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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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auszuwechseln. Thiers weigerte sich hartnäckig. Er wußte, daß er mit Blan-
qui der Commune ein Haupt geben werde, während der Erzbischof seinem
Zweck am besten in Gestalt einer Leiche dienen würde."

"Nach den Pfingsttagen von 1871 kann weder Friede noch Waffenstill¬
stand sein zwischen den Arbeitern von Frankreich und denen, die sich das Er¬
gebniß ihrer Arbeit aneignen. Die eiserne Faust einer Miethlingssoldateska
kann eine Zeit lang beide Classen in gemeinsamer Unterdrückung gebunden halten.
Aber der Kampf muß immer und immer wieder in stets zunehmenden Dimen¬
sionen ausbrechen, und es kann kein Zweifel sein, wer zuletzt der Sieger sein
wird, die wenigen Besitzenden oder die ungeheure arbeitende Mehrheit. Und
die französische Arbeiterclasse ist nur die Vorhut des modernen Proletariats."

Folgt nun ein Versuch, die Internationale als von den europäischen
Regierungen mißverstanden darzustellen, bei dem aber doch nicht geleugnet,
sondern vielmehr ausdrücklich hervorgehoben wird, "daß die Mitglieder des
Centralcomite's der Nationalgarde und ebenso der größere Theil der Mit¬
glieder der Commune aus den thätigsten, gescheitesten und energischsten Gei¬
stern des Ar-beiterbundes bestand" *) und wobei der Verfasser im Namen des
Großraths hinzufügt: "Wo immer, in welcher Gestalt immer und unter wel¬
chen Bedingungen immer der Classenkampf irgend welche Consistenz gewinnt,
ist es nur natürlich, daß Mitglieder unsres Bundes im Vordergrunde stehen."

Die Broschüre schließt dann: "Das Paris der Arbeiter mit seiner Com¬
mune wird alle Zeit gepriesen werden als der glorreiche Herold einer neuen
Gesellschaft. Seine Märtyrer sind eingesargt in 'dem großen Herzen der
arbeitenden Classe, Die es ausrotteten, hat die Geschichte bereits an den ewi¬
gen Schandpfahl genagelt, von dem sie alle Gebete ihrer Priester nicht lösen
werden."

Wir haben den Advocaten der Commune, der seine Sache nicht unge¬
schickt machte und über Thiers und Genossen bisweilen nicht unrichtig ur¬
theilte, angehört, ohne ihn zu unterbrechen, obwohl er durch dreistes Lügen
und grobes Schimpfen dazu häufig genug Gelegenheit gab. Wir werden auch
jetzt nicht repliciren und so die Rolle des Staatsanwalts übernehmen. Es
liegt in dem, was jener vortrug, hinreichend viel unwillkürliche Selbstanklage,
so daß wir auf die Frage, die nun an das Gericht der öffentlichen Meinung
ergeht: "Schuldig oder nicht schuldig?" ohne Weiteres getrost ein "Schuldig"
erwarten können.

Wir haben den Advocaten sich zum Schluß in einen Propheten verwan¬
deln sehen. Wird er in dieser Eigenschaft weniger die Unwahrheit gesagt
haben, als in jener? Wird seine Prophezeiung sich erfüllen? Wir antwor¬
ten: Ja, gewiß, wenn auf uns das russische Sprichwort Anwendung findet:



") Assy z. B. war Chef der französischen Provinz der Internationale.

auszuwechseln. Thiers weigerte sich hartnäckig. Er wußte, daß er mit Blan-
qui der Commune ein Haupt geben werde, während der Erzbischof seinem
Zweck am besten in Gestalt einer Leiche dienen würde."

„Nach den Pfingsttagen von 1871 kann weder Friede noch Waffenstill¬
stand sein zwischen den Arbeitern von Frankreich und denen, die sich das Er¬
gebniß ihrer Arbeit aneignen. Die eiserne Faust einer Miethlingssoldateska
kann eine Zeit lang beide Classen in gemeinsamer Unterdrückung gebunden halten.
Aber der Kampf muß immer und immer wieder in stets zunehmenden Dimen¬
sionen ausbrechen, und es kann kein Zweifel sein, wer zuletzt der Sieger sein
wird, die wenigen Besitzenden oder die ungeheure arbeitende Mehrheit. Und
die französische Arbeiterclasse ist nur die Vorhut des modernen Proletariats."

Folgt nun ein Versuch, die Internationale als von den europäischen
Regierungen mißverstanden darzustellen, bei dem aber doch nicht geleugnet,
sondern vielmehr ausdrücklich hervorgehoben wird, „daß die Mitglieder des
Centralcomite's der Nationalgarde und ebenso der größere Theil der Mit¬
glieder der Commune aus den thätigsten, gescheitesten und energischsten Gei¬
stern des Ar-beiterbundes bestand" *) und wobei der Verfasser im Namen des
Großraths hinzufügt: „Wo immer, in welcher Gestalt immer und unter wel¬
chen Bedingungen immer der Classenkampf irgend welche Consistenz gewinnt,
ist es nur natürlich, daß Mitglieder unsres Bundes im Vordergrunde stehen."

Die Broschüre schließt dann: „Das Paris der Arbeiter mit seiner Com¬
mune wird alle Zeit gepriesen werden als der glorreiche Herold einer neuen
Gesellschaft. Seine Märtyrer sind eingesargt in 'dem großen Herzen der
arbeitenden Classe, Die es ausrotteten, hat die Geschichte bereits an den ewi¬
gen Schandpfahl genagelt, von dem sie alle Gebete ihrer Priester nicht lösen
werden."

Wir haben den Advocaten der Commune, der seine Sache nicht unge¬
schickt machte und über Thiers und Genossen bisweilen nicht unrichtig ur¬
theilte, angehört, ohne ihn zu unterbrechen, obwohl er durch dreistes Lügen
und grobes Schimpfen dazu häufig genug Gelegenheit gab. Wir werden auch
jetzt nicht repliciren und so die Rolle des Staatsanwalts übernehmen. Es
liegt in dem, was jener vortrug, hinreichend viel unwillkürliche Selbstanklage,
so daß wir auf die Frage, die nun an das Gericht der öffentlichen Meinung
ergeht: „Schuldig oder nicht schuldig?" ohne Weiteres getrost ein „Schuldig"
erwarten können.

Wir haben den Advocaten sich zum Schluß in einen Propheten verwan¬
deln sehen. Wird er in dieser Eigenschaft weniger die Unwahrheit gesagt
haben, als in jener? Wird seine Prophezeiung sich erfüllen? Wir antwor¬
ten: Ja, gewiß, wenn auf uns das russische Sprichwort Anwendung findet:



") Assy z. B. war Chef der französischen Provinz der Internationale.
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[0146] auszuwechseln. Thiers weigerte sich hartnäckig. Er wußte, daß er mit Blan- qui der Commune ein Haupt geben werde, während der Erzbischof seinem Zweck am besten in Gestalt einer Leiche dienen würde." „Nach den Pfingsttagen von 1871 kann weder Friede noch Waffenstill¬ stand sein zwischen den Arbeitern von Frankreich und denen, die sich das Er¬ gebniß ihrer Arbeit aneignen. Die eiserne Faust einer Miethlingssoldateska kann eine Zeit lang beide Classen in gemeinsamer Unterdrückung gebunden halten. Aber der Kampf muß immer und immer wieder in stets zunehmenden Dimen¬ sionen ausbrechen, und es kann kein Zweifel sein, wer zuletzt der Sieger sein wird, die wenigen Besitzenden oder die ungeheure arbeitende Mehrheit. Und die französische Arbeiterclasse ist nur die Vorhut des modernen Proletariats." Folgt nun ein Versuch, die Internationale als von den europäischen Regierungen mißverstanden darzustellen, bei dem aber doch nicht geleugnet, sondern vielmehr ausdrücklich hervorgehoben wird, „daß die Mitglieder des Centralcomite's der Nationalgarde und ebenso der größere Theil der Mit¬ glieder der Commune aus den thätigsten, gescheitesten und energischsten Gei¬ stern des Ar-beiterbundes bestand" *) und wobei der Verfasser im Namen des Großraths hinzufügt: „Wo immer, in welcher Gestalt immer und unter wel¬ chen Bedingungen immer der Classenkampf irgend welche Consistenz gewinnt, ist es nur natürlich, daß Mitglieder unsres Bundes im Vordergrunde stehen." Die Broschüre schließt dann: „Das Paris der Arbeiter mit seiner Com¬ mune wird alle Zeit gepriesen werden als der glorreiche Herold einer neuen Gesellschaft. Seine Märtyrer sind eingesargt in 'dem großen Herzen der arbeitenden Classe, Die es ausrotteten, hat die Geschichte bereits an den ewi¬ gen Schandpfahl genagelt, von dem sie alle Gebete ihrer Priester nicht lösen werden." Wir haben den Advocaten der Commune, der seine Sache nicht unge¬ schickt machte und über Thiers und Genossen bisweilen nicht unrichtig ur¬ theilte, angehört, ohne ihn zu unterbrechen, obwohl er durch dreistes Lügen und grobes Schimpfen dazu häufig genug Gelegenheit gab. Wir werden auch jetzt nicht repliciren und so die Rolle des Staatsanwalts übernehmen. Es liegt in dem, was jener vortrug, hinreichend viel unwillkürliche Selbstanklage, so daß wir auf die Frage, die nun an das Gericht der öffentlichen Meinung ergeht: „Schuldig oder nicht schuldig?" ohne Weiteres getrost ein „Schuldig" erwarten können. Wir haben den Advocaten sich zum Schluß in einen Propheten verwan¬ deln sehen. Wird er in dieser Eigenschaft weniger die Unwahrheit gesagt haben, als in jener? Wird seine Prophezeiung sich erfüllen? Wir antwor¬ ten: Ja, gewiß, wenn auf uns das russische Sprichwort Anwendung findet: ") Assy z. B. war Chef der französischen Provinz der Internationale.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/146>, abgerufen am 24.07.2024.