Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.werden. Statt ein Mal in drei oder sechs Jahren zu entscheiden, welches "Die Vielfältigkeit der Deutungen, denen die Commune unterworfen Ohne diese letzte Bedingung würde die communale Einrichtung eine Un¬ Es ist eine seltsame Sache. Trotz all dem vielen Gerede und all der werden. Statt ein Mal in drei oder sechs Jahren zu entscheiden, welches „Die Vielfältigkeit der Deutungen, denen die Commune unterworfen Ohne diese letzte Bedingung würde die communale Einrichtung eine Un¬ Es ist eine seltsame Sache. Trotz all dem vielen Gerede und all der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0140" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126416"/> <p xml:id="ID_392" prev="#ID_391"> werden. Statt ein Mal in drei oder sechs Jahren zu entscheiden, welches<lb/> Mitglied der herrschenden Classe das Volk im Parlamente schlecht vertreten<lb/> solle, sollte das allgemeine Stimmrecht dem in Communen geordneten Volke<lb/> dienen, wie das individuelle Stimmrecht jedem anderen Arbeitgeber beim Su¬<lb/> chen nach Arbeitern und Werkführern in seinem Geschäfte dient. Und es ist<lb/> wohlbekannt, daß Gesellschaften wie Einzelne in wirklichen Geschäftssachen<lb/> gewöhnlich den rechten Mann an die rechte Stelle zu setzen wissen und, wenn<lb/> ein Mal ein Mißgriff vorkommt, ihn rasch wieder gutmachen."</p><lb/> <p xml:id="ID_393"> „Die Vielfältigkeit der Deutungen, denen die Commune unterworfen<lb/> worden ist, und die Vielfältigkeit der Interessen, die sie zu ihren Gunsten<lb/> auslegten, zeigen, daß sie eine durchaus expansive politische Form war, wäh¬<lb/> rend alle vorhergehenden Regierungsformen entschieden repressiv gewesen<lb/> waren. Ihr wahres Geheimniß war folgendes: sie war wesentlich eine Re¬<lb/> gierung der arbeitenden Classe, das Erzeugniß des Kampfes der producirenden<lb/> mit der appropriirenden Classe, die endlich entdeckte politische Form, unter<lb/> welcher sich die wirthschaftliche Befreiung der Arbeit ausführen ließ.</p><lb/> <p xml:id="ID_394"> Ohne diese letzte Bedingung würde die communale Einrichtung eine Un¬<lb/> möglichkeit und Täuschung gewesen sein. Die politische Herrschaft des Pro¬<lb/> dueirenden kann nicht neben der Verewigung seiner socialen Knechtschaft be¬<lb/> stehen. Die Commune sollte also der Hebel für die Entwurzelung der wirth¬<lb/> schaftlichen Grundlagen fein, auf welchen das Dasein von Classen und deßhalb<lb/> eine Classenherrschaft beruht. Mit der Befreiung der Arbeit wird jedermann<lb/> ein Arbeiter, und productive Arbeit hört auf, ein Classenattribut zu sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_395" next="#ID_396"> Es ist eine seltsame Sache. Trotz all dem vielen Gerede und all der<lb/> unermeßlichen Literatur, welche die letzten sechzig Jahre über die Befreiung<lb/> der Arbeit gebracht haben, nehmen nicht sobald die Arbeiter das Ding frisch<lb/> in die eignen Hände, als sich ohne Verzug alle die apologetische Phrasen-<lb/> macherei der Mundstücke der gegenwärtigen Gesellschaft mit ihren beiden Po¬<lb/> len, Capital und Lohnsclaverei erhebt (der Gutsbesitzer ist jetzt blos der stille<lb/> Compagnon des Capitalisten), als ob die capitalistische Gesellschaft sich noch<lb/> in ihrem reinsten Stande jungfräulicher Unschuld befände, als ob ihre Gegen¬<lb/> sätze noch unenthüllt, ihre Täuschungen noch nicht zersprungen, ihre schänd¬<lb/> lichen Wirklichkeiten noch nicht offen gelegt wären. Die Commune, so rufen<lb/> sie aus, will das Eigenthum abschaffen, die Grundlage aller Civilisation!<lb/> Ja, meine Herren, die Commune wollte jenes Classeneigenthum abschaffen,<lb/> welches die Arbeit der Vielen zum Reichthum der Wenigen macht. Sie zielte<lb/> auf die Expropriation der Expropriatoren ab. Sie beabsichtigte das indivi¬<lb/> duelle Eigenthum zur Wahrheit zu machen durch Umgestaltung der Produc-<lb/> tionsmittel Land und Capital, die jetzt hauptsächlich die Mittel zur Knechtung<lb/> und Ausbeutung der Arbeit sind, in bloße Werkzeuge der freien und gesell-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0140]
werden. Statt ein Mal in drei oder sechs Jahren zu entscheiden, welches
Mitglied der herrschenden Classe das Volk im Parlamente schlecht vertreten
solle, sollte das allgemeine Stimmrecht dem in Communen geordneten Volke
dienen, wie das individuelle Stimmrecht jedem anderen Arbeitgeber beim Su¬
chen nach Arbeitern und Werkführern in seinem Geschäfte dient. Und es ist
wohlbekannt, daß Gesellschaften wie Einzelne in wirklichen Geschäftssachen
gewöhnlich den rechten Mann an die rechte Stelle zu setzen wissen und, wenn
ein Mal ein Mißgriff vorkommt, ihn rasch wieder gutmachen."
„Die Vielfältigkeit der Deutungen, denen die Commune unterworfen
worden ist, und die Vielfältigkeit der Interessen, die sie zu ihren Gunsten
auslegten, zeigen, daß sie eine durchaus expansive politische Form war, wäh¬
rend alle vorhergehenden Regierungsformen entschieden repressiv gewesen
waren. Ihr wahres Geheimniß war folgendes: sie war wesentlich eine Re¬
gierung der arbeitenden Classe, das Erzeugniß des Kampfes der producirenden
mit der appropriirenden Classe, die endlich entdeckte politische Form, unter
welcher sich die wirthschaftliche Befreiung der Arbeit ausführen ließ.
Ohne diese letzte Bedingung würde die communale Einrichtung eine Un¬
möglichkeit und Täuschung gewesen sein. Die politische Herrschaft des Pro¬
dueirenden kann nicht neben der Verewigung seiner socialen Knechtschaft be¬
stehen. Die Commune sollte also der Hebel für die Entwurzelung der wirth¬
schaftlichen Grundlagen fein, auf welchen das Dasein von Classen und deßhalb
eine Classenherrschaft beruht. Mit der Befreiung der Arbeit wird jedermann
ein Arbeiter, und productive Arbeit hört auf, ein Classenattribut zu sein.
Es ist eine seltsame Sache. Trotz all dem vielen Gerede und all der
unermeßlichen Literatur, welche die letzten sechzig Jahre über die Befreiung
der Arbeit gebracht haben, nehmen nicht sobald die Arbeiter das Ding frisch
in die eignen Hände, als sich ohne Verzug alle die apologetische Phrasen-
macherei der Mundstücke der gegenwärtigen Gesellschaft mit ihren beiden Po¬
len, Capital und Lohnsclaverei erhebt (der Gutsbesitzer ist jetzt blos der stille
Compagnon des Capitalisten), als ob die capitalistische Gesellschaft sich noch
in ihrem reinsten Stande jungfräulicher Unschuld befände, als ob ihre Gegen¬
sätze noch unenthüllt, ihre Täuschungen noch nicht zersprungen, ihre schänd¬
lichen Wirklichkeiten noch nicht offen gelegt wären. Die Commune, so rufen
sie aus, will das Eigenthum abschaffen, die Grundlage aller Civilisation!
Ja, meine Herren, die Commune wollte jenes Classeneigenthum abschaffen,
welches die Arbeit der Vielen zum Reichthum der Wenigen macht. Sie zielte
auf die Expropriation der Expropriatoren ab. Sie beabsichtigte das indivi¬
duelle Eigenthum zur Wahrheit zu machen durch Umgestaltung der Produc-
tionsmittel Land und Capital, die jetzt hauptsächlich die Mittel zur Knechtung
und Ausbeutung der Arbeit sind, in bloße Werkzeuge der freien und gesell-
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