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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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steurung hinaus, sobald Bundeskriege kommen -- er verkümmert alle
Staatsausgaben für jene echtmenschlichen Culturinteressen,
durch deren reiche Entwicklung -- Schule. Kirche, Eisenbahnen, Land¬
straßen u. s. w. -- Württemberg glücklich wurde und ganz Deutsch¬
land vor der Welt schmücken half." --

So das Programm. Es versteht sich von selbst, daß Herr Schaffte ge¬
wählt ward. Denn er hatte erstens das antideutsche Ministerium Varnbüler
für sich und zweitens alle Diejenigen, welche dem Staate weder Kriegsdienste
leisten noch Steuern bezahlen wollten, sich aber sehr geschmeichelt fühlten,
wenn ein Doctor der Weltweisheit ihnen Schwarz auf Weiß schriftlich gab,
sie seien "die wahren Träger der echtmenschlichen Culturinteressen und ge¬
reichten Deutschland zur Zierde." Auch die etwas bukolische Wendung von
der württembergischen Milchkuh, welche in Berlin gemolken werden sollte,
machte viel Glück. Jedoch behauptete ein andrer württemberger Staats¬
mann, der Nechtsconsulent Oesterle, er sei der wirkliche Urheber jenes zierlichen
Bildes, und der Professor habe es ihm entlehnt.

Die Haltung Schäffle's im Zollparlamente entsprach seinem Programme.
Nach Hause zurückgekehrt schrieb er eine lange Abhandlung über das besagte
Parlament und ließ solche zuerst in der Cotta'schen Vierteljahrschrist und dann
auch noch einmal als Buch erscheinen. Neben anderen interessanten Stoffen
wird darin auch die Berliner Straßenprostitution behandelt.

Im zweiten Zollparlament erschien Herr Schaffte nicht mehr. Er war
inzwischen an die Hochschule Wien berufen worden. Allein auch in dieser
Stellung verharrte er nicht lange. Eines Morgens erhielt, so erzählt man
sich, ein andrer Lehrer der Volkswirthschaft in Wien ein Billet etwa folgen¬
den Inhalts:

. "Verehrtester Herr College! So eben haben Seine Majestät der Kaiser
mich zu Allerhöchsterem Handelsminister ernannt. Haben Sie die Güte, meine
13 Hörer der Volkswirthschaft, welche in der Anlage verzeichnet sind, in Ihr
Collegium zu übernehmen" u. f. w.

Der "verehrteste Herr College" gab das Billet seiner Gattin zu lesen
und sagte sehr traurig:

"Da! Da haben wir's. Ich sagte Dir ja schon öfters, daß ich an dem
guten Schäffle so ein seltsam aufgeregtes und hochfahrendes Wesen bemerke.
Jetzt ist die Sache zum Ausbruch gekommen. Hoffentlich vergeht aber die
fixe Idee wieder!"

Sie verging nicht. Es war überhaupt keine "fixe Idee". Herr Albert
Friedrich Eberhard Schäffle war wirklich Minister geworden und ist es
noch heute. (Schluß folgt.)




steurung hinaus, sobald Bundeskriege kommen — er verkümmert alle
Staatsausgaben für jene echtmenschlichen Culturinteressen,
durch deren reiche Entwicklung — Schule. Kirche, Eisenbahnen, Land¬
straßen u. s. w. — Württemberg glücklich wurde und ganz Deutsch¬
land vor der Welt schmücken half." —

So das Programm. Es versteht sich von selbst, daß Herr Schaffte ge¬
wählt ward. Denn er hatte erstens das antideutsche Ministerium Varnbüler
für sich und zweitens alle Diejenigen, welche dem Staate weder Kriegsdienste
leisten noch Steuern bezahlen wollten, sich aber sehr geschmeichelt fühlten,
wenn ein Doctor der Weltweisheit ihnen Schwarz auf Weiß schriftlich gab,
sie seien „die wahren Träger der echtmenschlichen Culturinteressen und ge¬
reichten Deutschland zur Zierde." Auch die etwas bukolische Wendung von
der württembergischen Milchkuh, welche in Berlin gemolken werden sollte,
machte viel Glück. Jedoch behauptete ein andrer württemberger Staats¬
mann, der Nechtsconsulent Oesterle, er sei der wirkliche Urheber jenes zierlichen
Bildes, und der Professor habe es ihm entlehnt.

Die Haltung Schäffle's im Zollparlamente entsprach seinem Programme.
Nach Hause zurückgekehrt schrieb er eine lange Abhandlung über das besagte
Parlament und ließ solche zuerst in der Cotta'schen Vierteljahrschrist und dann
auch noch einmal als Buch erscheinen. Neben anderen interessanten Stoffen
wird darin auch die Berliner Straßenprostitution behandelt.

Im zweiten Zollparlament erschien Herr Schaffte nicht mehr. Er war
inzwischen an die Hochschule Wien berufen worden. Allein auch in dieser
Stellung verharrte er nicht lange. Eines Morgens erhielt, so erzählt man
sich, ein andrer Lehrer der Volkswirthschaft in Wien ein Billet etwa folgen¬
den Inhalts:

. „Verehrtester Herr College! So eben haben Seine Majestät der Kaiser
mich zu Allerhöchsterem Handelsminister ernannt. Haben Sie die Güte, meine
13 Hörer der Volkswirthschaft, welche in der Anlage verzeichnet sind, in Ihr
Collegium zu übernehmen" u. f. w.

Der „verehrteste Herr College" gab das Billet seiner Gattin zu lesen
und sagte sehr traurig:

„Da! Da haben wir's. Ich sagte Dir ja schon öfters, daß ich an dem
guten Schäffle so ein seltsam aufgeregtes und hochfahrendes Wesen bemerke.
Jetzt ist die Sache zum Ausbruch gekommen. Hoffentlich vergeht aber die
fixe Idee wieder!"

Sie verging nicht. Es war überhaupt keine „fixe Idee". Herr Albert
Friedrich Eberhard Schäffle war wirklich Minister geworden und ist es
noch heute. (Schluß folgt.)




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/202>, abgerufen am 24.07.2024.