Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Ohnmacht zu erweisen. In der ersten französischen Revolution tauchte sie in
der nach Baboeuf genannten Verschwörung auf. Man weiß, wie seit der
Julirevolution die communistischen und socialistischen Ideen in einer vorher
nicht gekannten Mannigfaltigkeit von Formen sich der excentrischen Köpfe
Frankreichs bemächtigten. Auf dem Boden des Staats kam sich Frankreich
schon damals vor, als hätte es alle Versuche erschöpft. Königthum und
Kaiserthum, jedes sowohl despotisch als verfassungsmäßig beschränkt, eine
Anzahl republikanischer Modelle waren da gewesen. Was konnte der Staat
der Erfindung noch für Aufgaben bieten? Modelle erfinden ist aber recht
eigentlich die Beschäftigung des französischen Geistes. In ungekünstelten In¬
stitutionen naturgemäß leben, arbeiten, schaffen, sich und das Ganze vervoll¬
kommnen, ohne Verletzung Anderer, ohne Gewaltsamkeit, ohne fieberhafte
Sprünge, ohne theatralische Geberde, ohne deklamatorischen Haß, dem halb-
bestiale Ausschreitungen nicht fern sind, das Alles ist ganz und gar nicht
Sache des Franzosen. Es mußten also neue Modelle gefunden und zu komö¬
dienhaften Jnscenesetzungen benutzt werden. So kamen die socialen Modelle
auf die Tagesordnung. Die Februarrevolution war dazu bestimmt, diesen
Modellen die Wirklichkeit zu öffnen, d. h. wie man das in Frankreich ver¬
steht, das Modell als Evangelium auszurufen und sich alsbald wieder dabei zu
langweilen. Die Februarrevolution kam indeß nicht einmal mit einem Modell
zu Stande. Es gab der socialen Modelle allzu viele zur Auswahl. Das war
der eine Grund. Der andere Grund aber war, daß mit dem Eigenthum
doch weit schwerer zu spaßen ist, als mit irgend einer Regierungsform. Heute
Kaiser, morgen König, übermorgen Republik, das läßt sich der Franzose
ohne Weiteres gefallen. Aber sich die Taschen leeren, sich von Haus und
Hof, vielleicht gar von Weib und Kind jagen zu lassen, dazu verstände er
sich doch nur, wenn er für die Wirklichkeit, die man ihm genommen, sogleich
eine bessere, eine unzweifelhaft bessere, schmackhaftere und wo möglich auch
dauerhaftere ausgehändigt erhielte. Beim bloßen Wechsel der Regierung be¬
hält Jeder seine Wirklichkeit. Droben mögen sie es so oder so versuchen;
machen sie es besser als bisher, um so besser; machen sie es ebenso, so hat
man wenigstens einen Decorationswechsel; machen sie es schlechter, so jagt
man sie noch einmal fort, das Vergnügen und die Aussicht geht von Neuem
an. Aber die sociale Lage, wenn auch Jeder sich eine bessere wünscht, gibt
doch Keiner so leicht auf und wirft sie in den Schmelztiegel eines ganz un¬
berechenbaren Experimentes. Darum blieb der Socialismus der Februar¬
revolution bei Phrasen stehen, wie die folgende: ig. xroMöt" rsspect^o, mais
I<z "Zroit an travail Mrauti. Außerdem wurde noch der thörichte Versuch mit
den Nationalwerkstätten unternommen, dessen Scheitern den Juniaufstand,
den Vorläufer des communistischen Aufstandes vom Jahre 1871 hervorrief.


Ohnmacht zu erweisen. In der ersten französischen Revolution tauchte sie in
der nach Baboeuf genannten Verschwörung auf. Man weiß, wie seit der
Julirevolution die communistischen und socialistischen Ideen in einer vorher
nicht gekannten Mannigfaltigkeit von Formen sich der excentrischen Köpfe
Frankreichs bemächtigten. Auf dem Boden des Staats kam sich Frankreich
schon damals vor, als hätte es alle Versuche erschöpft. Königthum und
Kaiserthum, jedes sowohl despotisch als verfassungsmäßig beschränkt, eine
Anzahl republikanischer Modelle waren da gewesen. Was konnte der Staat
der Erfindung noch für Aufgaben bieten? Modelle erfinden ist aber recht
eigentlich die Beschäftigung des französischen Geistes. In ungekünstelten In¬
stitutionen naturgemäß leben, arbeiten, schaffen, sich und das Ganze vervoll¬
kommnen, ohne Verletzung Anderer, ohne Gewaltsamkeit, ohne fieberhafte
Sprünge, ohne theatralische Geberde, ohne deklamatorischen Haß, dem halb-
bestiale Ausschreitungen nicht fern sind, das Alles ist ganz und gar nicht
Sache des Franzosen. Es mußten also neue Modelle gefunden und zu komö¬
dienhaften Jnscenesetzungen benutzt werden. So kamen die socialen Modelle
auf die Tagesordnung. Die Februarrevolution war dazu bestimmt, diesen
Modellen die Wirklichkeit zu öffnen, d. h. wie man das in Frankreich ver¬
steht, das Modell als Evangelium auszurufen und sich alsbald wieder dabei zu
langweilen. Die Februarrevolution kam indeß nicht einmal mit einem Modell
zu Stande. Es gab der socialen Modelle allzu viele zur Auswahl. Das war
der eine Grund. Der andere Grund aber war, daß mit dem Eigenthum
doch weit schwerer zu spaßen ist, als mit irgend einer Regierungsform. Heute
Kaiser, morgen König, übermorgen Republik, das läßt sich der Franzose
ohne Weiteres gefallen. Aber sich die Taschen leeren, sich von Haus und
Hof, vielleicht gar von Weib und Kind jagen zu lassen, dazu verstände er
sich doch nur, wenn er für die Wirklichkeit, die man ihm genommen, sogleich
eine bessere, eine unzweifelhaft bessere, schmackhaftere und wo möglich auch
dauerhaftere ausgehändigt erhielte. Beim bloßen Wechsel der Regierung be¬
hält Jeder seine Wirklichkeit. Droben mögen sie es so oder so versuchen;
machen sie es besser als bisher, um so besser; machen sie es ebenso, so hat
man wenigstens einen Decorationswechsel; machen sie es schlechter, so jagt
man sie noch einmal fort, das Vergnügen und die Aussicht geht von Neuem
an. Aber die sociale Lage, wenn auch Jeder sich eine bessere wünscht, gibt
doch Keiner so leicht auf und wirft sie in den Schmelztiegel eines ganz un¬
berechenbaren Experimentes. Darum blieb der Socialismus der Februar¬
revolution bei Phrasen stehen, wie die folgende: ig. xroMöt« rsspect^o, mais
I<z «Zroit an travail Mrauti. Außerdem wurde noch der thörichte Versuch mit
den Nationalwerkstätten unternommen, dessen Scheitern den Juniaufstand,
den Vorläufer des communistischen Aufstandes vom Jahre 1871 hervorrief.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0029" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126345"/>
          <p xml:id="ID_50" prev="#ID_49"> Ohnmacht zu erweisen. In der ersten französischen Revolution tauchte sie in<lb/>
der nach Baboeuf genannten Verschwörung auf. Man weiß, wie seit der<lb/>
Julirevolution die communistischen und socialistischen Ideen in einer vorher<lb/>
nicht gekannten Mannigfaltigkeit von Formen sich der excentrischen Köpfe<lb/>
Frankreichs bemächtigten. Auf dem Boden des Staats kam sich Frankreich<lb/>
schon damals vor, als hätte es alle Versuche erschöpft. Königthum und<lb/>
Kaiserthum, jedes sowohl despotisch als verfassungsmäßig beschränkt, eine<lb/>
Anzahl republikanischer Modelle waren da gewesen. Was konnte der Staat<lb/>
der Erfindung noch für Aufgaben bieten? Modelle erfinden ist aber recht<lb/>
eigentlich die Beschäftigung des französischen Geistes. In ungekünstelten In¬<lb/>
stitutionen naturgemäß leben, arbeiten, schaffen, sich und das Ganze vervoll¬<lb/>
kommnen, ohne Verletzung Anderer, ohne Gewaltsamkeit, ohne fieberhafte<lb/>
Sprünge, ohne theatralische Geberde, ohne deklamatorischen Haß, dem halb-<lb/>
bestiale Ausschreitungen nicht fern sind, das Alles ist ganz und gar nicht<lb/>
Sache des Franzosen. Es mußten also neue Modelle gefunden und zu komö¬<lb/>
dienhaften Jnscenesetzungen benutzt werden. So kamen die socialen Modelle<lb/>
auf die Tagesordnung. Die Februarrevolution war dazu bestimmt, diesen<lb/>
Modellen die Wirklichkeit zu öffnen, d. h. wie man das in Frankreich ver¬<lb/>
steht, das Modell als Evangelium auszurufen und sich alsbald wieder dabei zu<lb/>
langweilen. Die Februarrevolution kam indeß nicht einmal mit einem Modell<lb/>
zu Stande. Es gab der socialen Modelle allzu viele zur Auswahl. Das war<lb/>
der eine Grund. Der andere Grund aber war, daß mit dem Eigenthum<lb/>
doch weit schwerer zu spaßen ist, als mit irgend einer Regierungsform. Heute<lb/>
Kaiser, morgen König, übermorgen Republik, das läßt sich der Franzose<lb/>
ohne Weiteres gefallen. Aber sich die Taschen leeren, sich von Haus und<lb/>
Hof, vielleicht gar von Weib und Kind jagen zu lassen, dazu verstände er<lb/>
sich doch nur, wenn er für die Wirklichkeit, die man ihm genommen, sogleich<lb/>
eine bessere, eine unzweifelhaft bessere, schmackhaftere und wo möglich auch<lb/>
dauerhaftere ausgehändigt erhielte. Beim bloßen Wechsel der Regierung be¬<lb/>
hält Jeder seine Wirklichkeit. Droben mögen sie es so oder so versuchen;<lb/>
machen sie es besser als bisher, um so besser; machen sie es ebenso, so hat<lb/>
man wenigstens einen Decorationswechsel; machen sie es schlechter, so jagt<lb/>
man sie noch einmal fort, das Vergnügen und die Aussicht geht von Neuem<lb/>
an. Aber die sociale Lage, wenn auch Jeder sich eine bessere wünscht, gibt<lb/>
doch Keiner so leicht auf und wirft sie in den Schmelztiegel eines ganz un¬<lb/>
berechenbaren Experimentes. Darum blieb der Socialismus der Februar¬<lb/>
revolution bei Phrasen stehen, wie die folgende: ig. xroMöt« rsspect^o, mais<lb/>
I&lt;z «Zroit an travail Mrauti. Außerdem wurde noch der thörichte Versuch mit<lb/>
den Nationalwerkstätten unternommen, dessen Scheitern den Juniaufstand,<lb/>
den Vorläufer des communistischen Aufstandes vom Jahre 1871 hervorrief.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0029] Ohnmacht zu erweisen. In der ersten französischen Revolution tauchte sie in der nach Baboeuf genannten Verschwörung auf. Man weiß, wie seit der Julirevolution die communistischen und socialistischen Ideen in einer vorher nicht gekannten Mannigfaltigkeit von Formen sich der excentrischen Köpfe Frankreichs bemächtigten. Auf dem Boden des Staats kam sich Frankreich schon damals vor, als hätte es alle Versuche erschöpft. Königthum und Kaiserthum, jedes sowohl despotisch als verfassungsmäßig beschränkt, eine Anzahl republikanischer Modelle waren da gewesen. Was konnte der Staat der Erfindung noch für Aufgaben bieten? Modelle erfinden ist aber recht eigentlich die Beschäftigung des französischen Geistes. In ungekünstelten In¬ stitutionen naturgemäß leben, arbeiten, schaffen, sich und das Ganze vervoll¬ kommnen, ohne Verletzung Anderer, ohne Gewaltsamkeit, ohne fieberhafte Sprünge, ohne theatralische Geberde, ohne deklamatorischen Haß, dem halb- bestiale Ausschreitungen nicht fern sind, das Alles ist ganz und gar nicht Sache des Franzosen. Es mußten also neue Modelle gefunden und zu komö¬ dienhaften Jnscenesetzungen benutzt werden. So kamen die socialen Modelle auf die Tagesordnung. Die Februarrevolution war dazu bestimmt, diesen Modellen die Wirklichkeit zu öffnen, d. h. wie man das in Frankreich ver¬ steht, das Modell als Evangelium auszurufen und sich alsbald wieder dabei zu langweilen. Die Februarrevolution kam indeß nicht einmal mit einem Modell zu Stande. Es gab der socialen Modelle allzu viele zur Auswahl. Das war der eine Grund. Der andere Grund aber war, daß mit dem Eigenthum doch weit schwerer zu spaßen ist, als mit irgend einer Regierungsform. Heute Kaiser, morgen König, übermorgen Republik, das läßt sich der Franzose ohne Weiteres gefallen. Aber sich die Taschen leeren, sich von Haus und Hof, vielleicht gar von Weib und Kind jagen zu lassen, dazu verstände er sich doch nur, wenn er für die Wirklichkeit, die man ihm genommen, sogleich eine bessere, eine unzweifelhaft bessere, schmackhaftere und wo möglich auch dauerhaftere ausgehändigt erhielte. Beim bloßen Wechsel der Regierung be¬ hält Jeder seine Wirklichkeit. Droben mögen sie es so oder so versuchen; machen sie es besser als bisher, um so besser; machen sie es ebenso, so hat man wenigstens einen Decorationswechsel; machen sie es schlechter, so jagt man sie noch einmal fort, das Vergnügen und die Aussicht geht von Neuem an. Aber die sociale Lage, wenn auch Jeder sich eine bessere wünscht, gibt doch Keiner so leicht auf und wirft sie in den Schmelztiegel eines ganz un¬ berechenbaren Experimentes. Darum blieb der Socialismus der Februar¬ revolution bei Phrasen stehen, wie die folgende: ig. xroMöt« rsspect^o, mais I<z «Zroit an travail Mrauti. Außerdem wurde noch der thörichte Versuch mit den Nationalwerkstätten unternommen, dessen Scheitern den Juniaufstand, den Vorläufer des communistischen Aufstandes vom Jahre 1871 hervorrief.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/29
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/29>, abgerufen am 24.07.2024.