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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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geleisteten Dienste erhielt derselbe seine Entlassung und begibt sich nunmehr
nach Wien, um den dortigen Gesandtschaftsposten, von dem er abberufen
worden war, zurückzunehmen.

Die principiellen Fragen, welche zur Ministerkrisis geführt haben, legten
es nahe, daß auch die Lösung derselben eine durchgreifende werden müsse.
Bis diese Zeilen in den Händen der Leser sind, ist das neue Cabinet wohl
gebildet, allein trotzdem halten wir es nicht für überflüssig, wenigstens die
beiden Hauptcombinationen, die die öffentliche Meinung aufgestellt hat, kurz
zu betonen. Denn selbst wenn ein Mittelweg gewählt wird (wie dieß höchst
wahrscheinlich der Fall ist), so behalten dieselben doch ihre dauernde Bedeu¬
tung, weil sie gewissermaßen ein fertiges und unabänderliches Parteiprogramm
in sich schließen, das nicht aufhört zu existiren und nach Verwirklichung zu
streben, auch wenn es in concreto nicht verwirklicht wurde.

Die Ministerliste, welche von den nationalliberalen Elementen gefordert
wird, gipfelt in den Namen Hohenlohe-Hörmann, die ultramontane Partei
will ein Ministerium Schrenk-Bomhard etabliren. Was das letztere anlangt,
so ist allerdings zu behaupten, daß seine Ernennung geradezu die Errungen¬
schaften von 1870 verleugnen würde und daß Baiern schwerlich den Muth
hat, so demonstrative Parricularisten an die Spitze des Staates zu stellen.
Aber ebenso wird man Bedenken tragen, einen Namen wieder zu erwecken,
der bei den Ultramontanen des Landes noch immer als der Typus der Ver-
preußung gilt, und wenn auch alle echt nationalen Baiern seit einem Jahr
nach Hohenlohe verlangen, so dürfte doch unsere ängstliche Regierung sich nur
allzusehr die Thatsache in Erinnerung rufen, daß es noch andere Leute, als
Nationale in Baiern gibt.

Zudem will der König Herrn von Lutz unter keiner Bedingung entlassen
und das ist wohl ein sicheres Judicium, daß nur Männer der Mittelpartei
an das Ruder kommen. Wer dieselben sind, haben Sie wohl erfahren, bis
diese Zeilen an Sie gelangen. Mit nächstem Male mehr über ihre Bedeutung.




Jerliner Iriefe.

Der Kaiser Wilhelm ist in diesem Augenblicke,
wenn kein Zwischenfall eingetreten ist, schon auf österreichischem Boden, und
hat mit dem Kaiser Franz Joseph den Händedruck gewechselt, der es besiegeln
soll, daß zwischen den beiden Herrschern und den Völkern, welche sie regie¬
ren, der Groll, welchen ein kurzer, blutiger Krieg auf Seite des Besiegten
erzeugte, vergessen ist und daß eben so auf der andern Seite vergessen ist. was
in dem seit den Tagen von Königgrätz vergangenen Lustrum mehr als ein¬
mal an Rachegedanken und feindlichen Plänen in dem Herzen des Besiegten
auftauchte.

Schneller hat sich nie eine gewaltige politische Umwälzung vollzogen.
Der Kaiser von Deutschland ist heut das Oberhaupt auch der Fürsten, welche
noch im Jahre 1866 an der Seite des Kaisers Franz Joseph oder doch für
die östreichische Hegemonie in Deutschland kämpften. Was er thun konnte,
um seinem alten Verbündeten den unvermeidlichen Verlust weniger schmerzlich


geleisteten Dienste erhielt derselbe seine Entlassung und begibt sich nunmehr
nach Wien, um den dortigen Gesandtschaftsposten, von dem er abberufen
worden war, zurückzunehmen.

Die principiellen Fragen, welche zur Ministerkrisis geführt haben, legten
es nahe, daß auch die Lösung derselben eine durchgreifende werden müsse.
Bis diese Zeilen in den Händen der Leser sind, ist das neue Cabinet wohl
gebildet, allein trotzdem halten wir es nicht für überflüssig, wenigstens die
beiden Hauptcombinationen, die die öffentliche Meinung aufgestellt hat, kurz
zu betonen. Denn selbst wenn ein Mittelweg gewählt wird (wie dieß höchst
wahrscheinlich der Fall ist), so behalten dieselben doch ihre dauernde Bedeu¬
tung, weil sie gewissermaßen ein fertiges und unabänderliches Parteiprogramm
in sich schließen, das nicht aufhört zu existiren und nach Verwirklichung zu
streben, auch wenn es in concreto nicht verwirklicht wurde.

Die Ministerliste, welche von den nationalliberalen Elementen gefordert
wird, gipfelt in den Namen Hohenlohe-Hörmann, die ultramontane Partei
will ein Ministerium Schrenk-Bomhard etabliren. Was das letztere anlangt,
so ist allerdings zu behaupten, daß seine Ernennung geradezu die Errungen¬
schaften von 1870 verleugnen würde und daß Baiern schwerlich den Muth
hat, so demonstrative Parricularisten an die Spitze des Staates zu stellen.
Aber ebenso wird man Bedenken tragen, einen Namen wieder zu erwecken,
der bei den Ultramontanen des Landes noch immer als der Typus der Ver-
preußung gilt, und wenn auch alle echt nationalen Baiern seit einem Jahr
nach Hohenlohe verlangen, so dürfte doch unsere ängstliche Regierung sich nur
allzusehr die Thatsache in Erinnerung rufen, daß es noch andere Leute, als
Nationale in Baiern gibt.

Zudem will der König Herrn von Lutz unter keiner Bedingung entlassen
und das ist wohl ein sicheres Judicium, daß nur Männer der Mittelpartei
an das Ruder kommen. Wer dieselben sind, haben Sie wohl erfahren, bis
diese Zeilen an Sie gelangen. Mit nächstem Male mehr über ihre Bedeutung.




Jerliner Iriefe.

Der Kaiser Wilhelm ist in diesem Augenblicke,
wenn kein Zwischenfall eingetreten ist, schon auf österreichischem Boden, und
hat mit dem Kaiser Franz Joseph den Händedruck gewechselt, der es besiegeln
soll, daß zwischen den beiden Herrschern und den Völkern, welche sie regie¬
ren, der Groll, welchen ein kurzer, blutiger Krieg auf Seite des Besiegten
erzeugte, vergessen ist und daß eben so auf der andern Seite vergessen ist. was
in dem seit den Tagen von Königgrätz vergangenen Lustrum mehr als ein¬
mal an Rachegedanken und feindlichen Plänen in dem Herzen des Besiegten
auftauchte.

Schneller hat sich nie eine gewaltige politische Umwälzung vollzogen.
Der Kaiser von Deutschland ist heut das Oberhaupt auch der Fürsten, welche
noch im Jahre 1866 an der Seite des Kaisers Franz Joseph oder doch für
die östreichische Hegemonie in Deutschland kämpften. Was er thun konnte,
um seinem alten Verbündeten den unvermeidlichen Verlust weniger schmerzlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/324>, abgerufen am 24.07.2024.