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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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daß er ihnen pauhn et eil-esuses bot, so viel in seiner Macht stand, ist be¬
kannt. Aber diese Wohlthaten befriedigten die von den ehrgeizigen und fana¬
tischen Führern der socialistischen Secten genährten utopistischen Wünsche der
Arbeiter keineswegs, und ihre Wirkungen auf das wogende Meer der haupt¬
städtischen Bevölkerung waren daher nur gering; die Gefahr eines revolu¬
tionären Handstreichs schwebte unausgesetzt über dem Haupte des Kaisers.
Dies sah Napoleon denn auch sehr wohl ein und in seiner geräuschlosen Weise
rüstete er sich im Voraus, einem solchen durch ein wohl zusammenhängendes
militärisches Vertheidigungssystem zu begegnen. Wie vortrefflich ausgesonnen
dies System war, ergibt sich aus der Furcht, die es den Massen einflößte;
trotz der beispiellosen Heftigkeit und Erbitterung, mit der die Presse den Kai¬
ser 1869 während feiner Krankheit und der dadurch verursachten Schwächung
seiner Thatkraft verfolgte, erschöpfte sich der Muth der Opposition in einigen
ziellosen Straßencravallen, deren leichte Unterdrückung in dem Kaiser nur
das Bewußtsein seiner militärischen Ueberlegenheit über das hauptstädtische
Proletariat befestigte. Der Sturz des Kaiserthums erfolgte erst dann, als
die furchtbaren Niederlagen im Felde Napoleon genöthigt hatten, die Haupt¬
stadt sich selbst zu überlassen; die Macht des Kaisers mußte erst durch die
deutsche Kraft zertrümmert werden, ehe die Pariser wagen konnten, das
lange getragene verhaßte Joch abzuschütteln

Durch die zwanzigjährige Beherrschung der Hauptstadt hat der Kaiser
den Beweis geliefert, daß seine Macht stärker war als das Geld und die
staatsmünnische Schulung des Bürgerthums, und die leidenschaftliche Erregung
der Arbeiterclassen. Das Plebiscit zeigte, daß die Ergebenheit des Bauern¬
standes durch die Angriffe und Anklagen seiner Feinde nicht erschüttert war.
Das Bündniß des Bonapartismus mit dem Clerus hatte sich unausgesetzt
und dauernd bewährt. Der Bauernstand, wie er den Staatsstreich sanctionirt
hatte, war der Sache des Kaisers treu geblieben. Wie weih diese Ergeben¬
heit auf Anhänglichkeit an den Kaiser und auf der Gewalt der napoleonischen
Tradition, wie weit sie auf dem Einfluß des Clerus, wie'weit auf unermüd¬
licher Einwirkung des Präfectenthums beruhte, das läßt sich gar nicht im
Einzelnen auseinander halten. Nur so viel steht fest, daß der stoßweise wir¬
kenden Macht des städtischen vierten Standes ein ländlicher vierter Stand
gegenüber getreten war, der in seinem schwerfälligen Beharrungsvermögen
jenem .nicht nur das Gegengewicht hielt, sondern ihm entschieden überlegen
War; natürlich (das darf man nicht aus dem Auge verlieren) nur so lange
die Staatsgewalt vermittelst ihrer bewaffneten Macht die Hauptstadt im
Zaum zu halten vermochte.

Daß der Gegensatz zwischen den großen Städten und dem flachen Lande,
der gegenwärtig eine so verhängnißvolle Bedeutung erlangt hat, unter dem


Grenzboten II. 1871. 42

daß er ihnen pauhn et eil-esuses bot, so viel in seiner Macht stand, ist be¬
kannt. Aber diese Wohlthaten befriedigten die von den ehrgeizigen und fana¬
tischen Führern der socialistischen Secten genährten utopistischen Wünsche der
Arbeiter keineswegs, und ihre Wirkungen auf das wogende Meer der haupt¬
städtischen Bevölkerung waren daher nur gering; die Gefahr eines revolu¬
tionären Handstreichs schwebte unausgesetzt über dem Haupte des Kaisers.
Dies sah Napoleon denn auch sehr wohl ein und in seiner geräuschlosen Weise
rüstete er sich im Voraus, einem solchen durch ein wohl zusammenhängendes
militärisches Vertheidigungssystem zu begegnen. Wie vortrefflich ausgesonnen
dies System war, ergibt sich aus der Furcht, die es den Massen einflößte;
trotz der beispiellosen Heftigkeit und Erbitterung, mit der die Presse den Kai¬
ser 1869 während feiner Krankheit und der dadurch verursachten Schwächung
seiner Thatkraft verfolgte, erschöpfte sich der Muth der Opposition in einigen
ziellosen Straßencravallen, deren leichte Unterdrückung in dem Kaiser nur
das Bewußtsein seiner militärischen Ueberlegenheit über das hauptstädtische
Proletariat befestigte. Der Sturz des Kaiserthums erfolgte erst dann, als
die furchtbaren Niederlagen im Felde Napoleon genöthigt hatten, die Haupt¬
stadt sich selbst zu überlassen; die Macht des Kaisers mußte erst durch die
deutsche Kraft zertrümmert werden, ehe die Pariser wagen konnten, das
lange getragene verhaßte Joch abzuschütteln

Durch die zwanzigjährige Beherrschung der Hauptstadt hat der Kaiser
den Beweis geliefert, daß seine Macht stärker war als das Geld und die
staatsmünnische Schulung des Bürgerthums, und die leidenschaftliche Erregung
der Arbeiterclassen. Das Plebiscit zeigte, daß die Ergebenheit des Bauern¬
standes durch die Angriffe und Anklagen seiner Feinde nicht erschüttert war.
Das Bündniß des Bonapartismus mit dem Clerus hatte sich unausgesetzt
und dauernd bewährt. Der Bauernstand, wie er den Staatsstreich sanctionirt
hatte, war der Sache des Kaisers treu geblieben. Wie weih diese Ergeben¬
heit auf Anhänglichkeit an den Kaiser und auf der Gewalt der napoleonischen
Tradition, wie weit sie auf dem Einfluß des Clerus, wie'weit auf unermüd¬
licher Einwirkung des Präfectenthums beruhte, das läßt sich gar nicht im
Einzelnen auseinander halten. Nur so viel steht fest, daß der stoßweise wir¬
kenden Macht des städtischen vierten Standes ein ländlicher vierter Stand
gegenüber getreten war, der in seinem schwerfälligen Beharrungsvermögen
jenem .nicht nur das Gegengewicht hielt, sondern ihm entschieden überlegen
War; natürlich (das darf man nicht aus dem Auge verlieren) nur so lange
die Staatsgewalt vermittelst ihrer bewaffneten Macht die Hauptstadt im
Zaum zu halten vermochte.

Daß der Gegensatz zwischen den großen Städten und dem flachen Lande,
der gegenwärtig eine so verhängnißvolle Bedeutung erlangt hat, unter dem


Grenzboten II. 1871. 42
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[0337] daß er ihnen pauhn et eil-esuses bot, so viel in seiner Macht stand, ist be¬ kannt. Aber diese Wohlthaten befriedigten die von den ehrgeizigen und fana¬ tischen Führern der socialistischen Secten genährten utopistischen Wünsche der Arbeiter keineswegs, und ihre Wirkungen auf das wogende Meer der haupt¬ städtischen Bevölkerung waren daher nur gering; die Gefahr eines revolu¬ tionären Handstreichs schwebte unausgesetzt über dem Haupte des Kaisers. Dies sah Napoleon denn auch sehr wohl ein und in seiner geräuschlosen Weise rüstete er sich im Voraus, einem solchen durch ein wohl zusammenhängendes militärisches Vertheidigungssystem zu begegnen. Wie vortrefflich ausgesonnen dies System war, ergibt sich aus der Furcht, die es den Massen einflößte; trotz der beispiellosen Heftigkeit und Erbitterung, mit der die Presse den Kai¬ ser 1869 während feiner Krankheit und der dadurch verursachten Schwächung seiner Thatkraft verfolgte, erschöpfte sich der Muth der Opposition in einigen ziellosen Straßencravallen, deren leichte Unterdrückung in dem Kaiser nur das Bewußtsein seiner militärischen Ueberlegenheit über das hauptstädtische Proletariat befestigte. Der Sturz des Kaiserthums erfolgte erst dann, als die furchtbaren Niederlagen im Felde Napoleon genöthigt hatten, die Haupt¬ stadt sich selbst zu überlassen; die Macht des Kaisers mußte erst durch die deutsche Kraft zertrümmert werden, ehe die Pariser wagen konnten, das lange getragene verhaßte Joch abzuschütteln Durch die zwanzigjährige Beherrschung der Hauptstadt hat der Kaiser den Beweis geliefert, daß seine Macht stärker war als das Geld und die staatsmünnische Schulung des Bürgerthums, und die leidenschaftliche Erregung der Arbeiterclassen. Das Plebiscit zeigte, daß die Ergebenheit des Bauern¬ standes durch die Angriffe und Anklagen seiner Feinde nicht erschüttert war. Das Bündniß des Bonapartismus mit dem Clerus hatte sich unausgesetzt und dauernd bewährt. Der Bauernstand, wie er den Staatsstreich sanctionirt hatte, war der Sache des Kaisers treu geblieben. Wie weih diese Ergeben¬ heit auf Anhänglichkeit an den Kaiser und auf der Gewalt der napoleonischen Tradition, wie weit sie auf dem Einfluß des Clerus, wie'weit auf unermüd¬ licher Einwirkung des Präfectenthums beruhte, das läßt sich gar nicht im Einzelnen auseinander halten. Nur so viel steht fest, daß der stoßweise wir¬ kenden Macht des städtischen vierten Standes ein ländlicher vierter Stand gegenüber getreten war, der in seinem schwerfälligen Beharrungsvermögen jenem .nicht nur das Gegengewicht hielt, sondern ihm entschieden überlegen War; natürlich (das darf man nicht aus dem Auge verlieren) nur so lange die Staatsgewalt vermittelst ihrer bewaffneten Macht die Hauptstadt im Zaum zu halten vermochte. Daß der Gegensatz zwischen den großen Städten und dem flachen Lande, der gegenwärtig eine so verhängnißvolle Bedeutung erlangt hat, unter dem Grenzboten II. 1871. 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/337>, abgerufen am 24.07.2024.