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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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einförmigste, um an ihr einen VraoZustus der philosophischen Grammatik zu
nehmen, sie ist die ordentlichste zu Sachen der Erzählung, der Vernunft und
des Raisonnements. Sie muß also -- unmittelbar auf die Muttersprache
folgen und vor jeder andern, selbst vor der lateinischen, vorausgehen. Ich
will, daß selbst der Gelehrte besser Französisch, als Latein könne!" Damit
halte man aber zusammen: "Derselbe Geist der monarchischen Sitten, den
Montesquieu an seiner Person so augenscheinlich malt, herrscht auch in ihrer
Sprache. .Tugend, innere Stärke, hat diese wenig, wie die Nation; man
macht mit dem Kleinsten das Größeste, was man kann, wie eine Maschine
durch ein Triebrad regiert wird.--Originalität hat sie nicht so viel(!);
aber das, was Ehre (Montesquieu's Princip der Monarchie) auch hier heißt,
das Vorurtheil jeder Person und jedes Buches und jedes Wortes, ist Haupt¬
sache. Ein gewisser Adel in Gedanken, eine gewisse Freiheit im Ausdruck,
eine Politesse in der Manier der Worte und in der Wendung: das ist das
Gepräge der französischen Sprache, wie ihrer Sitten. Nicht das, was man
andern lehrt, ist Hauptmine, sondern das, was man selbst weiß und lehren
kann; was man sich selbst schuldig ist, und das weiß keiner vortrefflicher als
Voltaire und Rousseau, so sehr es der letzte auch verleugnet und so
gräulich verschieden sie auch sind. Sie sind's doch, der erste eitel und frech
auf sich, der andere stolz und hochmüthig auf sich; aber beide suchen nichts
so sehr, als das Unterscheidende (Herder meint wohl, sie wollen jeder
auf seine Art neu und singulär sein). Nur jener glaubt sich immer schon
unterschieden zu haben und versieht sich bloß durch Witz; dieser durch seine
unausstehliche, immer unerhörte Neuigkeit und Paradorie! So sehr Rousseau
gegen die Philosophen ficht, so sieht man doch, daß es auch ihm nicht an
Richtigkeit, Güte, Vernunft, Nutzbarkeit feiner Gedanken gelegen ist; sondern
an Größe, Außerordentlichen, Neuem, Frappantem. Wo er dies finden
kann, ist er Sophist und Vertheidiger, und daher haben die Franzosen auch
so wenig Philosophen, Politiker und Geschichtschreiber; denn diesen drei
Leuten muß es bloß an der Wahrheit gelegen sein. Was aber opfert nicht
Voltaire einem Einfall, Rousseau einer Neuigkeit und Marmontel einer Wen¬
dung auf!" --

Es ist nicht unsere Absicht, diese Urtheile auf das Maß des Wahren zu
reduciren, das sie gewiß enthalten, nur das wollen wir nicht verschweigen,
daß die Grundtendenz des Voltaire'schen Geistes doch arg verkannt wird,
wenn man nicht anerkennt, daß die uns unmoralisch erscheinende Taktik, welche
die strenge Wahrheit dem Witze opfert, doch im Dienste eines Enthusiasmus
für reinste Zwecke der Wahrheit steht. Auch Heine, der so gern ein Bischen
den deutschen Voltaire spielte, redet einmal von einem Jesuitismus im Dienste


Grenzboten II. 1871. ZZ

einförmigste, um an ihr einen VraoZustus der philosophischen Grammatik zu
nehmen, sie ist die ordentlichste zu Sachen der Erzählung, der Vernunft und
des Raisonnements. Sie muß also — unmittelbar auf die Muttersprache
folgen und vor jeder andern, selbst vor der lateinischen, vorausgehen. Ich
will, daß selbst der Gelehrte besser Französisch, als Latein könne!" Damit
halte man aber zusammen: „Derselbe Geist der monarchischen Sitten, den
Montesquieu an seiner Person so augenscheinlich malt, herrscht auch in ihrer
Sprache. .Tugend, innere Stärke, hat diese wenig, wie die Nation; man
macht mit dem Kleinsten das Größeste, was man kann, wie eine Maschine
durch ein Triebrad regiert wird.--Originalität hat sie nicht so viel(!);
aber das, was Ehre (Montesquieu's Princip der Monarchie) auch hier heißt,
das Vorurtheil jeder Person und jedes Buches und jedes Wortes, ist Haupt¬
sache. Ein gewisser Adel in Gedanken, eine gewisse Freiheit im Ausdruck,
eine Politesse in der Manier der Worte und in der Wendung: das ist das
Gepräge der französischen Sprache, wie ihrer Sitten. Nicht das, was man
andern lehrt, ist Hauptmine, sondern das, was man selbst weiß und lehren
kann; was man sich selbst schuldig ist, und das weiß keiner vortrefflicher als
Voltaire und Rousseau, so sehr es der letzte auch verleugnet und so
gräulich verschieden sie auch sind. Sie sind's doch, der erste eitel und frech
auf sich, der andere stolz und hochmüthig auf sich; aber beide suchen nichts
so sehr, als das Unterscheidende (Herder meint wohl, sie wollen jeder
auf seine Art neu und singulär sein). Nur jener glaubt sich immer schon
unterschieden zu haben und versieht sich bloß durch Witz; dieser durch seine
unausstehliche, immer unerhörte Neuigkeit und Paradorie! So sehr Rousseau
gegen die Philosophen ficht, so sieht man doch, daß es auch ihm nicht an
Richtigkeit, Güte, Vernunft, Nutzbarkeit feiner Gedanken gelegen ist; sondern
an Größe, Außerordentlichen, Neuem, Frappantem. Wo er dies finden
kann, ist er Sophist und Vertheidiger, und daher haben die Franzosen auch
so wenig Philosophen, Politiker und Geschichtschreiber; denn diesen drei
Leuten muß es bloß an der Wahrheit gelegen sein. Was aber opfert nicht
Voltaire einem Einfall, Rousseau einer Neuigkeit und Marmontel einer Wen¬
dung auf!" —

Es ist nicht unsere Absicht, diese Urtheile auf das Maß des Wahren zu
reduciren, das sie gewiß enthalten, nur das wollen wir nicht verschweigen,
daß die Grundtendenz des Voltaire'schen Geistes doch arg verkannt wird,
wenn man nicht anerkennt, daß die uns unmoralisch erscheinende Taktik, welche
die strenge Wahrheit dem Witze opfert, doch im Dienste eines Enthusiasmus
für reinste Zwecke der Wahrheit steht. Auch Heine, der so gern ein Bischen
den deutschen Voltaire spielte, redet einmal von einem Jesuitismus im Dienste


Grenzboten II. 1871. ZZ
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[0265] einförmigste, um an ihr einen VraoZustus der philosophischen Grammatik zu nehmen, sie ist die ordentlichste zu Sachen der Erzählung, der Vernunft und des Raisonnements. Sie muß also — unmittelbar auf die Muttersprache folgen und vor jeder andern, selbst vor der lateinischen, vorausgehen. Ich will, daß selbst der Gelehrte besser Französisch, als Latein könne!" Damit halte man aber zusammen: „Derselbe Geist der monarchischen Sitten, den Montesquieu an seiner Person so augenscheinlich malt, herrscht auch in ihrer Sprache. .Tugend, innere Stärke, hat diese wenig, wie die Nation; man macht mit dem Kleinsten das Größeste, was man kann, wie eine Maschine durch ein Triebrad regiert wird.--Originalität hat sie nicht so viel(!); aber das, was Ehre (Montesquieu's Princip der Monarchie) auch hier heißt, das Vorurtheil jeder Person und jedes Buches und jedes Wortes, ist Haupt¬ sache. Ein gewisser Adel in Gedanken, eine gewisse Freiheit im Ausdruck, eine Politesse in der Manier der Worte und in der Wendung: das ist das Gepräge der französischen Sprache, wie ihrer Sitten. Nicht das, was man andern lehrt, ist Hauptmine, sondern das, was man selbst weiß und lehren kann; was man sich selbst schuldig ist, und das weiß keiner vortrefflicher als Voltaire und Rousseau, so sehr es der letzte auch verleugnet und so gräulich verschieden sie auch sind. Sie sind's doch, der erste eitel und frech auf sich, der andere stolz und hochmüthig auf sich; aber beide suchen nichts so sehr, als das Unterscheidende (Herder meint wohl, sie wollen jeder auf seine Art neu und singulär sein). Nur jener glaubt sich immer schon unterschieden zu haben und versieht sich bloß durch Witz; dieser durch seine unausstehliche, immer unerhörte Neuigkeit und Paradorie! So sehr Rousseau gegen die Philosophen ficht, so sieht man doch, daß es auch ihm nicht an Richtigkeit, Güte, Vernunft, Nutzbarkeit feiner Gedanken gelegen ist; sondern an Größe, Außerordentlichen, Neuem, Frappantem. Wo er dies finden kann, ist er Sophist und Vertheidiger, und daher haben die Franzosen auch so wenig Philosophen, Politiker und Geschichtschreiber; denn diesen drei Leuten muß es bloß an der Wahrheit gelegen sein. Was aber opfert nicht Voltaire einem Einfall, Rousseau einer Neuigkeit und Marmontel einer Wen¬ dung auf!" — Es ist nicht unsere Absicht, diese Urtheile auf das Maß des Wahren zu reduciren, das sie gewiß enthalten, nur das wollen wir nicht verschweigen, daß die Grundtendenz des Voltaire'schen Geistes doch arg verkannt wird, wenn man nicht anerkennt, daß die uns unmoralisch erscheinende Taktik, welche die strenge Wahrheit dem Witze opfert, doch im Dienste eines Enthusiasmus für reinste Zwecke der Wahrheit steht. Auch Heine, der so gern ein Bischen den deutschen Voltaire spielte, redet einmal von einem Jesuitismus im Dienste Grenzboten II. 1871. ZZ

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/265>, abgerufen am 25.07.2024.