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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Was die Autorschaft an dem im 11. Stück des Journals sich findenden
"Zauber spiel" betrifft, so ist bekanntlich von Schoell der Versuch gemacht
worden, *) jene Goethen zuzuerkennen. Durchschlagend sind Schoell's Gründe
nicht; vielmehr müssen wir das Stück dem gemeinschaftlichen Wirken Secken-
dorf's und Einsiedel's zuschreiben. Letzterem mag sogar eine überwiegende
Thätigkeit bei dieser Schöpfung zuerkannt werden. Der Beweis ist sehr ein-'
fach. Wir haben das von Seckendorf's Hand geschriebene Zauberspiel aufge¬
funden, in welchem Einsiedel an sechzehn Stellen**) eigenhändige Correctu-
ren anbrachte, die so bedeutsamer Natur sind, daß wir ihm eine solche Eigen¬
mächtigkeit nicht zutrauen dürfen, wenn hier wirklich das geistige Eigenthum
eines Goethe in Frage gewesen wäre. Einsiedel's Redactionsthätigkeit ist
von uns an mehr als fünfzig eingereichten Arbeiten des Journals genau
geprüft worden und an keiner Stelle ist eine solche übrigens undenkbare
Eigenmächtigkeit -- entdeckt worden, wie diese wäre, wenn das Zauberspiel
überhaupt Goethen zugeschrieben werden könnte. Was schließlich die Genauig¬
keit des Schoell'schen Textes im Morgenblatt anlangt, möchten wir mit Merck
auch an die herrlichen Varianten und Natres Lsetionum des Tiefurter Jour¬
nals denken. Wenn es sich je wieder um einen Abdruck des Seckendorf-Ein-
siedel'schen Stücks handelt, kann man nicht umhin, das von mir construirte
Exemplar des Tiefurter Journals zu Rathe zu ziehen.***)

Der "christliche Roman" des 28. Stücks ist sehr wahrscheinlich auch nicht
ohne Goethe's Beihülfe in das Journal übergegangen. Nach untrüglichen
Zeugnissen ist das Sujet -- in der deutschen Literatur übrigens bekannt und
viel schöner bearbeitet -- für das Journal aus dem Munde einer Bauernfrau in
Oettern bei Weimar nachgeschrieben. Wir wagen -- obwohl nicht gehörig
begründet -- die Behauptung, daß Goethe an dieser Ueberlieferung Theil hat.
Ob er die Erzählung in diese Reime gebracht hat, darüber läßt sich kaum
eine Vermuthung aussprechen. Die Originalschrift stammt ebenfalls von
seinem Schreiber her, der sich nirgends betheiligt zeigt, wenn Goethe die Hand
bei dem Journale nicht im Spiele hatte.

Was das Gedicht "An die Sonne" anlangt, so sind wir gewiß, daß es
nicht das Eigenthum von Goethe, sondern von Lenz ist. Das Lenz'sche Orl-





") Im Morgenblatt von 1863, Ur, 7 und 8.
-) Da es eine von einem Goethekenner aufgestellte Behauptung ist, so können wir uns
nicht versagen, wenigstens einige der hauptsächlichsten Correcturen Einsiedel's anzuführen. Ein¬
siede! corrigirte! 1) hilft wenig in nützt wenig, 2) uns abgenutzt in nicht genutzt. 3) Da¬
mit ich bescheiden in Obacht mich nahm, in Auf daß ich bescheiden Obacht hätt. 4) Wenn
etwa in ähnlichen Fall ich käm, in Wenn ein ähnlicher Fall sich ereignen that. 5) Daß
nicht mit großer Prostitution (wohl gar nicht gocthisch!) in: Damit ich nicht zu Spott und
Hohn u. s. w. u. s. w.
"") Die Parenthesen im Schoellschen Abdruck lassen z. B. manches zu wünschen übrig.
Grenzboten U. l87I. 37

Was die Autorschaft an dem im 11. Stück des Journals sich findenden
„Zauber spiel" betrifft, so ist bekanntlich von Schoell der Versuch gemacht
worden, *) jene Goethen zuzuerkennen. Durchschlagend sind Schoell's Gründe
nicht; vielmehr müssen wir das Stück dem gemeinschaftlichen Wirken Secken-
dorf's und Einsiedel's zuschreiben. Letzterem mag sogar eine überwiegende
Thätigkeit bei dieser Schöpfung zuerkannt werden. Der Beweis ist sehr ein-'
fach. Wir haben das von Seckendorf's Hand geschriebene Zauberspiel aufge¬
funden, in welchem Einsiedel an sechzehn Stellen**) eigenhändige Correctu-
ren anbrachte, die so bedeutsamer Natur sind, daß wir ihm eine solche Eigen¬
mächtigkeit nicht zutrauen dürfen, wenn hier wirklich das geistige Eigenthum
eines Goethe in Frage gewesen wäre. Einsiedel's Redactionsthätigkeit ist
von uns an mehr als fünfzig eingereichten Arbeiten des Journals genau
geprüft worden und an keiner Stelle ist eine solche übrigens undenkbare
Eigenmächtigkeit — entdeckt worden, wie diese wäre, wenn das Zauberspiel
überhaupt Goethen zugeschrieben werden könnte. Was schließlich die Genauig¬
keit des Schoell'schen Textes im Morgenblatt anlangt, möchten wir mit Merck
auch an die herrlichen Varianten und Natres Lsetionum des Tiefurter Jour¬
nals denken. Wenn es sich je wieder um einen Abdruck des Seckendorf-Ein-
siedel'schen Stücks handelt, kann man nicht umhin, das von mir construirte
Exemplar des Tiefurter Journals zu Rathe zu ziehen.***)

Der „christliche Roman" des 28. Stücks ist sehr wahrscheinlich auch nicht
ohne Goethe's Beihülfe in das Journal übergegangen. Nach untrüglichen
Zeugnissen ist das Sujet — in der deutschen Literatur übrigens bekannt und
viel schöner bearbeitet — für das Journal aus dem Munde einer Bauernfrau in
Oettern bei Weimar nachgeschrieben. Wir wagen — obwohl nicht gehörig
begründet — die Behauptung, daß Goethe an dieser Ueberlieferung Theil hat.
Ob er die Erzählung in diese Reime gebracht hat, darüber läßt sich kaum
eine Vermuthung aussprechen. Die Originalschrift stammt ebenfalls von
seinem Schreiber her, der sich nirgends betheiligt zeigt, wenn Goethe die Hand
bei dem Journale nicht im Spiele hatte.

Was das Gedicht „An die Sonne" anlangt, so sind wir gewiß, daß es
nicht das Eigenthum von Goethe, sondern von Lenz ist. Das Lenz'sche Orl-





") Im Morgenblatt von 1863, Ur, 7 und 8.
-) Da es eine von einem Goethekenner aufgestellte Behauptung ist, so können wir uns
nicht versagen, wenigstens einige der hauptsächlichsten Correcturen Einsiedel's anzuführen. Ein¬
siede! corrigirte! 1) hilft wenig in nützt wenig, 2) uns abgenutzt in nicht genutzt. 3) Da¬
mit ich bescheiden in Obacht mich nahm, in Auf daß ich bescheiden Obacht hätt. 4) Wenn
etwa in ähnlichen Fall ich käm, in Wenn ein ähnlicher Fall sich ereignen that. 5) Daß
nicht mit großer Prostitution (wohl gar nicht gocthisch!) in: Damit ich nicht zu Spott und
Hohn u. s. w. u. s. w.
"») Die Parenthesen im Schoellschen Abdruck lassen z. B. manches zu wünschen übrig.
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[0297] Was die Autorschaft an dem im 11. Stück des Journals sich findenden „Zauber spiel" betrifft, so ist bekanntlich von Schoell der Versuch gemacht worden, *) jene Goethen zuzuerkennen. Durchschlagend sind Schoell's Gründe nicht; vielmehr müssen wir das Stück dem gemeinschaftlichen Wirken Secken- dorf's und Einsiedel's zuschreiben. Letzterem mag sogar eine überwiegende Thätigkeit bei dieser Schöpfung zuerkannt werden. Der Beweis ist sehr ein-' fach. Wir haben das von Seckendorf's Hand geschriebene Zauberspiel aufge¬ funden, in welchem Einsiedel an sechzehn Stellen**) eigenhändige Correctu- ren anbrachte, die so bedeutsamer Natur sind, daß wir ihm eine solche Eigen¬ mächtigkeit nicht zutrauen dürfen, wenn hier wirklich das geistige Eigenthum eines Goethe in Frage gewesen wäre. Einsiedel's Redactionsthätigkeit ist von uns an mehr als fünfzig eingereichten Arbeiten des Journals genau geprüft worden und an keiner Stelle ist eine solche übrigens undenkbare Eigenmächtigkeit — entdeckt worden, wie diese wäre, wenn das Zauberspiel überhaupt Goethen zugeschrieben werden könnte. Was schließlich die Genauig¬ keit des Schoell'schen Textes im Morgenblatt anlangt, möchten wir mit Merck auch an die herrlichen Varianten und Natres Lsetionum des Tiefurter Jour¬ nals denken. Wenn es sich je wieder um einen Abdruck des Seckendorf-Ein- siedel'schen Stücks handelt, kann man nicht umhin, das von mir construirte Exemplar des Tiefurter Journals zu Rathe zu ziehen.***) Der „christliche Roman" des 28. Stücks ist sehr wahrscheinlich auch nicht ohne Goethe's Beihülfe in das Journal übergegangen. Nach untrüglichen Zeugnissen ist das Sujet — in der deutschen Literatur übrigens bekannt und viel schöner bearbeitet — für das Journal aus dem Munde einer Bauernfrau in Oettern bei Weimar nachgeschrieben. Wir wagen — obwohl nicht gehörig begründet — die Behauptung, daß Goethe an dieser Ueberlieferung Theil hat. Ob er die Erzählung in diese Reime gebracht hat, darüber läßt sich kaum eine Vermuthung aussprechen. Die Originalschrift stammt ebenfalls von seinem Schreiber her, der sich nirgends betheiligt zeigt, wenn Goethe die Hand bei dem Journale nicht im Spiele hatte. Was das Gedicht „An die Sonne" anlangt, so sind wir gewiß, daß es nicht das Eigenthum von Goethe, sondern von Lenz ist. Das Lenz'sche Orl- ") Im Morgenblatt von 1863, Ur, 7 und 8. -) Da es eine von einem Goethekenner aufgestellte Behauptung ist, so können wir uns nicht versagen, wenigstens einige der hauptsächlichsten Correcturen Einsiedel's anzuführen. Ein¬ siede! corrigirte! 1) hilft wenig in nützt wenig, 2) uns abgenutzt in nicht genutzt. 3) Da¬ mit ich bescheiden in Obacht mich nahm, in Auf daß ich bescheiden Obacht hätt. 4) Wenn etwa in ähnlichen Fall ich käm, in Wenn ein ähnlicher Fall sich ereignen that. 5) Daß nicht mit großer Prostitution (wohl gar nicht gocthisch!) in: Damit ich nicht zu Spott und Hohn u. s. w. u. s. w. "») Die Parenthesen im Schoellschen Abdruck lassen z. B. manches zu wünschen übrig. Grenzboten U. l87I. 37

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/297>, abgerufen am 25.07.2024.