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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Gesellen, mancherlei kostspielige, sinnlose und ausschweifende Formen und
Gebräuche.

Brentano scheint unter den Gründen des Verfalles der Zünfte einem
besondere Beachtung zu schenken,' auf den anderwärts u. W. noch nicht hinge¬
wiesen ist, nämlich dem in Folge der Engherzigkeit der beati xossiäentes
immer stärker werdenden Andrange nicht zünftiger Arbeiter. Er verfolgt,
namentlich für England, das Aufkommen dieses neuen Berufsstandes bis in
seine ersten Anfänge zurück, und schafft sich durch die Gegenüberstellung der
"capitalistischen" Zunftgenossen und der unbemittelten, von diesen bedrückten
sogenannten Arbeiter -- ob mit voller Unbefangenheit, lassen wir dahingestellt
-- einen günstigen Boden sür die nachfolgende Ausführung der Annahme,
daß die Gewerkvereine die Nachfolger der alten Gilden seien.

Die ganze Einleitung enthält neben einer einsichtigen kritischen Verarbei¬
tung der neuesten Forschungen über die Geschichte des Gildewesens in Deutsch¬
land, Frankreich, Niederland, Großbritannien, Scandinavien auch eine Reihe
werthvoller, selbständiger Untersuchungen. Wir erinnern z. B. an die
Schilderung des verschiedenartigen Verhaltens der Staatsgewalt gegen die
ältesten Gilden in Großbritannien und auf dem Continent (S. 10 ff.), an
den Nachweis frühzeitiger Schutzgilden der Hörigen und Gesellen (S. 13 ff.),
an den Nachweis des Zusammenhanges zwischen Bürgergilde- und Stadtver¬
fassung (S. 16 ff.), an die Schilderung des Ueberganges der späteren eng¬
lischen -- auch anderer -- Stadtgilden in Kaufmannsgilden (S. 27) und
des Charakters dieser letzteren als Freihandelsgenossenschaften (S. 28 ff.);
ferner an den Nachweis der mit der Zeit wachsenden Begünstigung einzelner
Privilegirter Mitgliederclafsen in den Gildestatuten (S. 30 ff.), an die Dar¬
stellung des Kampfes der Weber mit der City von London, der vom 12. bis
zum 14. Jahrhundert währte (S. 42 ff.), an die Geschichte eines Gesetzes,
welches Edward III. zum Schutze der Handwerker gegen die Kaufleute erließ;
auch an die gründliche Darstellung der wesentlichen Bestimmungen der Zunft-
Verfassungen auf S. 46 ff., an die Schilderungen des Zustandes der Gesellen in
den Zünften auf S. 67 ff.; an die Geschichte der berüchtigten statutss ok
tAbourers, jener dem Nothstande, den in England die Pest von 1349 erzeugt
hatte, folgenden Lohnregulationen; endlich an die Beweise für das Vorhan¬
densein einer den deutschen Gesellenladen ähnlichen Arbeiter-Organisation in
England auf S. 81 ff.

Als die Aufgabe des dieser Einleitung folgenden ersten Capitels, wel¬
ches überschrieben ist: "Die Entstehung der englischen Gewerkver¬
eine" bezeichnet der Verf. die Beweisführung, daß die englischen Gewerkver¬
eine die Nachfolger der alten Gilden seien. Wenn man berechtigt ist, eine
Vereinigung, welche in völlig veränderter Zeitlage und mit zum Theil ver-


Grmzboten II. 1871. 39

Gesellen, mancherlei kostspielige, sinnlose und ausschweifende Formen und
Gebräuche.

Brentano scheint unter den Gründen des Verfalles der Zünfte einem
besondere Beachtung zu schenken,' auf den anderwärts u. W. noch nicht hinge¬
wiesen ist, nämlich dem in Folge der Engherzigkeit der beati xossiäentes
immer stärker werdenden Andrange nicht zünftiger Arbeiter. Er verfolgt,
namentlich für England, das Aufkommen dieses neuen Berufsstandes bis in
seine ersten Anfänge zurück, und schafft sich durch die Gegenüberstellung der
„capitalistischen" Zunftgenossen und der unbemittelten, von diesen bedrückten
sogenannten Arbeiter — ob mit voller Unbefangenheit, lassen wir dahingestellt
— einen günstigen Boden sür die nachfolgende Ausführung der Annahme,
daß die Gewerkvereine die Nachfolger der alten Gilden seien.

Die ganze Einleitung enthält neben einer einsichtigen kritischen Verarbei¬
tung der neuesten Forschungen über die Geschichte des Gildewesens in Deutsch¬
land, Frankreich, Niederland, Großbritannien, Scandinavien auch eine Reihe
werthvoller, selbständiger Untersuchungen. Wir erinnern z. B. an die
Schilderung des verschiedenartigen Verhaltens der Staatsgewalt gegen die
ältesten Gilden in Großbritannien und auf dem Continent (S. 10 ff.), an
den Nachweis frühzeitiger Schutzgilden der Hörigen und Gesellen (S. 13 ff.),
an den Nachweis des Zusammenhanges zwischen Bürgergilde- und Stadtver¬
fassung (S. 16 ff.), an die Schilderung des Ueberganges der späteren eng¬
lischen — auch anderer — Stadtgilden in Kaufmannsgilden (S. 27) und
des Charakters dieser letzteren als Freihandelsgenossenschaften (S. 28 ff.);
ferner an den Nachweis der mit der Zeit wachsenden Begünstigung einzelner
Privilegirter Mitgliederclafsen in den Gildestatuten (S. 30 ff.), an die Dar¬
stellung des Kampfes der Weber mit der City von London, der vom 12. bis
zum 14. Jahrhundert währte (S. 42 ff.), an die Geschichte eines Gesetzes,
welches Edward III. zum Schutze der Handwerker gegen die Kaufleute erließ;
auch an die gründliche Darstellung der wesentlichen Bestimmungen der Zunft-
Verfassungen auf S. 46 ff., an die Schilderungen des Zustandes der Gesellen in
den Zünften auf S. 67 ff.; an die Geschichte der berüchtigten statutss ok
tAbourers, jener dem Nothstande, den in England die Pest von 1349 erzeugt
hatte, folgenden Lohnregulationen; endlich an die Beweise für das Vorhan¬
densein einer den deutschen Gesellenladen ähnlichen Arbeiter-Organisation in
England auf S. 81 ff.

Als die Aufgabe des dieser Einleitung folgenden ersten Capitels, wel¬
ches überschrieben ist: „Die Entstehung der englischen Gewerkver¬
eine" bezeichnet der Verf. die Beweisführung, daß die englischen Gewerkver¬
eine die Nachfolger der alten Gilden seien. Wenn man berechtigt ist, eine
Vereinigung, welche in völlig veränderter Zeitlage und mit zum Theil ver-


Grmzboten II. 1871. 39
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[0313] Gesellen, mancherlei kostspielige, sinnlose und ausschweifende Formen und Gebräuche. Brentano scheint unter den Gründen des Verfalles der Zünfte einem besondere Beachtung zu schenken,' auf den anderwärts u. W. noch nicht hinge¬ wiesen ist, nämlich dem in Folge der Engherzigkeit der beati xossiäentes immer stärker werdenden Andrange nicht zünftiger Arbeiter. Er verfolgt, namentlich für England, das Aufkommen dieses neuen Berufsstandes bis in seine ersten Anfänge zurück, und schafft sich durch die Gegenüberstellung der „capitalistischen" Zunftgenossen und der unbemittelten, von diesen bedrückten sogenannten Arbeiter — ob mit voller Unbefangenheit, lassen wir dahingestellt — einen günstigen Boden sür die nachfolgende Ausführung der Annahme, daß die Gewerkvereine die Nachfolger der alten Gilden seien. Die ganze Einleitung enthält neben einer einsichtigen kritischen Verarbei¬ tung der neuesten Forschungen über die Geschichte des Gildewesens in Deutsch¬ land, Frankreich, Niederland, Großbritannien, Scandinavien auch eine Reihe werthvoller, selbständiger Untersuchungen. Wir erinnern z. B. an die Schilderung des verschiedenartigen Verhaltens der Staatsgewalt gegen die ältesten Gilden in Großbritannien und auf dem Continent (S. 10 ff.), an den Nachweis frühzeitiger Schutzgilden der Hörigen und Gesellen (S. 13 ff.), an den Nachweis des Zusammenhanges zwischen Bürgergilde- und Stadtver¬ fassung (S. 16 ff.), an die Schilderung des Ueberganges der späteren eng¬ lischen — auch anderer — Stadtgilden in Kaufmannsgilden (S. 27) und des Charakters dieser letzteren als Freihandelsgenossenschaften (S. 28 ff.); ferner an den Nachweis der mit der Zeit wachsenden Begünstigung einzelner Privilegirter Mitgliederclafsen in den Gildestatuten (S. 30 ff.), an die Dar¬ stellung des Kampfes der Weber mit der City von London, der vom 12. bis zum 14. Jahrhundert währte (S. 42 ff.), an die Geschichte eines Gesetzes, welches Edward III. zum Schutze der Handwerker gegen die Kaufleute erließ; auch an die gründliche Darstellung der wesentlichen Bestimmungen der Zunft- Verfassungen auf S. 46 ff., an die Schilderungen des Zustandes der Gesellen in den Zünften auf S. 67 ff.; an die Geschichte der berüchtigten statutss ok tAbourers, jener dem Nothstande, den in England die Pest von 1349 erzeugt hatte, folgenden Lohnregulationen; endlich an die Beweise für das Vorhan¬ densein einer den deutschen Gesellenladen ähnlichen Arbeiter-Organisation in England auf S. 81 ff. Als die Aufgabe des dieser Einleitung folgenden ersten Capitels, wel¬ ches überschrieben ist: „Die Entstehung der englischen Gewerkver¬ eine" bezeichnet der Verf. die Beweisführung, daß die englischen Gewerkver¬ eine die Nachfolger der alten Gilden seien. Wenn man berechtigt ist, eine Vereinigung, welche in völlig veränderter Zeitlage und mit zum Theil ver- Grmzboten II. 1871. 39

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/313>, abgerufen am 25.07.2024.