Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.unparteiisch dieses Urtheil ist. Dabei setzte ich als ein Axiom der gebildeten Für uns -Deutsche, die wir nach Ansicht Eurer radicalen Presse, vermöge unparteiisch dieses Urtheil ist. Dabei setzte ich als ein Axiom der gebildeten Für uns -Deutsche, die wir nach Ansicht Eurer radicalen Presse, vermöge <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0079" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125861"/> <p xml:id="ID_235" prev="#ID_234"> unparteiisch dieses Urtheil ist. Dabei setzte ich als ein Axiom der gebildeten<lb/> Menschheit voraus, daß die republikanische oder monarchische Staats form<lb/> eben nur eine verschiedene Form des Staatsorganismus ist, innerhalb dessen<lb/> die Freiheit der Bürger und Ideen einen gleichgroßen Spielraum hat. Die<lb/> republikanische Staatsform an sich ist so wenig eine Bürgschaft für größere<lb/> Freiheit, als die Monarchie für größere Unfreiheit der Staatsbürger. Wenn<lb/> irgend wer daran noch zweifeln könnte, nachdem die erste französische Republik<lb/> Ströme Blutes vergossen hat, gegen welche die Tyrannei eines Nero und<lb/> Caligula barmherzige Liebe war: der mag die rothen Gestalten der französi¬<lb/> schen Emeuten der jüngsten Tage in Begleichung setzen mit dem milden,<lb/> ehrenfester und freien Regiment unseres Kaisers Wilhelm! Der mag den von<lb/> den Drohungen banausischer Demagogen gebundenen Willen der Züricher,<lb/> Baseler und Genfer Behörden vergleichen mit der parlamentarischen Arbeit<lb/> der deutschen Volksvertreter und Regierungen. Nach der Sieg- und ruhm¬<lb/> reichen Entfaltung einer Heeresmacht, wie sie die Welt vordem nicht gesehen,<lb/> schlägt die Bundesgewalt aus eigenem Antrieb vor, die Gesetzgebung über<lb/> die Rechte der Presse und Versammlungen in die Verfassung des neuen Reichs<lb/> aufzunehmen. Das ist unsere Reaction, welche Eure weiseren und thörichten<lb/> Blätter uns mit voller Einstimmigkeit und keineswegs ohne Schadenfreude<lb/> für die Jahre nach diesem Kriege weissagten. Die Vorgänge in Zürich, Basel<lb/> und Genf dagegen dürften wir — wenn wir ebenso vorschnell urtheilten —<lb/> mit weit größerem Rechte für die Meisterstücke schweizerischen Freiheitssinnes,<lb/> für die Reifezeugnisse Eures Verfassungsrechts erklären. In Zürich straft man<lb/> die schmähliche Unthätigkeit der Milizen, den bewaffneten Aufruhr von Hun¬<lb/> derten durch die, einmüthige Erhebung des Cantonalraths — von seinen Sitzen.<lb/> In Basel und Genf verbirgt sich die letzte Spur von Scham über die<lb/> lächerliche Ohnmacht der Behörden hinter der noch lächerlicheren Ausrede: „Die<lb/> Deutschen Haben's aber auch zu toll getrieben!" In der That, es war ein<lb/> freches Wagstück, im Vertrauen auf die helvetische Libertät ein friedliches,<lb/> stilles, deutsches Fest zu feiern. Es ist unverzeihlich, daß man bei dieser Ge¬<lb/> legenheit der Welt zeigte, wer eigentlich in Basel, Zürich und Genf Meister<lb/> ist. Die bösen Deutschen! Da hat doch die Behörde von Schaffhausen viel<lb/> » weiser gehandelt, als sie den internirten Franzosen ein fröhliches Mahl<lb/> gab. Da wußte doch der Deutsche gleich von Anfang an, daß ihn der Hoch¬<lb/> wohlweise Rath von Schaffhausen nicht satt und froh mache.</p><lb/> <p xml:id="ID_236" next="#ID_237"> Für uns -Deutsche, die wir nach Ansicht Eurer radicalen Presse, vermöge<lb/> unserer eingebornen monarchischen Blindheit, niemals im Stande sein werden,<lb/> die volle Herrlichkeit der schweizerischen Freiheitssonne zu ermessen, ergibt sich<lb/> bei solchen Zuständen die Frage: Sind denn solche Vorgänge verfassungs¬<lb/> mäßig? Gibt es kein Mittel der Abhülfe? Warum schreitet der Bund</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0079]
unparteiisch dieses Urtheil ist. Dabei setzte ich als ein Axiom der gebildeten
Menschheit voraus, daß die republikanische oder monarchische Staats form
eben nur eine verschiedene Form des Staatsorganismus ist, innerhalb dessen
die Freiheit der Bürger und Ideen einen gleichgroßen Spielraum hat. Die
republikanische Staatsform an sich ist so wenig eine Bürgschaft für größere
Freiheit, als die Monarchie für größere Unfreiheit der Staatsbürger. Wenn
irgend wer daran noch zweifeln könnte, nachdem die erste französische Republik
Ströme Blutes vergossen hat, gegen welche die Tyrannei eines Nero und
Caligula barmherzige Liebe war: der mag die rothen Gestalten der französi¬
schen Emeuten der jüngsten Tage in Begleichung setzen mit dem milden,
ehrenfester und freien Regiment unseres Kaisers Wilhelm! Der mag den von
den Drohungen banausischer Demagogen gebundenen Willen der Züricher,
Baseler und Genfer Behörden vergleichen mit der parlamentarischen Arbeit
der deutschen Volksvertreter und Regierungen. Nach der Sieg- und ruhm¬
reichen Entfaltung einer Heeresmacht, wie sie die Welt vordem nicht gesehen,
schlägt die Bundesgewalt aus eigenem Antrieb vor, die Gesetzgebung über
die Rechte der Presse und Versammlungen in die Verfassung des neuen Reichs
aufzunehmen. Das ist unsere Reaction, welche Eure weiseren und thörichten
Blätter uns mit voller Einstimmigkeit und keineswegs ohne Schadenfreude
für die Jahre nach diesem Kriege weissagten. Die Vorgänge in Zürich, Basel
und Genf dagegen dürften wir — wenn wir ebenso vorschnell urtheilten —
mit weit größerem Rechte für die Meisterstücke schweizerischen Freiheitssinnes,
für die Reifezeugnisse Eures Verfassungsrechts erklären. In Zürich straft man
die schmähliche Unthätigkeit der Milizen, den bewaffneten Aufruhr von Hun¬
derten durch die, einmüthige Erhebung des Cantonalraths — von seinen Sitzen.
In Basel und Genf verbirgt sich die letzte Spur von Scham über die
lächerliche Ohnmacht der Behörden hinter der noch lächerlicheren Ausrede: „Die
Deutschen Haben's aber auch zu toll getrieben!" In der That, es war ein
freches Wagstück, im Vertrauen auf die helvetische Libertät ein friedliches,
stilles, deutsches Fest zu feiern. Es ist unverzeihlich, daß man bei dieser Ge¬
legenheit der Welt zeigte, wer eigentlich in Basel, Zürich und Genf Meister
ist. Die bösen Deutschen! Da hat doch die Behörde von Schaffhausen viel
» weiser gehandelt, als sie den internirten Franzosen ein fröhliches Mahl
gab. Da wußte doch der Deutsche gleich von Anfang an, daß ihn der Hoch¬
wohlweise Rath von Schaffhausen nicht satt und froh mache.
Für uns -Deutsche, die wir nach Ansicht Eurer radicalen Presse, vermöge
unserer eingebornen monarchischen Blindheit, niemals im Stande sein werden,
die volle Herrlichkeit der schweizerischen Freiheitssonne zu ermessen, ergibt sich
bei solchen Zuständen die Frage: Sind denn solche Vorgänge verfassungs¬
mäßig? Gibt es kein Mittel der Abhülfe? Warum schreitet der Bund
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