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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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zu ersticken, so ist unser Vaterland unwiederbringlich zu Grunde gerichtet."
Schlimmere Aeußerungen desselben Fanatismus können in den "Personalien"
von Friedrich Jacobs (S. 378 ffl. 404) nachgelesen werden. Auch Oestreich
fand in den Augen solcher Männer begreiflicher Weise keine Gnade, wie es
denn in den "Materialien zur Geschichte des östreichischen Revolutionirungs-
Systems" (Heft 1. 1809. S. 25) heißt: "Mag es auch unter uns
einige gegeben haben, welche von Oestreichs Siegen die Rückkehr eines ihrem
Stolze und Eigennutze schmeichelnden Systems hofften oder andere, die durch
einseitige Stuben-Ideen erwärmt in den Slaven der östreichischen Armee die
Vertheidiger einer erträumten Deutschheit mit Freuden erblickten, ihre Anzahl
war unbedeutend und ihr Streben, auf die allgemeine Stimmung zu wirken,
ohne Folge."

Auch der Gegensatz zwischen Oestreich und Preußen ruhte nicht.
Als Oestreich im Jahre 1807 Miene machte, sich an die Spitze der deutschen
Idee zu stellen, fanden sich im nördlichen Deutschland nur wenige, die dieser
Hülfe ihre Hoffnung zuwandten. Henrik Steffens (Was ich erlebte. Bd. 6.
S. 174) war überzeugt, daß "die ganze Zukunft Deutschlands eine schiefe
Richtung erhielt, wenn sie vorbereitet wurde durch einen Staat, dessen italie¬
nische, magyarische und slavische Elemente eine in diese seltsame Verbindung
hereingezogene deutsche Nationalität enthielten." Vereinzelt waren Männer,
wie Leo Seckendorf und Jakob Salomo Bartholdy, die an dem Kampfe
Oestreichs thätigen Antheil nahmen. Die Schlacht bei Jena trug aber auch
wenig dazu bei, den Gegensatz zwischen Preußen und dem übrigen nördlichen
Deutschland zu vermindern. Die Bewohner von Münster, vorzüglich der
Adel, jubelten den Franzosen als den Befreiern von preußischer Herrschaft zu.
Hannover war das Object der unglücklichsten Mißgriffe der preußischen Po¬
litik gewesen.

Wenn wir alle Erscheinungen der deutschen Erniedrigung in's Auge fassen,
wenn wir die thatsächlichen Schwierigkeiten der Befreiung erkennen, wie hoch
erhebt sich dann das Verdienst der Wenigen, die hoffnungsvoll in Mitten der
Verzweiflung, voll edler Liebe und edlen Hasses in Mitte eines Geistes lieb¬
loser Gemeinheit und knechtischer Unterwerfung die Flamme der Begeisterung
nährten. Der stolzeste Titel, den die Geschichte zu vergeben hat, ist der Name
Reformator. Die Napoleonische Zeit hat keinen unter den Genossen so her¬
vorragenden Mann hervorgebracht, der sich im Volksbewußtsein den Namen
eines politischen Reformators erworben hätte. Aber in der Vielheit von
Männern, welche sich in den Ruhm reformatorischer Wirksamkeit theilen,
nehmen Fichte und Arndt eine hohe Stelle ein.


zu ersticken, so ist unser Vaterland unwiederbringlich zu Grunde gerichtet."
Schlimmere Aeußerungen desselben Fanatismus können in den „Personalien"
von Friedrich Jacobs (S. 378 ffl. 404) nachgelesen werden. Auch Oestreich
fand in den Augen solcher Männer begreiflicher Weise keine Gnade, wie es
denn in den „Materialien zur Geschichte des östreichischen Revolutionirungs-
Systems" (Heft 1. 1809. S. 25) heißt: „Mag es auch unter uns
einige gegeben haben, welche von Oestreichs Siegen die Rückkehr eines ihrem
Stolze und Eigennutze schmeichelnden Systems hofften oder andere, die durch
einseitige Stuben-Ideen erwärmt in den Slaven der östreichischen Armee die
Vertheidiger einer erträumten Deutschheit mit Freuden erblickten, ihre Anzahl
war unbedeutend und ihr Streben, auf die allgemeine Stimmung zu wirken,
ohne Folge."

Auch der Gegensatz zwischen Oestreich und Preußen ruhte nicht.
Als Oestreich im Jahre 1807 Miene machte, sich an die Spitze der deutschen
Idee zu stellen, fanden sich im nördlichen Deutschland nur wenige, die dieser
Hülfe ihre Hoffnung zuwandten. Henrik Steffens (Was ich erlebte. Bd. 6.
S. 174) war überzeugt, daß „die ganze Zukunft Deutschlands eine schiefe
Richtung erhielt, wenn sie vorbereitet wurde durch einen Staat, dessen italie¬
nische, magyarische und slavische Elemente eine in diese seltsame Verbindung
hereingezogene deutsche Nationalität enthielten." Vereinzelt waren Männer,
wie Leo Seckendorf und Jakob Salomo Bartholdy, die an dem Kampfe
Oestreichs thätigen Antheil nahmen. Die Schlacht bei Jena trug aber auch
wenig dazu bei, den Gegensatz zwischen Preußen und dem übrigen nördlichen
Deutschland zu vermindern. Die Bewohner von Münster, vorzüglich der
Adel, jubelten den Franzosen als den Befreiern von preußischer Herrschaft zu.
Hannover war das Object der unglücklichsten Mißgriffe der preußischen Po¬
litik gewesen.

Wenn wir alle Erscheinungen der deutschen Erniedrigung in's Auge fassen,
wenn wir die thatsächlichen Schwierigkeiten der Befreiung erkennen, wie hoch
erhebt sich dann das Verdienst der Wenigen, die hoffnungsvoll in Mitten der
Verzweiflung, voll edler Liebe und edlen Hasses in Mitte eines Geistes lieb¬
loser Gemeinheit und knechtischer Unterwerfung die Flamme der Begeisterung
nährten. Der stolzeste Titel, den die Geschichte zu vergeben hat, ist der Name
Reformator. Die Napoleonische Zeit hat keinen unter den Genossen so her¬
vorragenden Mann hervorgebracht, der sich im Volksbewußtsein den Namen
eines politischen Reformators erworben hätte. Aber in der Vielheit von
Männern, welche sich in den Ruhm reformatorischer Wirksamkeit theilen,
nehmen Fichte und Arndt eine hohe Stelle ein.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/354>, abgerufen am 24.07.2024.