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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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sah, daß Monarchie und Republik zwei wesentlich verschiedene Dinge sind,
als er erleben mußte, daß sein geschmeidiger Schützling sich geschickt seinem
Einfluß zu entziehen wußte, ging es auch mit seiner Begeisterung für die
neue Dynastie zu Ende, ohne daß er sich jedoch entschieden den Gegnern der¬
selben anschloß.

Jedenfalls übten die Fayettisten auf die sehr bald aus der Gesammtheit
der Orleanisten sich abzweigende dynastische Opposition, deren äußersten linken
Flügel sie bildeten, einen sehr bedeutenden Einfluß, und brachten sie in be¬
denklich nahe Verbindung mit den entschiedenen Republikanern, zumal da die
gleiche Auffassung der auswärtigen Politik ein Band um alle Schattirungen
der Opposition wob. Die Julirevolution hatte durch ganz Europa den An¬
stoß zu einer mächtigen Bewegung gegeben, vor allem in Belgien, Polen,
Italien; aber auch selbst in Deutschland spiegelten sich die Pariser Ereignisse in
einer lebhaften, die Regierungen mit Besorgniß erfüllenden Aufregung der
Geister wieder. Diesen Bewegungen zu Hülfe zu kommen, die revolutionären
Bestrebungen durch eine thätige Propaganda im Style von 1792 zu erneuern,
wo Ruhe herrschte Bewegung hervorzurufen, die dreifarbige Fahne von
Neuem die Runde durch Europa machen zu lassen als Symbol der Befreiung
der Italiener vom östreichischen, der Belgier vom niederländischen, der Polen
vom russischen Joche, und als Lohn Belgien und die Rheinprovinz dem fran¬
zösischen Reiche einzuverleiben: das betrachteten die Republikaner als erste
Aufgabe des revolutionären Frankreichs. Schon vor der Ernennung des
Herzogs zum Könige überreichte ein junger Mann Guizot ein Promemoria,
in dem die Forderungen der Republikaner zusammengestellt waren; und unter
diesen Forderungen befand sich die sofortige Eroberung der Rheinprovinzen.
Würde diese Forderung erfüllt, würde außerdem eine republikanische Verfas¬
sung unter monarchischer Form ins Leben gerufen werden (ganz Lafayette's
Standpunkt) so würden die Republikaner sich der neuen Regierung unterwer¬
fen und für die Ordnung einstehen. Und eine auf Propaganda und Erobe¬
rung gerichtete Politik forderte auch die dynastische Linke von dem neuen
Könige.

Aber nicht bloß in der äußeren, sondern auch in der inneren Politik
standen die fortgeschrittenen Orleanisten mit den Radicalen fast auf gleichem
Boden. Ihnen allen galt die Revolution nicht bloß als eine Thatsache, die
man anerkennen, aber möglichst rasch zum Abschluß bringen müsse, sondern
sie erschien ihnen im Lichte einer höheren Verklärung. Sie hatten Jahre lang
conspirirt und Aufstände geplant und daher Geschmack an der revolutionären
Methode gefunden. Sie wollten die revolutionäre Stimmung in Permanenz
erhalten und unter dem Druck derselben die Verfassung gründlich umgestalten
--- nach welchem Plane, das wußten sie selbst nicht. Aber durch einige


sah, daß Monarchie und Republik zwei wesentlich verschiedene Dinge sind,
als er erleben mußte, daß sein geschmeidiger Schützling sich geschickt seinem
Einfluß zu entziehen wußte, ging es auch mit seiner Begeisterung für die
neue Dynastie zu Ende, ohne daß er sich jedoch entschieden den Gegnern der¬
selben anschloß.

Jedenfalls übten die Fayettisten auf die sehr bald aus der Gesammtheit
der Orleanisten sich abzweigende dynastische Opposition, deren äußersten linken
Flügel sie bildeten, einen sehr bedeutenden Einfluß, und brachten sie in be¬
denklich nahe Verbindung mit den entschiedenen Republikanern, zumal da die
gleiche Auffassung der auswärtigen Politik ein Band um alle Schattirungen
der Opposition wob. Die Julirevolution hatte durch ganz Europa den An¬
stoß zu einer mächtigen Bewegung gegeben, vor allem in Belgien, Polen,
Italien; aber auch selbst in Deutschland spiegelten sich die Pariser Ereignisse in
einer lebhaften, die Regierungen mit Besorgniß erfüllenden Aufregung der
Geister wieder. Diesen Bewegungen zu Hülfe zu kommen, die revolutionären
Bestrebungen durch eine thätige Propaganda im Style von 1792 zu erneuern,
wo Ruhe herrschte Bewegung hervorzurufen, die dreifarbige Fahne von
Neuem die Runde durch Europa machen zu lassen als Symbol der Befreiung
der Italiener vom östreichischen, der Belgier vom niederländischen, der Polen
vom russischen Joche, und als Lohn Belgien und die Rheinprovinz dem fran¬
zösischen Reiche einzuverleiben: das betrachteten die Republikaner als erste
Aufgabe des revolutionären Frankreichs. Schon vor der Ernennung des
Herzogs zum Könige überreichte ein junger Mann Guizot ein Promemoria,
in dem die Forderungen der Republikaner zusammengestellt waren; und unter
diesen Forderungen befand sich die sofortige Eroberung der Rheinprovinzen.
Würde diese Forderung erfüllt, würde außerdem eine republikanische Verfas¬
sung unter monarchischer Form ins Leben gerufen werden (ganz Lafayette's
Standpunkt) so würden die Republikaner sich der neuen Regierung unterwer¬
fen und für die Ordnung einstehen. Und eine auf Propaganda und Erobe¬
rung gerichtete Politik forderte auch die dynastische Linke von dem neuen
Könige.

Aber nicht bloß in der äußeren, sondern auch in der inneren Politik
standen die fortgeschrittenen Orleanisten mit den Radicalen fast auf gleichem
Boden. Ihnen allen galt die Revolution nicht bloß als eine Thatsache, die
man anerkennen, aber möglichst rasch zum Abschluß bringen müsse, sondern
sie erschien ihnen im Lichte einer höheren Verklärung. Sie hatten Jahre lang
conspirirt und Aufstände geplant und daher Geschmack an der revolutionären
Methode gefunden. Sie wollten die revolutionäre Stimmung in Permanenz
erhalten und unter dem Druck derselben die Verfassung gründlich umgestalten
—- nach welchem Plane, das wußten sie selbst nicht. Aber durch einige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/170>, abgerufen am 24.07.2024.