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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Berather des Königs gewesen. Das Verdienst, das er sich erworben, ist
ziemlich lange unter den Scheffel gestellt worden und gewiß ist es ihm unter
diesen Verhältnissen zu gönnen, daß auch er eine Art von Dotation erhält.
In solchen entscheidenden Atomenten gibt etwas den Ausschlag, was von
aller Parteipolitik unabhängig ist: der Charakter, und ihn hat Graf Eulen¬
burg bewährt. Daß unter solchen Bewandnissen ein Rücktritt des Ministers
nicht zu erwarten ist braucht kaum gesagt zu werden. Er ist auch in poli¬
tischer Beziehung weniger angezeigt, als sonst, da für die nächste Zeit in
dem Gebiete des Ministeriums des Innern die Fragen, welche eine principielle
Entscheidung herausfordern, noch vertagt bleiben werden.




Ludwig Iamöerger.

Zur Naturgeschichte des französischen Krieges. (Leipzig, Ernst Günther's
Verlag, 1871.)

Die hier gesammelten Artikel waren im vorigen Winter, während der
Belagerung von Paris, in der "Augsburger Allgemeinen Zeitung" als "Bei¬
träge zur Völkerpsychologie" erschienen. Wenn der geistreiche Publicist die
Erzeugnisse des Moments hier, unter einem minder gesuchten, aber auch minder
scharf bezeichnenden Titel, und mit einer neuen Vorrede versehen, dem Pub-
licum in der festeren Form des Buches bietet, so war selten ein Tages¬
schriftsteller besser berechtigt dazu. Denn des Verfassers Darstellung hat in
der Geschichte der Pariser Commune eine so schlagende, so augenfällige Be¬
stätigung gefunden, als ob er sie sich erpreß dazu bestellt hätte. Nicht alle
Welt war durch die psychologischen Erscheinungen während des Krieges zur
Genüge aufgeklärt; naturgemäß sah, sprach und urtheilt damals Jedermann
von der Zinne einer Partei aus, und die Franzosen wußten mit altgeübter
Geschicklichkeit unseren wohlbegründeten Vorwürfen fo ausführliche und weit
ausgeführte Erfindungen gegenüber zu stellen, (wie z. B. schon Anfangs
wegen der gegen Belgien gerichteten Annerionsgelüste, später wegen der un¬
zähligen Verletzungen fast aller feststehenden Regeln des Völkerrechts), daß
der Dritte -- zumal soweit die gar verbreitete Franzosen-Sympathie reichte,
-- sich wenigstens jeder Entscheidung enthielt, wenn er seine Entscheidung
nicht gegen Deutschland zu kehren vorzog. Während des Pariser Aufstandes
aber standen Franzosen auf beiden Seiten; sie richteten ihr Lügensystem
gegen einander, sie machten an einander die Probe auf ihre Erfindungen,
hochtrabenden Phrasen, terroristischen Programme u. s, w. Diese schreckliche
Katastrophe wurde von den Franzosen nicht so tief empfunden, als es unserem
Gefühl nach hätte sein müssen. Sie brauchten einen Sieger, und sie fanden
ihn wenigstens auf diesem Felde. Da Thiers und Ma'c-Mahon endlich die
Communalisten überwanden, so schwelgte die Nation in dem Gedanken, durch
ihren unvergleichlichen Heroismus die Welt vor der Anarchie errettet zu haben.
Wären Assy, Pyat und Grousset die Sieger geblieben, so hätte Frankreich
sich in dem Gedanken berauscht, ein neues Prinzip mit allen Mitteln eines
heldenhaften Volkskrieges durchgesetzt und die alte Welt aus dem Felde ge¬
schlagen zu haben. Wie jetzt Trochü unter dem jubelnden Beifall der Ratio-


Berather des Königs gewesen. Das Verdienst, das er sich erworben, ist
ziemlich lange unter den Scheffel gestellt worden und gewiß ist es ihm unter
diesen Verhältnissen zu gönnen, daß auch er eine Art von Dotation erhält.
In solchen entscheidenden Atomenten gibt etwas den Ausschlag, was von
aller Parteipolitik unabhängig ist: der Charakter, und ihn hat Graf Eulen¬
burg bewährt. Daß unter solchen Bewandnissen ein Rücktritt des Ministers
nicht zu erwarten ist braucht kaum gesagt zu werden. Er ist auch in poli¬
tischer Beziehung weniger angezeigt, als sonst, da für die nächste Zeit in
dem Gebiete des Ministeriums des Innern die Fragen, welche eine principielle
Entscheidung herausfordern, noch vertagt bleiben werden.




Ludwig Iamöerger.

Zur Naturgeschichte des französischen Krieges. (Leipzig, Ernst Günther's
Verlag, 1871.)

Die hier gesammelten Artikel waren im vorigen Winter, während der
Belagerung von Paris, in der „Augsburger Allgemeinen Zeitung" als „Bei¬
träge zur Völkerpsychologie" erschienen. Wenn der geistreiche Publicist die
Erzeugnisse des Moments hier, unter einem minder gesuchten, aber auch minder
scharf bezeichnenden Titel, und mit einer neuen Vorrede versehen, dem Pub-
licum in der festeren Form des Buches bietet, so war selten ein Tages¬
schriftsteller besser berechtigt dazu. Denn des Verfassers Darstellung hat in
der Geschichte der Pariser Commune eine so schlagende, so augenfällige Be¬
stätigung gefunden, als ob er sie sich erpreß dazu bestellt hätte. Nicht alle
Welt war durch die psychologischen Erscheinungen während des Krieges zur
Genüge aufgeklärt; naturgemäß sah, sprach und urtheilt damals Jedermann
von der Zinne einer Partei aus, und die Franzosen wußten mit altgeübter
Geschicklichkeit unseren wohlbegründeten Vorwürfen fo ausführliche und weit
ausgeführte Erfindungen gegenüber zu stellen, (wie z. B. schon Anfangs
wegen der gegen Belgien gerichteten Annerionsgelüste, später wegen der un¬
zähligen Verletzungen fast aller feststehenden Regeln des Völkerrechts), daß
der Dritte — zumal soweit die gar verbreitete Franzosen-Sympathie reichte,
— sich wenigstens jeder Entscheidung enthielt, wenn er seine Entscheidung
nicht gegen Deutschland zu kehren vorzog. Während des Pariser Aufstandes
aber standen Franzosen auf beiden Seiten; sie richteten ihr Lügensystem
gegen einander, sie machten an einander die Probe auf ihre Erfindungen,
hochtrabenden Phrasen, terroristischen Programme u. s, w. Diese schreckliche
Katastrophe wurde von den Franzosen nicht so tief empfunden, als es unserem
Gefühl nach hätte sein müssen. Sie brauchten einen Sieger, und sie fanden
ihn wenigstens auf diesem Felde. Da Thiers und Ma'c-Mahon endlich die
Communalisten überwanden, so schwelgte die Nation in dem Gedanken, durch
ihren unvergleichlichen Heroismus die Welt vor der Anarchie errettet zu haben.
Wären Assy, Pyat und Grousset die Sieger geblieben, so hätte Frankreich
sich in dem Gedanken berauscht, ein neues Prinzip mit allen Mitteln eines
heldenhaften Volkskrieges durchgesetzt und die alte Welt aus dem Felde ge¬
schlagen zu haben. Wie jetzt Trochü unter dem jubelnden Beifall der Ratio-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/207>, abgerufen am 24.07.2024.