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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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muthig will." Am 29. Januar 1807 hielt er in der Berliner Akademie der
Wissenschaften die von Goethe übersetzte französische Gedächtnißrede auf Fried¬
rich den Großen, in welcher zwar "jedes Wörtchen abgewogen" war, um "die
Scylla und Charybdis" des Beleidigens der siegreichen oder der unterlegenen
Partei zu vermeiden, die aber doch von deutscher Seite einen wahren Sturm
gegen ihn hervorrief. Er ließ sich sogar durch den "Willen deß, der nie un¬
kräftig will," (Müller an Böttiger, Cassel, 16. Febr. 1808) nöthigen, im
Dienste des Königreichs Westphalen Ehren anzunehmen, die er "mit Scheu
und Gram" antrat und mit bitteren Leiden und einem beschleunigten Tod
bezahlte.

Während das Verhalten der beiden Genannten wegen ihrer Stellung
innerhalb des deutschen Volks Erwähnung verdiente, sind Andere nur wegen
ihres Verhaltens unter dem Einflüsse der "neuen Ordnung der Dinge" merk¬
würdig.

Der Graf Benzel-Sternau, eine Zeit lang Minister des Großher¬
zogs von Frankfurt, der am 13. April 1806 (an Böttiger) geschrieben hatte:
"Fest bei der guten Sache auszuhalten, mit der That des Geistes fortzuwir¬
ken, wo die That des gewöhnlichen Lebens nicht zugelassen wird, die wahre
innere Freiheit in sich, somit auch für andere zu erhalten, das ist etwas,
was keiner Politik unterliegt und von dem, der Achtung für sich selbst behal¬
ten will, auch keiner Politik unterworfen werden darf," verfaßte nachstehende
Dithyramben (in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift "Jason", 1808.
Bd. 1, S. 363), die wir als Gestnnungs- und zugleich als Stilprobe mit¬
theilen: "Hätte das in seinen ergrauten Formen so tief gesunkne, in dem
Endverfall dieser Formreste so öd verwaiste Teutschland dem Genius Napo¬
leons auch nur die neue Sanction der Stände-Verfassung, die Rettung und
Verjüngung der heiligen Eiche, an die so manche einheimische, juristisch-un-
publicistische, beschränkt-theoretische, menschen-unkundige und Willkür-lüsterne
Aextler ihre Beilschärfen setzten, hätte ihm Teutschland nur die neu ausgestat¬
tete Erhaltung dieses Kleinods in diesem Augenblicke, die Gabe eines rein kö¬
niglichen und menschenkennend- und liebend bestimmten Monarchen-Systems
auf dem gesetzlich gegründeten Throne, das kräftige Wirken desselben in der selbst¬
begrenzten, auf feierlicher Genehmigung des bürgerlichen Gesellschafts-Vertrags
gegründeten Bahn zur Wiederbelebung des frei sich entwickelnden, eonstitutio-
nel beseelten, dem höhern Staatszwecke zustrebenden Geistes zu danken, wahr¬
lich! schon diese Gaben wären unsterblich, wie der Dank für solche es sein
muß, und die Thräne über vorübergehendes Leiden entweiche dem Auge des
Bessern, Weihern, Stärkern beiden: Blick auf den Segen der Zukunft." Ueber
Fichte's "Reden an die deutsche Nation" urtheilte derselbe folgendermaßen
(1809. Bd. 1, S. 420): "Wenn der Mensch seiner Wiege entwächst, so


muthig will." Am 29. Januar 1807 hielt er in der Berliner Akademie der
Wissenschaften die von Goethe übersetzte französische Gedächtnißrede auf Fried¬
rich den Großen, in welcher zwar „jedes Wörtchen abgewogen" war, um „die
Scylla und Charybdis" des Beleidigens der siegreichen oder der unterlegenen
Partei zu vermeiden, die aber doch von deutscher Seite einen wahren Sturm
gegen ihn hervorrief. Er ließ sich sogar durch den „Willen deß, der nie un¬
kräftig will," (Müller an Böttiger, Cassel, 16. Febr. 1808) nöthigen, im
Dienste des Königreichs Westphalen Ehren anzunehmen, die er „mit Scheu
und Gram" antrat und mit bitteren Leiden und einem beschleunigten Tod
bezahlte.

Während das Verhalten der beiden Genannten wegen ihrer Stellung
innerhalb des deutschen Volks Erwähnung verdiente, sind Andere nur wegen
ihres Verhaltens unter dem Einflüsse der „neuen Ordnung der Dinge" merk¬
würdig.

Der Graf Benzel-Sternau, eine Zeit lang Minister des Großher¬
zogs von Frankfurt, der am 13. April 1806 (an Böttiger) geschrieben hatte:
„Fest bei der guten Sache auszuhalten, mit der That des Geistes fortzuwir¬
ken, wo die That des gewöhnlichen Lebens nicht zugelassen wird, die wahre
innere Freiheit in sich, somit auch für andere zu erhalten, das ist etwas,
was keiner Politik unterliegt und von dem, der Achtung für sich selbst behal¬
ten will, auch keiner Politik unterworfen werden darf," verfaßte nachstehende
Dithyramben (in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift „Jason", 1808.
Bd. 1, S. 363), die wir als Gestnnungs- und zugleich als Stilprobe mit¬
theilen: „Hätte das in seinen ergrauten Formen so tief gesunkne, in dem
Endverfall dieser Formreste so öd verwaiste Teutschland dem Genius Napo¬
leons auch nur die neue Sanction der Stände-Verfassung, die Rettung und
Verjüngung der heiligen Eiche, an die so manche einheimische, juristisch-un-
publicistische, beschränkt-theoretische, menschen-unkundige und Willkür-lüsterne
Aextler ihre Beilschärfen setzten, hätte ihm Teutschland nur die neu ausgestat¬
tete Erhaltung dieses Kleinods in diesem Augenblicke, die Gabe eines rein kö¬
niglichen und menschenkennend- und liebend bestimmten Monarchen-Systems
auf dem gesetzlich gegründeten Throne, das kräftige Wirken desselben in der selbst¬
begrenzten, auf feierlicher Genehmigung des bürgerlichen Gesellschafts-Vertrags
gegründeten Bahn zur Wiederbelebung des frei sich entwickelnden, eonstitutio-
nel beseelten, dem höhern Staatszwecke zustrebenden Geistes zu danken, wahr¬
lich! schon diese Gaben wären unsterblich, wie der Dank für solche es sein
muß, und die Thräne über vorübergehendes Leiden entweiche dem Auge des
Bessern, Weihern, Stärkern beiden: Blick auf den Segen der Zukunft." Ueber
Fichte's „Reden an die deutsche Nation" urtheilte derselbe folgendermaßen
(1809. Bd. 1, S. 420): „Wenn der Mensch seiner Wiege entwächst, so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/351>, abgerufen am 24.07.2024.