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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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sprechend sein, kann jedoch den gerade im deutschen Geiste so reich ausgebil¬
deten Kunstsinn und seine Ansprüche nicht betrügen.

Zum Glück ist nun jene Täuschung nicht mehr nothwendig. Der
Schöpfer, der die chaotischen Elemente zur lichtvollen Welt verbunden hat,
ist gekommen; wirkend und belebend schwebt sein Geist über den Wassern der
uralten Fluth. Was man von jeher der mittelalterlichen Dichtung zuzu¬
schreiben wünschte, das ist Jordans Dichtung: ein den homerischen Epen
ebenbürtiges, ächt deutsches Epos. -- Mit diesem Urtheil ist viel gesagt, und
kaum wird es unangefochten bleiben in einer Zeit, wo die Mehrheit so schlecht
erträgt, den ersten Platz von einem hervorragenden Manne eingenommen zu
sehen, den sie nur, wie Macbeth dem Banquo, den großen Todten aufspart,
von denen sie weiß, daß sie nicht kommen werden, um ihn einzunehmen.
Möge denn dieser Versuch, einem lebenden Dichter der deutschen Nation
gerecht zu werden, von Vielen neidlos ausgenommen werden!

Doch bevor wir des deutschen Dichters beste Arbeit vorführen, gilt es,
einen Vorwurf namentlich zurückzuweisen, den man als den stärksten gegen
Jordans Dichtung erhebt.

"Das Gedicht ist modern!" -- Mit diesem Worte glaubt man einen
blitzenden Schild zu schwingen, der das Lob auf der Zunge des Bewundern¬
den soll ersticken können. Wirklich scheint auch der Stab über Jordans Ni¬
belungen gebrochen, wenn man mit Recht sagen kann, das Gedicht sei ein
modernes. Denn der Stoff ist sicherlich kein moderner; wenn also gleichwohl
das Gedicht ein modernes ist, so muß irgendwo eine tiefe Kluft zwischen
Stoff und Behandlung klaffen. Ist aber eine solche Kluft vorhanden, so
werden alle Lorbeerkränze, die man dem Dichter etwa für Detailschönheiten
zu spenden geneigt ist, dieselbe nicht schließen; auch würde dem wohlwollenden
Kritiker nichts helfen, mit Aufopferung seiner Person, ein zweiter Curtius, in
den Abgrund zu springen; an dem innern Zwiespalt müßte das Gedicht ohne
große Lebensfähigkeit untergehn.

Betrachten wir uns den Vorwurf: "Modern" etwas näher. Zweierlei
Gegensätze zu dem Begriffe "modern" sind hauptsächlich denkbar: Alt (antik
oder mittelalterlich) und Ewig. Es liegt auf der Hand, daß im Verhält¬
nisse zu irgend einem ältern Gedicht jedes Gedicht einmal modern gewesen
ist. Auch im Verhältniß zu ihrem Stoff ist natürlich die Dichtung selbst
immer neuer, moderner als ihr Stoff, Dies tadeln nun zwar schon gewisse
Kritiker; hiervon später! Jedenfalls leuchtet ein, daß neu zu sein in diesem
Sinne, kein Vorwurf sein kann; ein Vorwurf wäre, künstlich alt sein zu wol¬
len, während man doch wirklich neu ist.

Doch, "modern" ist auch der Gegensatz zu "ewig." Im Leben wie in
der Kunst giebt es Erscheinungen, welche wirklich den Stempel des Ewigen


sprechend sein, kann jedoch den gerade im deutschen Geiste so reich ausgebil¬
deten Kunstsinn und seine Ansprüche nicht betrügen.

Zum Glück ist nun jene Täuschung nicht mehr nothwendig. Der
Schöpfer, der die chaotischen Elemente zur lichtvollen Welt verbunden hat,
ist gekommen; wirkend und belebend schwebt sein Geist über den Wassern der
uralten Fluth. Was man von jeher der mittelalterlichen Dichtung zuzu¬
schreiben wünschte, das ist Jordans Dichtung: ein den homerischen Epen
ebenbürtiges, ächt deutsches Epos. — Mit diesem Urtheil ist viel gesagt, und
kaum wird es unangefochten bleiben in einer Zeit, wo die Mehrheit so schlecht
erträgt, den ersten Platz von einem hervorragenden Manne eingenommen zu
sehen, den sie nur, wie Macbeth dem Banquo, den großen Todten aufspart,
von denen sie weiß, daß sie nicht kommen werden, um ihn einzunehmen.
Möge denn dieser Versuch, einem lebenden Dichter der deutschen Nation
gerecht zu werden, von Vielen neidlos ausgenommen werden!

Doch bevor wir des deutschen Dichters beste Arbeit vorführen, gilt es,
einen Vorwurf namentlich zurückzuweisen, den man als den stärksten gegen
Jordans Dichtung erhebt.

„Das Gedicht ist modern!" — Mit diesem Worte glaubt man einen
blitzenden Schild zu schwingen, der das Lob auf der Zunge des Bewundern¬
den soll ersticken können. Wirklich scheint auch der Stab über Jordans Ni¬
belungen gebrochen, wenn man mit Recht sagen kann, das Gedicht sei ein
modernes. Denn der Stoff ist sicherlich kein moderner; wenn also gleichwohl
das Gedicht ein modernes ist, so muß irgendwo eine tiefe Kluft zwischen
Stoff und Behandlung klaffen. Ist aber eine solche Kluft vorhanden, so
werden alle Lorbeerkränze, die man dem Dichter etwa für Detailschönheiten
zu spenden geneigt ist, dieselbe nicht schließen; auch würde dem wohlwollenden
Kritiker nichts helfen, mit Aufopferung seiner Person, ein zweiter Curtius, in
den Abgrund zu springen; an dem innern Zwiespalt müßte das Gedicht ohne
große Lebensfähigkeit untergehn.

Betrachten wir uns den Vorwurf: „Modern" etwas näher. Zweierlei
Gegensätze zu dem Begriffe „modern" sind hauptsächlich denkbar: Alt (antik
oder mittelalterlich) und Ewig. Es liegt auf der Hand, daß im Verhält¬
nisse zu irgend einem ältern Gedicht jedes Gedicht einmal modern gewesen
ist. Auch im Verhältniß zu ihrem Stoff ist natürlich die Dichtung selbst
immer neuer, moderner als ihr Stoff, Dies tadeln nun zwar schon gewisse
Kritiker; hiervon später! Jedenfalls leuchtet ein, daß neu zu sein in diesem
Sinne, kein Vorwurf sein kann; ein Vorwurf wäre, künstlich alt sein zu wol¬
len, während man doch wirklich neu ist.

Doch, „modern" ist auch der Gegensatz zu „ewig." Im Leben wie in
der Kunst giebt es Erscheinungen, welche wirklich den Stempel des Ewigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/148>, abgerufen am 24.07.2024.