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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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änderten! Personal die Privilegien einer anderen, Jahrhunderte früher begrün¬
deten, dann allmälig in Verfall gerathenen Vereinigung zu erlangen bestrebt
ist. den Nachfolger dieser letzteren zu nennen, so ist dem Vers, in Betreff der
englischen Gewerkvereine und der Zünfte sein Beweis wenigstens theilweise
geglückt -- theilweise, sagen wir, denn die Mitglieder der Gewerkvereine
streben noch andere Vortheile an, als sie die Gesellen der Zünfte beanspruch¬
ten und beschäftigen sich noch mit anderen Gegenständen gemeinschaftlicher
Action, als womit diese sich beschäftigt hatten.

Aber der Verf. beschränkt sich keineswegs auf jene Beweisführung. Viel- >
mehr läßt er nicht etwa nur durch die Art und den Ton der Behandlung
des historischen Materiales hindurchfühlen, sondern er zwingt uns dazu an¬
zunehmen, daß er in den großen Entwicklungskämpfen, welche der Ausbildung
der fabrikativen Großindustrie folgten, auf der Seite derer steht, die sich
dieser Ausbildung oder ihren unvermeidlichen Wirkungen entgegen¬
stemmten, auf der Seite derer, welche die Aufrechterhaltung der
Zunftgesetze, welche eine gesetzliche Regulirung der Löhne, der Arbeitszeit,
der Arbeiter-Rangstufen immer und immer wieder anstrebten; ebenso
wie er später den Schluß nahe legt, daß er die gewerkvereinliche Anti¬
pathie gegen Stücklöhne theile. Er begnügt sich nicht, die Entstehung der
Gewerkvereine in England historisch zu rechtfertigen; sondern er rechtfertigt
z. B. ihre auf Erneuerung des Lehrlingsgesetzes der Königin Elisabeth ge¬
richtete Tendenz; er plaidirt -- S. 126 ff. -- nicht etwa nur zur Rechtfer¬
tigung solcher Tendenzen vom Standpunkte des Historikers, sondern ohne
Rücksicht auf eine bestimmte Zeitlage oder gewisse örtliche Verhältnisse zu
Gunsten einer Regelung des Arbeitsmarktes und der Arbeitsbedingungen auf
industriellem Gebiete durch die Staatsgesetzgebung, indem er die gegen eine
solche Regelung sprechenden Bedenken allenfalls nur da gelten lassen will, wo
der Staat nicht die Organisation der Volkskraft und die Regierung nicht
"der natürliche Brennpunet des Volkslebens" ist. Wie weit er sich durch
seine Theilnahme für seine Klienten hat verführen lassen, das Recht nur auf
ihrer Seite zu sehen, zeigt Folgendes: In den Kämpfen, welche dem den Act
Eliz. <:. 4 (Lehrlingsgesetz) aufhebenden Act S4K Geo. III o. 96 (1814)
vorhergingen, hatten die Vertreter einer Amendirung des im Wesentlichen
beizubehaltenden Elisabethischen Gesetzes in ihren Petitionen an das Parlament
u. A. betont, daß durch die bisherigen Gesetze der legitim für sein Gewerbe
auferzogene Arbeiter (aus der vorhergehenden Darstellung lernen wir freilich,
daß solche legitime Erziehung, d. h. 7jähriger Lehrlingsstand, schon längst
nicht mehr die Regel war und sich an jenen Petitionen wahrscheinlich sehr
wenige "legitim auferzogene" Arbeiter betheiligt haben können) ein Recht er¬
worben habe gleich dem Eigenthums, und daß die Abschaffung des Gesetzes


änderten! Personal die Privilegien einer anderen, Jahrhunderte früher begrün¬
deten, dann allmälig in Verfall gerathenen Vereinigung zu erlangen bestrebt
ist. den Nachfolger dieser letzteren zu nennen, so ist dem Vers, in Betreff der
englischen Gewerkvereine und der Zünfte sein Beweis wenigstens theilweise
geglückt — theilweise, sagen wir, denn die Mitglieder der Gewerkvereine
streben noch andere Vortheile an, als sie die Gesellen der Zünfte beanspruch¬
ten und beschäftigen sich noch mit anderen Gegenständen gemeinschaftlicher
Action, als womit diese sich beschäftigt hatten.

Aber der Verf. beschränkt sich keineswegs auf jene Beweisführung. Viel- >
mehr läßt er nicht etwa nur durch die Art und den Ton der Behandlung
des historischen Materiales hindurchfühlen, sondern er zwingt uns dazu an¬
zunehmen, daß er in den großen Entwicklungskämpfen, welche der Ausbildung
der fabrikativen Großindustrie folgten, auf der Seite derer steht, die sich
dieser Ausbildung oder ihren unvermeidlichen Wirkungen entgegen¬
stemmten, auf der Seite derer, welche die Aufrechterhaltung der
Zunftgesetze, welche eine gesetzliche Regulirung der Löhne, der Arbeitszeit,
der Arbeiter-Rangstufen immer und immer wieder anstrebten; ebenso
wie er später den Schluß nahe legt, daß er die gewerkvereinliche Anti¬
pathie gegen Stücklöhne theile. Er begnügt sich nicht, die Entstehung der
Gewerkvereine in England historisch zu rechtfertigen; sondern er rechtfertigt
z. B. ihre auf Erneuerung des Lehrlingsgesetzes der Königin Elisabeth ge¬
richtete Tendenz; er plaidirt — S. 126 ff. — nicht etwa nur zur Rechtfer¬
tigung solcher Tendenzen vom Standpunkte des Historikers, sondern ohne
Rücksicht auf eine bestimmte Zeitlage oder gewisse örtliche Verhältnisse zu
Gunsten einer Regelung des Arbeitsmarktes und der Arbeitsbedingungen auf
industriellem Gebiete durch die Staatsgesetzgebung, indem er die gegen eine
solche Regelung sprechenden Bedenken allenfalls nur da gelten lassen will, wo
der Staat nicht die Organisation der Volkskraft und die Regierung nicht
„der natürliche Brennpunet des Volkslebens" ist. Wie weit er sich durch
seine Theilnahme für seine Klienten hat verführen lassen, das Recht nur auf
ihrer Seite zu sehen, zeigt Folgendes: In den Kämpfen, welche dem den Act
Eliz. <:. 4 (Lehrlingsgesetz) aufhebenden Act S4K Geo. III o. 96 (1814)
vorhergingen, hatten die Vertreter einer Amendirung des im Wesentlichen
beizubehaltenden Elisabethischen Gesetzes in ihren Petitionen an das Parlament
u. A. betont, daß durch die bisherigen Gesetze der legitim für sein Gewerbe
auferzogene Arbeiter (aus der vorhergehenden Darstellung lernen wir freilich,
daß solche legitime Erziehung, d. h. 7jähriger Lehrlingsstand, schon längst
nicht mehr die Regel war und sich an jenen Petitionen wahrscheinlich sehr
wenige „legitim auferzogene" Arbeiter betheiligt haben können) ein Recht er¬
worben habe gleich dem Eigenthums, und daß die Abschaffung des Gesetzes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/314>, abgerufen am 25.07.2024.