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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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darf weder Arme noch Reiche geben, weshalb derjenige, welcher dem Ueberfluß
zu Gunsten des Bedürftigen zu entsagen sich weigert, als Feind des Volkes
zu behandeln ist. Staat, Regierung, Kirche sind abzuschaffen, Wissenschaft und
höhere Bildung sind unnützer Luxus. Alle Menschen sind berufen, sich der
Landwirthschaft oder solchen Handwerken, welche nothwendige Dinge erzeugen,
zu widmen. Die großen Städte müssen zerstört werden. Die Bildung ist auf
ein Normalmaß von Lesen, Schreiben und Rechnen, von Kenntniß der Ge¬
schichte, der Geographie und der Gesetze zu beschränken. Die Presse muß
durch strenge Censur und Androhung mit den härtesten Strafen innerhalb der
Sphäre dieser Grundsätze festgehalten werden.

Diese Lehre wurde von Babeuf und Sylvain Marechal, dem Verfasser
eines ..vietiovnaire ävs ^et6os," in dem ,,'Q-ibuv an ?vupls" und in der so¬
genannten Pantheons-Gesellschaft, in welcher Babeuf den Namen Casus
Gracchus führte, vorgetragen und in dem berühmten "Nimiiesw "Zeh I^Mux"
der Welt als neues Evangelium verkündigt, und schon machten die Verschwo¬
renen sich zu gewaltsamer Einführung ihrer Ideen in die Wirklichkeit bereit,
als das Direktorium, von dem Complott genau unterrichtet, durch Verhaftung
der Hauptbetheiligten einschritt und dieselben als Hochverräther verurtheilen
ließ. Am 18. Mai 1796 hatte die Verhaftung stattgefunden, am 23. Mai
1797 erfolgte der Spruch des Gerichts, der für Babeuf und seinen Haupt¬
genossen Darthe! auf Todesstrafe lautete. Jener stieß sich bei der Verlesung
des Urtheils einen Dolch in die Brust, blieb aber leben und wurde dann
guillotinirt. Darthe tödtete sich auf der Stelle. Andere Mitglieder der Secte
wurden deportirt, und der Communistenbund war damit gesprengt. Der
Kommunismus aber war hierdurch nicht ausgerottet. Er dauerte, allerdings
nur sehr sporadisch, in Anlehnung an die unter dem ersten Kaiserreich schwache,
unter der Bourbonenherrschaft aber von Tag zu Tage mehr erstarkende republika-
"ische Partei fort und gewann während der Julimonarchie unter dem Einfluß
der materiellen Noth und des Gefühls der Zurücksetzung der untern vor den
wohlhabenden Klassen und namentlich der verschwenderischen reichen Bourgeoisie
unter den Arbeitern fortwährend neue Anhänger, die in Männern wie Barbes
und Blanqui Führer erhielten.

Daneben lief eine verwandte Strömung. Nach der rein politischen Re¬
solution von 1830 äußerte sich der socialistische Gedanke in einer Form, die man
als Saint-Simonismus in die Annalen der Geschichte der Secten ver¬
zeichnet hat. Diese Lehre, von talentvollen Köpfen vorgetragen und bei dem
versuch zu ihrer Verwirklichung geschickt in Scene gesetzt, hatte den Erfolg der
Seltsamkeit. Doch verfiel sie. als ihre Apostel sie zu einer Art Religion des
Fleisches zu gestalten versuchten, ziemlich bald dem Fluche der Lächerlichkeit,
"hre jemals tief in die Massen eingedrungen zu sein. Unter den Genossen


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darf weder Arme noch Reiche geben, weshalb derjenige, welcher dem Ueberfluß
zu Gunsten des Bedürftigen zu entsagen sich weigert, als Feind des Volkes
zu behandeln ist. Staat, Regierung, Kirche sind abzuschaffen, Wissenschaft und
höhere Bildung sind unnützer Luxus. Alle Menschen sind berufen, sich der
Landwirthschaft oder solchen Handwerken, welche nothwendige Dinge erzeugen,
zu widmen. Die großen Städte müssen zerstört werden. Die Bildung ist auf
ein Normalmaß von Lesen, Schreiben und Rechnen, von Kenntniß der Ge¬
schichte, der Geographie und der Gesetze zu beschränken. Die Presse muß
durch strenge Censur und Androhung mit den härtesten Strafen innerhalb der
Sphäre dieser Grundsätze festgehalten werden.

Diese Lehre wurde von Babeuf und Sylvain Marechal, dem Verfasser
eines ..vietiovnaire ävs ^et6os," in dem ,,'Q-ibuv an ?vupls" und in der so¬
genannten Pantheons-Gesellschaft, in welcher Babeuf den Namen Casus
Gracchus führte, vorgetragen und in dem berühmten „Nimiiesw «Zeh I^Mux"
der Welt als neues Evangelium verkündigt, und schon machten die Verschwo¬
renen sich zu gewaltsamer Einführung ihrer Ideen in die Wirklichkeit bereit,
als das Direktorium, von dem Complott genau unterrichtet, durch Verhaftung
der Hauptbetheiligten einschritt und dieselben als Hochverräther verurtheilen
ließ. Am 18. Mai 1796 hatte die Verhaftung stattgefunden, am 23. Mai
1797 erfolgte der Spruch des Gerichts, der für Babeuf und seinen Haupt¬
genossen Darthe! auf Todesstrafe lautete. Jener stieß sich bei der Verlesung
des Urtheils einen Dolch in die Brust, blieb aber leben und wurde dann
guillotinirt. Darthe tödtete sich auf der Stelle. Andere Mitglieder der Secte
wurden deportirt, und der Communistenbund war damit gesprengt. Der
Kommunismus aber war hierdurch nicht ausgerottet. Er dauerte, allerdings
nur sehr sporadisch, in Anlehnung an die unter dem ersten Kaiserreich schwache,
unter der Bourbonenherrschaft aber von Tag zu Tage mehr erstarkende republika-
"ische Partei fort und gewann während der Julimonarchie unter dem Einfluß
der materiellen Noth und des Gefühls der Zurücksetzung der untern vor den
wohlhabenden Klassen und namentlich der verschwenderischen reichen Bourgeoisie
unter den Arbeitern fortwährend neue Anhänger, die in Männern wie Barbes
und Blanqui Führer erhielten.

Daneben lief eine verwandte Strömung. Nach der rein politischen Re¬
solution von 1830 äußerte sich der socialistische Gedanke in einer Form, die man
als Saint-Simonismus in die Annalen der Geschichte der Secten ver¬
zeichnet hat. Diese Lehre, von talentvollen Köpfen vorgetragen und bei dem
versuch zu ihrer Verwirklichung geschickt in Scene gesetzt, hatte den Erfolg der
Seltsamkeit. Doch verfiel sie. als ihre Apostel sie zu einer Art Religion des
Fleisches zu gestalten versuchten, ziemlich bald dem Fluche der Lächerlichkeit,
"hre jemals tief in die Massen eingedrungen zu sein. Unter den Genossen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/105>, abgerufen am 24.07.2024.