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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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darin wird man ihm gewiß allgemein zustimmen -- das Fußvolk. Dieses
aber ist bei den Russen allseitig als tüchtig anerkannt worden. Der anonyme
Verfasser der Schrift "Die Heeresmacht Rußlands,"") wahrscheinlich ein deut¬
scher Offizier, sagt über dasselbe u. a.: "Man trifft für diese Waffengattung
keine Auswahl unter den Rekruten, fondern die Infanterie, mit Ausnahme
der Garde, erhält im Gegentheil den Rest der Rekruten, nachdem die anderen
Waffen sich die besten Leute ausgesucht haben. Gleichwohl besteht die russische
Linieninfanterie durchweg aus schönen, kräftigen, verhältnißmäßig hochgewach¬
senen Leuten." Indeß das ist Nebensache; denn "nicht die Gewalt der Arme,
noch die Tüchtigkeit der Waffen, sondern die Kraft des Gemüths ist es, die
Siege erkämpft," sagt unser Fichte. Ueber die den Russen eigenthümliche
"Kraft des Gemüths" giebt uns Fadejew folgende Auskunft:

"Die russischen Bataillone rücken gegen den Feind, um Mann gegen
Mann mit ihm zu kämpfen, nicht aber, um auf kurze Entfernung auf ihn
zu schießen; dem angreifenden Feind begegnen sie natürlich mit einem Ge¬
wehrfeuer, erwarten aber nicht, wie andere, seine Schüsse H bout portant,
sondern werfen sich selbst, nachdem sie ihn auf kurze Entfernung herangelas¬
sen, dem Feinde entgegen. Der russische Soldat haßt den Kampf mit Feuer¬
waffen und hat kein Vertrauen zu dem Anführer, welcher ihn lange eine
Kanonade führen läßt, fondern vertraut nur seiner Faust, dem Bajonett und
dem Kolben. Er kennt viel besser seine Eigenthümlichkeit, als die Taktiker,
welche ihn ausbilden. Suwarow pflegte zu sagen: "die Kugel ist eine När¬
rin, das Bajonett ein wackerer Bursch." .... Der russische Soldat ist ein
Kämpfer im Handgemenge, aber kein Schütze; und wird er auch zum Schützen
oder zum Cavaleristen, so ist er es doch nur halb; er ist langsam, auch nicht
wenig schwerfällig und nur im Haufen, unter Kameraden, völlig entschlossen.
Hadschi-Murad, der berühmte Parteigänger der Bergvölker, pflegte zu sagen:
"der russische Soldat ist ein sonderbarer Mensch! Einzeln taugt er nichts dem
Lesgier gegenüber, sammelt sich aber ein Haufe von etwa 10 Mann, fo wird
selbst der Teufel mit ihm nicht fertig." Zehn Mann sind keine Fronte; ein
solcher Haufe hat nichts von den specifischen Vorzügen der regulären Truppen .
und in ihrer Stärke kommt nur das Wesen des Volkscharakters zum Aus¬
druck: "auch der Tod ist schön in dieser Welt" -- und zwar eben nicht die
wesentliche Eigenthümlichkeit des Einzelschützen, sondern des im Handgemenge
hervorragenden regulären Kriegers. Fadejew räumt wiederholt ein, daß das
russische Fußvolk schlecht schießt, daß es den europäischen Truppen hinsichtlich
ihres Feuers kaum jemals gleichkommen werde; aber er beklagt diesen Man¬
gel nicht, denn er werde durch die Ueberlegenheit im Handgemenge mehr als
aufgewogen.



") Berlin, Karl Duncker.

darin wird man ihm gewiß allgemein zustimmen — das Fußvolk. Dieses
aber ist bei den Russen allseitig als tüchtig anerkannt worden. Der anonyme
Verfasser der Schrift „Die Heeresmacht Rußlands,"") wahrscheinlich ein deut¬
scher Offizier, sagt über dasselbe u. a.: „Man trifft für diese Waffengattung
keine Auswahl unter den Rekruten, fondern die Infanterie, mit Ausnahme
der Garde, erhält im Gegentheil den Rest der Rekruten, nachdem die anderen
Waffen sich die besten Leute ausgesucht haben. Gleichwohl besteht die russische
Linieninfanterie durchweg aus schönen, kräftigen, verhältnißmäßig hochgewach¬
senen Leuten." Indeß das ist Nebensache; denn „nicht die Gewalt der Arme,
noch die Tüchtigkeit der Waffen, sondern die Kraft des Gemüths ist es, die
Siege erkämpft," sagt unser Fichte. Ueber die den Russen eigenthümliche
„Kraft des Gemüths" giebt uns Fadejew folgende Auskunft:

„Die russischen Bataillone rücken gegen den Feind, um Mann gegen
Mann mit ihm zu kämpfen, nicht aber, um auf kurze Entfernung auf ihn
zu schießen; dem angreifenden Feind begegnen sie natürlich mit einem Ge¬
wehrfeuer, erwarten aber nicht, wie andere, seine Schüsse H bout portant,
sondern werfen sich selbst, nachdem sie ihn auf kurze Entfernung herangelas¬
sen, dem Feinde entgegen. Der russische Soldat haßt den Kampf mit Feuer¬
waffen und hat kein Vertrauen zu dem Anführer, welcher ihn lange eine
Kanonade führen läßt, fondern vertraut nur seiner Faust, dem Bajonett und
dem Kolben. Er kennt viel besser seine Eigenthümlichkeit, als die Taktiker,
welche ihn ausbilden. Suwarow pflegte zu sagen: „die Kugel ist eine När¬
rin, das Bajonett ein wackerer Bursch." .... Der russische Soldat ist ein
Kämpfer im Handgemenge, aber kein Schütze; und wird er auch zum Schützen
oder zum Cavaleristen, so ist er es doch nur halb; er ist langsam, auch nicht
wenig schwerfällig und nur im Haufen, unter Kameraden, völlig entschlossen.
Hadschi-Murad, der berühmte Parteigänger der Bergvölker, pflegte zu sagen:
„der russische Soldat ist ein sonderbarer Mensch! Einzeln taugt er nichts dem
Lesgier gegenüber, sammelt sich aber ein Haufe von etwa 10 Mann, fo wird
selbst der Teufel mit ihm nicht fertig." Zehn Mann sind keine Fronte; ein
solcher Haufe hat nichts von den specifischen Vorzügen der regulären Truppen .
und in ihrer Stärke kommt nur das Wesen des Volkscharakters zum Aus¬
druck: „auch der Tod ist schön in dieser Welt" — und zwar eben nicht die
wesentliche Eigenthümlichkeit des Einzelschützen, sondern des im Handgemenge
hervorragenden regulären Kriegers. Fadejew räumt wiederholt ein, daß das
russische Fußvolk schlecht schießt, daß es den europäischen Truppen hinsichtlich
ihres Feuers kaum jemals gleichkommen werde; aber er beklagt diesen Man¬
gel nicht, denn er werde durch die Ueberlegenheit im Handgemenge mehr als
aufgewogen.



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/254>, abgerufen am 25.07.2024.