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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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sich beide ungefähr verhalten, wie das englische Vollblutpferd zu dem Bra-
banter Karrengaul. Vielleicht entgegnet man, der schwerblütige Deutsche be¬
sitze nichts, was sich mit dem Feuer des edlen Rosses vergleichen ließe. Doch,
dem widerspreche ich entschieden; jenes Feuer wird unendlich übertroffen durch
die deutsche Begeisterung, wie sie sich neuerdings wieder bei Wörth, Spichern,
Mars la Tour, gegen Paris und am Lisainebach, im Krieg gegen Frankreich
überhaupt, einem sicheren Tode gegenüber erwiesen hat. Können Russen auch
begeistert sein? -- Man kann sich das gar nicht vorstellen, in ihrer ganzen
Geschichte hat sich noch niemals eine solche Gemüthserhebung gezeigt. Statt
dessen besitzen sie die Seligkeit, welche das Wodky erzeugt, und den Fanatis¬
mus. Jedesmal, wenn es galt, sie über irgend eine Gefahr hinweg zu
bringen, hat man sie durch Schnaps oder durch Erregung des Glaubens¬
oder des Fremdenhasses -- betäubt. Betäubung ist keine Begeisterung!

Es ist im Voraus gar nicht genau anzugeben, in welchen Einzelheiten
sich bei dem kriegerischen Zusammenstoß Rußlands mit Deutschland die
höhere Cultur des letzteren bewähren wird, ebenso wenig wie man darüber
eingehende Rechenschaft zu geben vermag, warum der titel- und ordensreichste
Russe einem schlichten bürgerlichen Deutschen gegenüber sich gedrückt fühlt
und unwillkürlich in seine eigenartige Unterwürfigkeit verfällt, oder auch
warum die preußischen Soldaten bei der gemeinschaftlichen Heerschau bei Ka-
lisch 1834, welche ein Verbrüderungsfest der beiden Heere sein sollte, die rus¬
sischen Kameraden nicht als Ihresgleichen anerkennen mochten, obgleich deren
Uniformen, Waffen, militärische Schulung nicht schlechter waren als die ihri¬
gen. Indeß lassen sich aus den Erfahrungen früherer Jahre und Jahrhun¬
derte und aus den gegenwärtigen Zuständen doch manche Schlüsse auf die
Zukunft ziehen, welche wenigstens meistentheils zutreffen werden. So meinen
wir z. B., daß die Deutschen bei einem etwaigen Kampfe mit dem slawischen
Riesen einen Verbündeten haben werden, welcher noch vor anderthalb Jahr¬
zehnten den Franzosen redlich beistand, wir meinen die Ratten. Ratten fres¬
sen in Rußland nicht blos die Getreidevorräthe in den Speichern, sie fressen
auch ganze Rinderheerden, Heu, Stroh, Pferde, sie leeren ganze Zeughäuser,
sie zernagen selbst den Stahl an den Waffen und lassen blos das Eisen übrig,
sie verschmähen nicht den Salpeter im Pulver, sie unterwühlen sogar Festungs¬
mauern. Als die Engländer im Krimkriege Bomarsund beschossen, da erstaun¬
ten sie, als dieses anscheinend so furchtbare Bollwerk gleich in den ersten
Tagen gleichsam von selbst in Trümmer fiel. Das hatten die Ratten gethan.
Diese fabelhafte Abart der gefräßigen Nagethiere fucht unter allen Völkern
Europas am meisten die Söhne Moskowiens heim, und zwar ganz einfach
deswegen, weil sie unter allen am weitesten in der Cultur zurückstehen. Mit
der Cultur ist Ehre und Gewissen verbunden, und das ist Gift für die Ratten.


sich beide ungefähr verhalten, wie das englische Vollblutpferd zu dem Bra-
banter Karrengaul. Vielleicht entgegnet man, der schwerblütige Deutsche be¬
sitze nichts, was sich mit dem Feuer des edlen Rosses vergleichen ließe. Doch,
dem widerspreche ich entschieden; jenes Feuer wird unendlich übertroffen durch
die deutsche Begeisterung, wie sie sich neuerdings wieder bei Wörth, Spichern,
Mars la Tour, gegen Paris und am Lisainebach, im Krieg gegen Frankreich
überhaupt, einem sicheren Tode gegenüber erwiesen hat. Können Russen auch
begeistert sein? — Man kann sich das gar nicht vorstellen, in ihrer ganzen
Geschichte hat sich noch niemals eine solche Gemüthserhebung gezeigt. Statt
dessen besitzen sie die Seligkeit, welche das Wodky erzeugt, und den Fanatis¬
mus. Jedesmal, wenn es galt, sie über irgend eine Gefahr hinweg zu
bringen, hat man sie durch Schnaps oder durch Erregung des Glaubens¬
oder des Fremdenhasses — betäubt. Betäubung ist keine Begeisterung!

Es ist im Voraus gar nicht genau anzugeben, in welchen Einzelheiten
sich bei dem kriegerischen Zusammenstoß Rußlands mit Deutschland die
höhere Cultur des letzteren bewähren wird, ebenso wenig wie man darüber
eingehende Rechenschaft zu geben vermag, warum der titel- und ordensreichste
Russe einem schlichten bürgerlichen Deutschen gegenüber sich gedrückt fühlt
und unwillkürlich in seine eigenartige Unterwürfigkeit verfällt, oder auch
warum die preußischen Soldaten bei der gemeinschaftlichen Heerschau bei Ka-
lisch 1834, welche ein Verbrüderungsfest der beiden Heere sein sollte, die rus¬
sischen Kameraden nicht als Ihresgleichen anerkennen mochten, obgleich deren
Uniformen, Waffen, militärische Schulung nicht schlechter waren als die ihri¬
gen. Indeß lassen sich aus den Erfahrungen früherer Jahre und Jahrhun¬
derte und aus den gegenwärtigen Zuständen doch manche Schlüsse auf die
Zukunft ziehen, welche wenigstens meistentheils zutreffen werden. So meinen
wir z. B., daß die Deutschen bei einem etwaigen Kampfe mit dem slawischen
Riesen einen Verbündeten haben werden, welcher noch vor anderthalb Jahr¬
zehnten den Franzosen redlich beistand, wir meinen die Ratten. Ratten fres¬
sen in Rußland nicht blos die Getreidevorräthe in den Speichern, sie fressen
auch ganze Rinderheerden, Heu, Stroh, Pferde, sie leeren ganze Zeughäuser,
sie zernagen selbst den Stahl an den Waffen und lassen blos das Eisen übrig,
sie verschmähen nicht den Salpeter im Pulver, sie unterwühlen sogar Festungs¬
mauern. Als die Engländer im Krimkriege Bomarsund beschossen, da erstaun¬
ten sie, als dieses anscheinend so furchtbare Bollwerk gleich in den ersten
Tagen gleichsam von selbst in Trümmer fiel. Das hatten die Ratten gethan.
Diese fabelhafte Abart der gefräßigen Nagethiere fucht unter allen Völkern
Europas am meisten die Söhne Moskowiens heim, und zwar ganz einfach
deswegen, weil sie unter allen am weitesten in der Cultur zurückstehen. Mit
der Cultur ist Ehre und Gewissen verbunden, und das ist Gift für die Ratten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/261>, abgerufen am 24.07.2024.