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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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sehr merklich von der Schönheit der Erfindung ab. Aus anderen Schulen ist
in derselben Sammlung noch eine frühe, im Stil des Fra Beato Angelico
befangene Arbeit des Benozza Gozzoli, (eine Madonna mit vier Heiligen
von 1436); eine sehr schöne Madonna des Fra Beato Angelico selbst;
ein noch befangnes Altarbild des Piero della Francesco; sowie ein schönes,
aber verdorbnes Frescobild des Luca Signorelli, Madonna mit vielen
Heiligen, zu erwähnen. Zu den Perlen der Galerie gehören aber.schließlich
zwei Bilder des Sassoferrato, besonders ein Madonnenköpfchen. Es ist
wunderbar, wie dieser Meister, inmitten einer Zeit kalter Manierirtheit, eine
so reine und zarte Gefühlsinnigkeit, die nur in den Madonnenreliefs der
Florentiner Frührenaissance ihres Gleichen wiederfindet, mit einer so hohen
Vollendung der Zeichnung -- und in den Köpfen selbst der Farbe -- zu
vereinigen wußte!

Von der Academie begaben wir uns durch das kleine Thal zur gegen¬
überliegenden Anhöhe, wo S. Benardino steht, ein Weg, dessen landschaft¬
lichen Zauber wir schon am Abend zuvor bewundert hatten. Die Fassade
der Klosterkapelle, an deren rechter Seite eine Treppe zum Kreuzgang des
Klosterhoses hinabführt, gehört zu einer der zierlichsten Fassaden der Früh-
renaissance, besonders was die Sculpturen und die polychrome Behandlung
anbetrifft. Sie ist ein Werk des Florentiner Bildhauers Agostino d'Antonio
' ti Ghuccio, der sie bis zum Jahre 1461 herstellte, wie außer den von Ru¬
mohr veröffentlichten Urkunden auch eine Inschrift meldet, welche lautet:
Opus ^ugustmi ?1ol'6ulmi I^pjoiäke. ^u^>u8eg. ?<zrugis Es
ist dieß derselbe Bildhauer, der im Jahre 1464 den Auftrag bekam, für die
Ausschmückung des Doms eine Riesenfigur von Marmor herzustellen. Da er
jedoch Nichts zu Stande brachte, so blieb der Block liegen und wurde später
von Michelangelo zu seinem David benützt. Wenn nun auch Antonio so
großen Aufgaben nicht gewachsen war, so wußte er doch ein schönes Talent
in kleineren decorativer Sculpturen, wie diese hier zu entfalten. Die Anord¬
nung der Fassade ist in kurzen Worten folgende. Zwei Pilaster, mit je zwei
Nischen übereinander, tragen das Gebälk, worüber sich ein Tympanon mit
Christus und betenden Engeln erhebt. Innerhalb dieser Pilaster schrägt sich
ein auf Seitenpfosten ruhender Bogen nach Innen ab, dessen Zwickel mit
Medaillons geschmückt sind. Innerhalb der Schrägung befinden sich neben¬
einander zwei reich von Plastik umrahmte viereckige Thüren und darüber eine
Lünette, mit der Anbetung der Jungfrau durch zwei Reihen von Engeln.
An beiden Seiten der bogentragenden Pfosten finden sich je drei oblonge
Relieffelder mit musicirenden Engeln übereinander, also 12 im Ganzen. Je
tiefer um so flacher, je höher um so erhabener sind diese Relieffiguren be¬
handelt , in weiser Berechnung des Effects für das Auge. Ein jedes der Fel-


Grmzboten II. 1871. 4Z

sehr merklich von der Schönheit der Erfindung ab. Aus anderen Schulen ist
in derselben Sammlung noch eine frühe, im Stil des Fra Beato Angelico
befangene Arbeit des Benozza Gozzoli, (eine Madonna mit vier Heiligen
von 1436); eine sehr schöne Madonna des Fra Beato Angelico selbst;
ein noch befangnes Altarbild des Piero della Francesco; sowie ein schönes,
aber verdorbnes Frescobild des Luca Signorelli, Madonna mit vielen
Heiligen, zu erwähnen. Zu den Perlen der Galerie gehören aber.schließlich
zwei Bilder des Sassoferrato, besonders ein Madonnenköpfchen. Es ist
wunderbar, wie dieser Meister, inmitten einer Zeit kalter Manierirtheit, eine
so reine und zarte Gefühlsinnigkeit, die nur in den Madonnenreliefs der
Florentiner Frührenaissance ihres Gleichen wiederfindet, mit einer so hohen
Vollendung der Zeichnung — und in den Köpfen selbst der Farbe — zu
vereinigen wußte!

Von der Academie begaben wir uns durch das kleine Thal zur gegen¬
überliegenden Anhöhe, wo S. Benardino steht, ein Weg, dessen landschaft¬
lichen Zauber wir schon am Abend zuvor bewundert hatten. Die Fassade
der Klosterkapelle, an deren rechter Seite eine Treppe zum Kreuzgang des
Klosterhoses hinabführt, gehört zu einer der zierlichsten Fassaden der Früh-
renaissance, besonders was die Sculpturen und die polychrome Behandlung
anbetrifft. Sie ist ein Werk des Florentiner Bildhauers Agostino d'Antonio
' ti Ghuccio, der sie bis zum Jahre 1461 herstellte, wie außer den von Ru¬
mohr veröffentlichten Urkunden auch eine Inschrift meldet, welche lautet:
Opus ^ugustmi ?1ol'6ulmi I^pjoiäke. ^u^>u8eg. ?<zrugis Es
ist dieß derselbe Bildhauer, der im Jahre 1464 den Auftrag bekam, für die
Ausschmückung des Doms eine Riesenfigur von Marmor herzustellen. Da er
jedoch Nichts zu Stande brachte, so blieb der Block liegen und wurde später
von Michelangelo zu seinem David benützt. Wenn nun auch Antonio so
großen Aufgaben nicht gewachsen war, so wußte er doch ein schönes Talent
in kleineren decorativer Sculpturen, wie diese hier zu entfalten. Die Anord¬
nung der Fassade ist in kurzen Worten folgende. Zwei Pilaster, mit je zwei
Nischen übereinander, tragen das Gebälk, worüber sich ein Tympanon mit
Christus und betenden Engeln erhebt. Innerhalb dieser Pilaster schrägt sich
ein auf Seitenpfosten ruhender Bogen nach Innen ab, dessen Zwickel mit
Medaillons geschmückt sind. Innerhalb der Schrägung befinden sich neben¬
einander zwei reich von Plastik umrahmte viereckige Thüren und darüber eine
Lünette, mit der Anbetung der Jungfrau durch zwei Reihen von Engeln.
An beiden Seiten der bogentragenden Pfosten finden sich je drei oblonge
Relieffelder mit musicirenden Engeln übereinander, also 12 im Ganzen. Je
tiefer um so flacher, je höher um so erhabener sind diese Relieffiguren be¬
handelt , in weiser Berechnung des Effects für das Auge. Ein jedes der Fel-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/345>, abgerufen am 25.07.2024.