen gegen Preußen Jahre
lang ein freundschaftliches Asyl im Lande gewährte. Inländern aber wußte
man die Uebernahme der Redaction solcher Parteiblätter, welche, wie wir an¬
gedeutet, dem Redacteur keine für die Dauer gesicherte Lebensstellung zu ge¬
währen vermögen, dadurch abzuschneiden, daß man den jungen Theologen
und Staatsdienstaspirantcn, welche sich hierzu geeignet hätten, jedes spätere
Unterkommen im Staats- oder KirchendieM im Voraus versagte. Die politi¬
schen Parteien sind daher regelmäßig für ihre Redactionen entweder auf ab¬
gebrannte inländische Subjecte, deren Verwendung in einem kleinen Land, wo
jeder die Antecedentien des Andern kennt, ein Blatt von Anfang an ruiniren
würde, oder aber auf Ausländer verwiesen, wie denn auch dermalen sämmtliche
Parteiblätter der nationalen wie der demokratischen Richtung trotz ihrer spe¬
cifisch-schwäbischen Aufgabe, auf welcher allein ihre Berechtigung zur Existenz
beruht, sich in den Händen auswärtiger Redacteure befinden. Nachdem nun¬
mehr mit dem Eintritts in das deutsche Reich wenigstens gegenüber von Neichsange-
hörigen jene ultirrm ra.dio (die Ausweisung) hinweggefallen war, hat denn auch das
Ministerium sofort die Unhaltbarkeit der bisherigen Preßgesetzgebung erkannt
und deßhalb schon in Versailles sich den Uebergang dieser und der Gesetzgebung
über das Vereinswesen an das Reich ausbedungen. Um so mehr wäre für


cmzeiger" lebte die Erinnerung an die alte Freundschaft wieder auf, und er
fiel plötzlich so sehr aus seiner neu einstudirten Rolle, daß er im Bund mit
Sonnemann und Probst die Reden von Römer und Schmid aus Anlaß
des Antrags über die Abschaffung der Zeitungscautionen befehden zu müssen
glaubte. So viel ist jedenfalls gewiß und läßt sich trotz aller Schönfärberei
nicht leugnen, daß die schwäbischen Preßzustände bisher in jeder Beziehung
traurig waren und wohl auch in nächster Zeit bleiben werden. Das Uebel
liegt in der Kleinheit des Landes und in der bisher ^gegebenen Nothwendig¬
keit, specifisch württembergische Parteiblätter zu schaffen, deren, von dem offi-
ciellen Staatsanzeiger und dem von allen Parteien gelesenen Schwäbischen
Mercur abgesehen, im Ganzen nur drei, ein nationales, ein demokratisches
und ein ultramontanes existiren, welche sämmtlich in Stuttgart erscheinen.

Diese Blätter, welche ohne Unterschied unter derselben Calamität. dem
beschränkten Leserkreis und dem beschränkten Capital, zu leiden haben, im Zaum
zuhalten, bedürfte man allerdings, wenn man nur ernstlich wollte, des bundcs-
täglichen Mittels der Cautionsentziehung nicht: hierzu genügte, neben den
willkürlichen Maßregelungen, zu welchen das Preßgesetz legitimirte, die
längst bewährte Landesverweisung für auswärtige Journalisten, sobald die¬
selben wirklich unangenehm zu werden drohten, ein Mittel, dessen halbofficielle
Ankündigung schon Wunder zu wirken vermag, wobei wir übrigens gerne
constatiren, daß man Freese und den beiden anderen Redacteuren der „demo¬
kratischen Korrespondenz" zu ihren fortgesetzten Angriffen gegen Preußen Jahre
lang ein freundschaftliches Asyl im Lande gewährte. Inländern aber wußte
man die Uebernahme der Redaction solcher Parteiblätter, welche, wie wir an¬
gedeutet, dem Redacteur keine für die Dauer gesicherte Lebensstellung zu ge¬
währen vermögen, dadurch abzuschneiden, daß man den jungen Theologen
und Staatsdienstaspirantcn, welche sich hierzu geeignet hätten, jedes spätere
Unterkommen im Staats- oder KirchendieM im Voraus versagte. Die politi¬
schen Parteien sind daher regelmäßig für ihre Redactionen entweder auf ab¬
gebrannte inländische Subjecte, deren Verwendung in einem kleinen Land, wo
jeder die Antecedentien des Andern kennt, ein Blatt von Anfang an ruiniren
würde, oder aber auf Ausländer verwiesen, wie denn auch dermalen sämmtliche
Parteiblätter der nationalen wie der demokratischen Richtung trotz ihrer spe¬
cifisch-schwäbischen Aufgabe, auf welcher allein ihre Berechtigung zur Existenz
beruht, sich in den Händen auswärtiger Redacteure befinden. Nachdem nun¬
mehr mit dem Eintritts in das deutsche Reich wenigstens gegenüber von Neichsange-
hörigen jene ultirrm ra.dio (die Ausweisung) hinweggefallen war, hat denn auch das
Ministerium sofort die Unhaltbarkeit der bisherigen Preßgesetzgebung erkannt
und deßhalb schon in Versailles sich den Uebergang dieser und der Gesetzgebung
über das Vereinswesen an das Reich ausbedungen. Um so mehr wäre für


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0036" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126352"/>
          <p xml:id="ID_66" prev="#ID_65"> cmzeiger" lebte die Erinnerung an die alte Freundschaft wieder auf, und er<lb/>
fiel plötzlich so sehr aus seiner neu einstudirten Rolle, daß er im Bund mit<lb/>
Sonnemann und Probst die Reden von Römer und Schmid aus Anlaß<lb/>
des Antrags über die Abschaffung der Zeitungscautionen befehden zu müssen<lb/>
glaubte. So viel ist jedenfalls gewiß und läßt sich trotz aller Schönfärberei<lb/>
nicht leugnen, daß die schwäbischen Preßzustände bisher in jeder Beziehung<lb/>
traurig waren und wohl auch in nächster Zeit bleiben werden. Das Uebel<lb/>
liegt in der Kleinheit des Landes und in der bisher ^gegebenen Nothwendig¬<lb/>
keit, specifisch württembergische Parteiblätter zu schaffen, deren, von dem offi-<lb/>
ciellen Staatsanzeiger und dem von allen Parteien gelesenen Schwäbischen<lb/>
Mercur abgesehen, im Ganzen nur drei, ein nationales, ein demokratisches<lb/>
und ein ultramontanes existiren, welche sämmtlich in Stuttgart erscheinen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_67" next="#ID_68"> Diese Blätter, welche ohne Unterschied unter derselben Calamität. dem<lb/>
beschränkten Leserkreis und dem beschränkten Capital, zu leiden haben, im Zaum<lb/>
zuhalten, bedürfte man allerdings, wenn man nur ernstlich wollte, des bundcs-<lb/>
täglichen Mittels der Cautionsentziehung nicht: hierzu genügte, neben den<lb/>
willkürlichen Maßregelungen, zu welchen das Preßgesetz legitimirte, die<lb/>
längst bewährte Landesverweisung für auswärtige Journalisten, sobald die¬<lb/>
selben wirklich unangenehm zu werden drohten, ein Mittel, dessen halbofficielle<lb/>
Ankündigung schon Wunder zu wirken vermag, wobei wir übrigens gerne<lb/>
constatiren, daß man Freese und den beiden anderen Redacteuren der &#x201E;demo¬<lb/>
kratischen Korrespondenz" zu ihren fortgesetzten Angriffen gegen Preußen Jahre<lb/>
lang ein freundschaftliches Asyl im Lande gewährte. Inländern aber wußte<lb/>
man die Uebernahme der Redaction solcher Parteiblätter, welche, wie wir an¬<lb/>
gedeutet, dem Redacteur keine für die Dauer gesicherte Lebensstellung zu ge¬<lb/>
währen vermögen, dadurch abzuschneiden, daß man den jungen Theologen<lb/>
und Staatsdienstaspirantcn, welche sich hierzu geeignet hätten, jedes spätere<lb/>
Unterkommen im Staats- oder KirchendieM im Voraus versagte. Die politi¬<lb/>
schen Parteien sind daher regelmäßig für ihre Redactionen entweder auf ab¬<lb/>
gebrannte inländische Subjecte, deren Verwendung in einem kleinen Land, wo<lb/>
jeder die Antecedentien des Andern kennt, ein Blatt von Anfang an ruiniren<lb/>
würde, oder aber auf Ausländer verwiesen, wie denn auch dermalen sämmtliche<lb/>
Parteiblätter der nationalen wie der demokratischen Richtung trotz ihrer spe¬<lb/>
cifisch-schwäbischen Aufgabe, auf welcher allein ihre Berechtigung zur Existenz<lb/>
beruht, sich in den Händen auswärtiger Redacteure befinden. Nachdem nun¬<lb/>
mehr mit dem Eintritts in das deutsche Reich wenigstens gegenüber von Neichsange-<lb/>
hörigen jene ultirrm ra.dio (die Ausweisung) hinweggefallen war, hat denn auch das<lb/>
Ministerium sofort die Unhaltbarkeit der bisherigen Preßgesetzgebung erkannt<lb/>
und deßhalb schon in Versailles sich den Uebergang dieser und der Gesetzgebung<lb/>
über das Vereinswesen an das Reich ausbedungen.  Um so mehr wäre für</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0036] cmzeiger" lebte die Erinnerung an die alte Freundschaft wieder auf, und er fiel plötzlich so sehr aus seiner neu einstudirten Rolle, daß er im Bund mit Sonnemann und Probst die Reden von Römer und Schmid aus Anlaß des Antrags über die Abschaffung der Zeitungscautionen befehden zu müssen glaubte. So viel ist jedenfalls gewiß und läßt sich trotz aller Schönfärberei nicht leugnen, daß die schwäbischen Preßzustände bisher in jeder Beziehung traurig waren und wohl auch in nächster Zeit bleiben werden. Das Uebel liegt in der Kleinheit des Landes und in der bisher ^gegebenen Nothwendig¬ keit, specifisch württembergische Parteiblätter zu schaffen, deren, von dem offi- ciellen Staatsanzeiger und dem von allen Parteien gelesenen Schwäbischen Mercur abgesehen, im Ganzen nur drei, ein nationales, ein demokratisches und ein ultramontanes existiren, welche sämmtlich in Stuttgart erscheinen. Diese Blätter, welche ohne Unterschied unter derselben Calamität. dem beschränkten Leserkreis und dem beschränkten Capital, zu leiden haben, im Zaum zuhalten, bedürfte man allerdings, wenn man nur ernstlich wollte, des bundcs- täglichen Mittels der Cautionsentziehung nicht: hierzu genügte, neben den willkürlichen Maßregelungen, zu welchen das Preßgesetz legitimirte, die längst bewährte Landesverweisung für auswärtige Journalisten, sobald die¬ selben wirklich unangenehm zu werden drohten, ein Mittel, dessen halbofficielle Ankündigung schon Wunder zu wirken vermag, wobei wir übrigens gerne constatiren, daß man Freese und den beiden anderen Redacteuren der „demo¬ kratischen Korrespondenz" zu ihren fortgesetzten Angriffen gegen Preußen Jahre lang ein freundschaftliches Asyl im Lande gewährte. Inländern aber wußte man die Uebernahme der Redaction solcher Parteiblätter, welche, wie wir an¬ gedeutet, dem Redacteur keine für die Dauer gesicherte Lebensstellung zu ge¬ währen vermögen, dadurch abzuschneiden, daß man den jungen Theologen und Staatsdienstaspirantcn, welche sich hierzu geeignet hätten, jedes spätere Unterkommen im Staats- oder KirchendieM im Voraus versagte. Die politi¬ schen Parteien sind daher regelmäßig für ihre Redactionen entweder auf ab¬ gebrannte inländische Subjecte, deren Verwendung in einem kleinen Land, wo jeder die Antecedentien des Andern kennt, ein Blatt von Anfang an ruiniren würde, oder aber auf Ausländer verwiesen, wie denn auch dermalen sämmtliche Parteiblätter der nationalen wie der demokratischen Richtung trotz ihrer spe¬ cifisch-schwäbischen Aufgabe, auf welcher allein ihre Berechtigung zur Existenz beruht, sich in den Händen auswärtiger Redacteure befinden. Nachdem nun¬ mehr mit dem Eintritts in das deutsche Reich wenigstens gegenüber von Neichsange- hörigen jene ultirrm ra.dio (die Ausweisung) hinweggefallen war, hat denn auch das Ministerium sofort die Unhaltbarkeit der bisherigen Preßgesetzgebung erkannt und deßhalb schon in Versailles sich den Uebergang dieser und der Gesetzgebung über das Vereinswesen an das Reich ausbedungen. Um so mehr wäre für

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/36
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/36>, abgerufen am 24.07.2024.