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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Wir können hierbei auf die genaue Darstellung der Stuttgarter und
Versailler Vorgänge in jener Zeit auf S. 272 ff. des vorigen Barth der
Grenzboten verweisen, aus welcher sich gleichfalls die theilweise Ungenauigkeit
des Berichts der Preußischen Jahrbücher ergibt. Letztere hatten offenbar un¬
seren Staatsmännern eine politische Initiative zugetraut, für welche es da¬
mals in Stuttgart an geradezu allen Bedingungen fehlte; die Intrigue,
welche damals im Rücken der Minister v. Mill nacht und von
Sukow spielte, konnte blos passiven Widerstand leisten, um Zeit zu ge¬
winn, zu positiven Leistungen war sie unfähig.

Aus den übrigen Verhandlungen der Ständekammer dürfte nur noch
der von den Abgeordneten zum Beschluß erhobene Antrag Römers her¬
vorzuheben sein, einen Bericht der staatsrechtlichen Commission über das Ver¬
halten der württembergischen Regierung bei der Publication der Decrete über
die Jnfallibilität einzufordern, ferner die aus Anlaß eines Gesetzes über die
Regelung der Rechtsverhältnisse der Dissidenten mit 61 gegen 18 Stimmen
beschlossene Bitte an die Regierung um Aufhebung des Verbots der Ehe
zwischen Juden und Christen. Der Eintritt in das Reich gab ferner Anlaß,
die bisherige Competenz des obersten Gerichtshofs in Handelssachen mit Rück¬
sicht auf die Zuständigkeit des Oberhandelsgericht durch ein Gesetz abzuändern
und den Begriff der Handelssachen in Uebereinstimmung mit dem Reichsgesetz
zu normiren; die erste Abänderung unserer neuen Civilproceßordnung, welche
übrigens ohnehin -- vom Standpunct der juristischen Technik aus -- so
gänzlich mißlungen ist, daß auch bei uns die Fachmänner der Emanirung
der deutschen Civilproceßordnung sehnsüchtig entgegensehen. Dabei hofft man
allgemein auf die gleichzeitige Erlassung eines Strafgesetzes über die staats¬
rechtliche, wie über die pecuniäre Stellung des gesammten deutschen Richter¬
stands, welcher nur auf diesem Weg aus seiner theilweise unwürdigen Lage
erlöst werden kann. Der Abgang Römers, des langjährigen ebenso geiht- und
kenntnißreichen als energischen Vertreters der nationalen Sache in Schwaben
zum deutschen Oberhandelsgericht wird hier- allgemein und aufrichtig be¬
dauert : wie auch nicht zu verkennen ist, daß er im passenden Moment eine
Ständekammer verläßt, in welcher die selbstgenugsame kleinbürgerliche Be¬
schränktheit mit der zunehmenden Macht- und Bedeutungslosigkeit der ganzen
Körperschaft immer mehr an Terrain gewinnt, so daß bei der vorhandenen
Scheu vor jeder principiellen Neugestaltung für jeden Mann von Geist eine
eben so langweilige als ermüdende Function im Abgeordnetenhaus in Aus¬
sicht steht.

Der Einzug unserer Truppen fand bei strömendem Regen statt. Man
war zwar von gewisser Seite bemüht gewesen, dem Fest einen exclusiv schwä¬
bischen Charakter zu verleihen, namentlich auch durch die Fernhaltung der ub-


Wir können hierbei auf die genaue Darstellung der Stuttgarter und
Versailler Vorgänge in jener Zeit auf S. 272 ff. des vorigen Barth der
Grenzboten verweisen, aus welcher sich gleichfalls die theilweise Ungenauigkeit
des Berichts der Preußischen Jahrbücher ergibt. Letztere hatten offenbar un¬
seren Staatsmännern eine politische Initiative zugetraut, für welche es da¬
mals in Stuttgart an geradezu allen Bedingungen fehlte; die Intrigue,
welche damals im Rücken der Minister v. Mill nacht und von
Sukow spielte, konnte blos passiven Widerstand leisten, um Zeit zu ge¬
winn, zu positiven Leistungen war sie unfähig.

Aus den übrigen Verhandlungen der Ständekammer dürfte nur noch
der von den Abgeordneten zum Beschluß erhobene Antrag Römers her¬
vorzuheben sein, einen Bericht der staatsrechtlichen Commission über das Ver¬
halten der württembergischen Regierung bei der Publication der Decrete über
die Jnfallibilität einzufordern, ferner die aus Anlaß eines Gesetzes über die
Regelung der Rechtsverhältnisse der Dissidenten mit 61 gegen 18 Stimmen
beschlossene Bitte an die Regierung um Aufhebung des Verbots der Ehe
zwischen Juden und Christen. Der Eintritt in das Reich gab ferner Anlaß,
die bisherige Competenz des obersten Gerichtshofs in Handelssachen mit Rück¬
sicht auf die Zuständigkeit des Oberhandelsgericht durch ein Gesetz abzuändern
und den Begriff der Handelssachen in Uebereinstimmung mit dem Reichsgesetz
zu normiren; die erste Abänderung unserer neuen Civilproceßordnung, welche
übrigens ohnehin — vom Standpunct der juristischen Technik aus — so
gänzlich mißlungen ist, daß auch bei uns die Fachmänner der Emanirung
der deutschen Civilproceßordnung sehnsüchtig entgegensehen. Dabei hofft man
allgemein auf die gleichzeitige Erlassung eines Strafgesetzes über die staats¬
rechtliche, wie über die pecuniäre Stellung des gesammten deutschen Richter¬
stands, welcher nur auf diesem Weg aus seiner theilweise unwürdigen Lage
erlöst werden kann. Der Abgang Römers, des langjährigen ebenso geiht- und
kenntnißreichen als energischen Vertreters der nationalen Sache in Schwaben
zum deutschen Oberhandelsgericht wird hier- allgemein und aufrichtig be¬
dauert : wie auch nicht zu verkennen ist, daß er im passenden Moment eine
Ständekammer verläßt, in welcher die selbstgenugsame kleinbürgerliche Be¬
schränktheit mit der zunehmenden Macht- und Bedeutungslosigkeit der ganzen
Körperschaft immer mehr an Terrain gewinnt, so daß bei der vorhandenen
Scheu vor jeder principiellen Neugestaltung für jeden Mann von Geist eine
eben so langweilige als ermüdende Function im Abgeordnetenhaus in Aus¬
sicht steht.

Der Einzug unserer Truppen fand bei strömendem Regen statt. Man
war zwar von gewisser Seite bemüht gewesen, dem Fest einen exclusiv schwä¬
bischen Charakter zu verleihen, namentlich auch durch die Fernhaltung der ub-


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[0239] Wir können hierbei auf die genaue Darstellung der Stuttgarter und Versailler Vorgänge in jener Zeit auf S. 272 ff. des vorigen Barth der Grenzboten verweisen, aus welcher sich gleichfalls die theilweise Ungenauigkeit des Berichts der Preußischen Jahrbücher ergibt. Letztere hatten offenbar un¬ seren Staatsmännern eine politische Initiative zugetraut, für welche es da¬ mals in Stuttgart an geradezu allen Bedingungen fehlte; die Intrigue, welche damals im Rücken der Minister v. Mill nacht und von Sukow spielte, konnte blos passiven Widerstand leisten, um Zeit zu ge¬ winn, zu positiven Leistungen war sie unfähig. Aus den übrigen Verhandlungen der Ständekammer dürfte nur noch der von den Abgeordneten zum Beschluß erhobene Antrag Römers her¬ vorzuheben sein, einen Bericht der staatsrechtlichen Commission über das Ver¬ halten der württembergischen Regierung bei der Publication der Decrete über die Jnfallibilität einzufordern, ferner die aus Anlaß eines Gesetzes über die Regelung der Rechtsverhältnisse der Dissidenten mit 61 gegen 18 Stimmen beschlossene Bitte an die Regierung um Aufhebung des Verbots der Ehe zwischen Juden und Christen. Der Eintritt in das Reich gab ferner Anlaß, die bisherige Competenz des obersten Gerichtshofs in Handelssachen mit Rück¬ sicht auf die Zuständigkeit des Oberhandelsgericht durch ein Gesetz abzuändern und den Begriff der Handelssachen in Uebereinstimmung mit dem Reichsgesetz zu normiren; die erste Abänderung unserer neuen Civilproceßordnung, welche übrigens ohnehin — vom Standpunct der juristischen Technik aus — so gänzlich mißlungen ist, daß auch bei uns die Fachmänner der Emanirung der deutschen Civilproceßordnung sehnsüchtig entgegensehen. Dabei hofft man allgemein auf die gleichzeitige Erlassung eines Strafgesetzes über die staats¬ rechtliche, wie über die pecuniäre Stellung des gesammten deutschen Richter¬ stands, welcher nur auf diesem Weg aus seiner theilweise unwürdigen Lage erlöst werden kann. Der Abgang Römers, des langjährigen ebenso geiht- und kenntnißreichen als energischen Vertreters der nationalen Sache in Schwaben zum deutschen Oberhandelsgericht wird hier- allgemein und aufrichtig be¬ dauert : wie auch nicht zu verkennen ist, daß er im passenden Moment eine Ständekammer verläßt, in welcher die selbstgenugsame kleinbürgerliche Be¬ schränktheit mit der zunehmenden Macht- und Bedeutungslosigkeit der ganzen Körperschaft immer mehr an Terrain gewinnt, so daß bei der vorhandenen Scheu vor jeder principiellen Neugestaltung für jeden Mann von Geist eine eben so langweilige als ermüdende Function im Abgeordnetenhaus in Aus¬ sicht steht. Der Einzug unserer Truppen fand bei strömendem Regen statt. Man war zwar von gewisser Seite bemüht gewesen, dem Fest einen exclusiv schwä¬ bischen Charakter zu verleihen, namentlich auch durch die Fernhaltung der ub-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/239>, abgerufen am 24.07.2024.