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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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vorigen Jahrhunderts soll sie von einem Bauer auf dem Gut der schon ge¬
nannten Familie Bertolozzi bei zufälligen Grabungen in einem Keller ge¬
funden worden sein, wo sie als Bodenplatte gedient zu haben scheint. Ein
Geistlicher rieth dem Bauer, sie als heidnisches Teufelswerk zu vernichten.
Dieser aber habe Mitleid mit der schönen Teufelin gehabt, und sie als Ofen¬
kachel verwendet. Zufällig habe eine Gräfin Bertolozzi den Werth dieser
Ofenkachel bemerkt und sie an sich genommen. Erst im Jahre 1852 kam
das Bild durch Schenkung der Gräfin Luisa Bertolozzi an das Museum.
Es ist dieses Bild das einzige werthvolle Kunstwerk dieser Art, das uns vom
Alterthum überkommen ist, und bildet ein Juwel Cortona's, das allein den
Besuch dieser Stadt reichlich lohnt. Keine Frage, daß der Künstler des Bil¬
des ein Grieche aus einer der besten Epochen, oder doch ein durchaus grie¬
chisch geschulter Etrusker gewesen sein muß. Dennoch wollte mir bedünken,
als ob die Cortonenserinnen noch heute theilweise den Typus der Muse trü¬
gen. Ich habe mich etwas lange bei dieser Muse ausgehalten, aber sie ist
es werth.

Von hier suchten wir den Dom auf, und entzückten uns, ehe wir ein¬
traten, an der herrlichen Aussicht auf das Thal, die eine Plattform zwischen
dem Dom und der Kirche Gehn bietet. Der Dom ist eine sehr harmonische
dreischiffige Säülenbastlica der Frührenaissance, und erinnert stark an S. Lo-
renzo in Florenz. Mein nächstes Ziel war der antike Sarkophag, der
sich am Ende des linken Seitenschiffes an der Wand befindet. Die Sage
läßt darin bald Corylus, den mythischen Gründer Cortona's, bald Flami-
nius, den von Hannibal am trasimenischen See geschlagenen Consul, darin
bestattet gewesen sein. Jedenfalls gehört der Sarkophag zu einem der besten
der, zwar in römischer Zeit, aber unter griechischen Einflüssen entstandenen
Monumente dieser Art, und gibt uns, im Verein mit der Muse und dem
Leuchter, einen günstigen Begriff von Cortona, als bedeutender Kunststätte
durch alle Zeiten des Alterthums hindurch. -- Als Donatello ungefähr im
Jahre 1424 von Orvieto, wo er eine Broncestatuette des Täufers gegossen hatte,
über Cortona nach Florenz zurückkehrte, sah er diesen Sarkophag, und wußte
später, in seiner gewohnten begeisterten Beredtsamkeit, nicht genug die Vor¬
züge desselben vor seinem Freund Brunellesco zu loben. Dieser Letztere wurde
von Donatello's Worten so entflammt, daß er, wie er ging und stand, nach
Cortona aufbrach, und den ganzen Sarkophag sorgfältig mit der Feder auf¬
nahm. Donatello erfuhr nicht einmal etwas von seiner Abreise; wie war er
aber erstaunt, als eines Tages Brunellesco vor ihn trat, eine Zeichnung vor
ihm aufrollte und ihn fragte, ob ihm der Gegenstand bekannt sei?

Die einzig richtige Erklärung dieses Sarkophags ist ohne Zweifel die¬
jenige, wonach ein Kampf des Bacchus mit feinem Gefolge gegen die Ana-


vorigen Jahrhunderts soll sie von einem Bauer auf dem Gut der schon ge¬
nannten Familie Bertolozzi bei zufälligen Grabungen in einem Keller ge¬
funden worden sein, wo sie als Bodenplatte gedient zu haben scheint. Ein
Geistlicher rieth dem Bauer, sie als heidnisches Teufelswerk zu vernichten.
Dieser aber habe Mitleid mit der schönen Teufelin gehabt, und sie als Ofen¬
kachel verwendet. Zufällig habe eine Gräfin Bertolozzi den Werth dieser
Ofenkachel bemerkt und sie an sich genommen. Erst im Jahre 1852 kam
das Bild durch Schenkung der Gräfin Luisa Bertolozzi an das Museum.
Es ist dieses Bild das einzige werthvolle Kunstwerk dieser Art, das uns vom
Alterthum überkommen ist, und bildet ein Juwel Cortona's, das allein den
Besuch dieser Stadt reichlich lohnt. Keine Frage, daß der Künstler des Bil¬
des ein Grieche aus einer der besten Epochen, oder doch ein durchaus grie¬
chisch geschulter Etrusker gewesen sein muß. Dennoch wollte mir bedünken,
als ob die Cortonenserinnen noch heute theilweise den Typus der Muse trü¬
gen. Ich habe mich etwas lange bei dieser Muse ausgehalten, aber sie ist
es werth.

Von hier suchten wir den Dom auf, und entzückten uns, ehe wir ein¬
traten, an der herrlichen Aussicht auf das Thal, die eine Plattform zwischen
dem Dom und der Kirche Gehn bietet. Der Dom ist eine sehr harmonische
dreischiffige Säülenbastlica der Frührenaissance, und erinnert stark an S. Lo-
renzo in Florenz. Mein nächstes Ziel war der antike Sarkophag, der
sich am Ende des linken Seitenschiffes an der Wand befindet. Die Sage
läßt darin bald Corylus, den mythischen Gründer Cortona's, bald Flami-
nius, den von Hannibal am trasimenischen See geschlagenen Consul, darin
bestattet gewesen sein. Jedenfalls gehört der Sarkophag zu einem der besten
der, zwar in römischer Zeit, aber unter griechischen Einflüssen entstandenen
Monumente dieser Art, und gibt uns, im Verein mit der Muse und dem
Leuchter, einen günstigen Begriff von Cortona, als bedeutender Kunststätte
durch alle Zeiten des Alterthums hindurch. — Als Donatello ungefähr im
Jahre 1424 von Orvieto, wo er eine Broncestatuette des Täufers gegossen hatte,
über Cortona nach Florenz zurückkehrte, sah er diesen Sarkophag, und wußte
später, in seiner gewohnten begeisterten Beredtsamkeit, nicht genug die Vor¬
züge desselben vor seinem Freund Brunellesco zu loben. Dieser Letztere wurde
von Donatello's Worten so entflammt, daß er, wie er ging und stand, nach
Cortona aufbrach, und den ganzen Sarkophag sorgfältig mit der Feder auf¬
nahm. Donatello erfuhr nicht einmal etwas von seiner Abreise; wie war er
aber erstaunt, als eines Tages Brunellesco vor ihn trat, eine Zeichnung vor
ihm aufrollte und ihn fragte, ob ihm der Gegenstand bekannt sei?

Die einzig richtige Erklärung dieses Sarkophags ist ohne Zweifel die¬
jenige, wonach ein Kampf des Bacchus mit feinem Gefolge gegen die Ana-


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[0514] vorigen Jahrhunderts soll sie von einem Bauer auf dem Gut der schon ge¬ nannten Familie Bertolozzi bei zufälligen Grabungen in einem Keller ge¬ funden worden sein, wo sie als Bodenplatte gedient zu haben scheint. Ein Geistlicher rieth dem Bauer, sie als heidnisches Teufelswerk zu vernichten. Dieser aber habe Mitleid mit der schönen Teufelin gehabt, und sie als Ofen¬ kachel verwendet. Zufällig habe eine Gräfin Bertolozzi den Werth dieser Ofenkachel bemerkt und sie an sich genommen. Erst im Jahre 1852 kam das Bild durch Schenkung der Gräfin Luisa Bertolozzi an das Museum. Es ist dieses Bild das einzige werthvolle Kunstwerk dieser Art, das uns vom Alterthum überkommen ist, und bildet ein Juwel Cortona's, das allein den Besuch dieser Stadt reichlich lohnt. Keine Frage, daß der Künstler des Bil¬ des ein Grieche aus einer der besten Epochen, oder doch ein durchaus grie¬ chisch geschulter Etrusker gewesen sein muß. Dennoch wollte mir bedünken, als ob die Cortonenserinnen noch heute theilweise den Typus der Muse trü¬ gen. Ich habe mich etwas lange bei dieser Muse ausgehalten, aber sie ist es werth. Von hier suchten wir den Dom auf, und entzückten uns, ehe wir ein¬ traten, an der herrlichen Aussicht auf das Thal, die eine Plattform zwischen dem Dom und der Kirche Gehn bietet. Der Dom ist eine sehr harmonische dreischiffige Säülenbastlica der Frührenaissance, und erinnert stark an S. Lo- renzo in Florenz. Mein nächstes Ziel war der antike Sarkophag, der sich am Ende des linken Seitenschiffes an der Wand befindet. Die Sage läßt darin bald Corylus, den mythischen Gründer Cortona's, bald Flami- nius, den von Hannibal am trasimenischen See geschlagenen Consul, darin bestattet gewesen sein. Jedenfalls gehört der Sarkophag zu einem der besten der, zwar in römischer Zeit, aber unter griechischen Einflüssen entstandenen Monumente dieser Art, und gibt uns, im Verein mit der Muse und dem Leuchter, einen günstigen Begriff von Cortona, als bedeutender Kunststätte durch alle Zeiten des Alterthums hindurch. — Als Donatello ungefähr im Jahre 1424 von Orvieto, wo er eine Broncestatuette des Täufers gegossen hatte, über Cortona nach Florenz zurückkehrte, sah er diesen Sarkophag, und wußte später, in seiner gewohnten begeisterten Beredtsamkeit, nicht genug die Vor¬ züge desselben vor seinem Freund Brunellesco zu loben. Dieser Letztere wurde von Donatello's Worten so entflammt, daß er, wie er ging und stand, nach Cortona aufbrach, und den ganzen Sarkophag sorgfältig mit der Feder auf¬ nahm. Donatello erfuhr nicht einmal etwas von seiner Abreise; wie war er aber erstaunt, als eines Tages Brunellesco vor ihn trat, eine Zeichnung vor ihm aufrollte und ihn fragte, ob ihm der Gegenstand bekannt sei? Die einzig richtige Erklärung dieses Sarkophags ist ohne Zweifel die¬ jenige, wonach ein Kampf des Bacchus mit feinem Gefolge gegen die Ana-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/514>, abgerufen am 29.09.2024.