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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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über die Bevölkerung fremder Gebiete dadurch ausdehnen, daß wir dieses
fremde Gebiet kriegerisch besetzen. Ob die Bewegung, welche den Fremden
unter unsere Botmäßigkeit bringt, ausgeht von dem Letzteren, während unser
Staat, im Zustand der Ruhe bleibt, oder ob unser Staat es ist, der sich in
Bewegung setzt und dadurch seinen Machtbereich ausdehnt über fremdes Land
und fremde Leute, ist für den Erfolg ganz gleichgiltig. Endlich kann auch
eine Combination dieser beiden Bewegungen vorkommen: der Fremde, der aus
fremdem Gebiet eintritt in das durch kriegerische Besetzung vorübergehend er¬
weiterte Machtgebiet unseres Staates, wird gleichfalls dessen zeitweiliger Unter¬
than. Der Rechtsboden für die Bestrafung des Fremden, der sich gegen uns
des Kriegsverraths schuldig macht, wird also durch die Erwägung gewonnen,
daß der Fremde durch Verweilen in dem von unsern Truppen besetzten Ge¬
biet und schon durch Betreten desselben Pflichten gegen unsern Staat über¬
nimmt, welche er durch die Begünstigung des Feindes verletzt. Wie genau
diese Auffassung mit dem Kriegsbrauch übereinstimmt, ergiebt sich aus dem
Grundsatz, daß der Spion straflos bleibt, sobald er ungefährdet in den Macht¬
bereich der feindlichen Kriegsmacht zurück gelangt war. Es leuchtet nun auch
ein, weshalb der feindliche Soldat, der als solcher kenntlich in unsere Linien
eindringt u. s. w., nicht als Spion behandelt werden kann. Derselbe vertritt
nämlich auch in seiner Vereinzelung die Kriegsmacht des feindlichen Staates
selbst, wenngleich vielleicht nur auf kürzeste Zeit und im engsten Raum, setzt
er unsere Kriegsmacht wieder aus dem Besitz. Die einzige, noch jetzt nennens¬
werte Abhandlung, welche über Spione*) die völkerrechtliche Literatur auf¬
zuweisen hat, bringt für die Bestrafung der Spionage einen Rechtsgrund
nicht bei, sondern behauptet einfach, die Behandlung der Spione sei ein Ueber-
bleibsel derjenigen Grundsätze, welche das ältere Völkerrecht in Ansehung der
Behandlung aller Kriegsgefangenen aufgestellt habe. AW ob jemals üblich
gewesen wäre, alle Kriegsgefangenen aufzuknüpfen! Völlig räthselhaft erscheint
bei diesem Erklärungsversuch der von Kamptz nicht bestrittene Satz, daß die
Spionage straflos bleibt, wenn sie außerhalb des Bereiches der Macht ange¬
stellt wird, gegen welche von dem Erkundeten Gebrauch gemacht werden soll.

Wendet man diese Sätze an auf die fremden Passagiere des Luftballons,
der über unsere Linien hinsegelt, so ergiebt sich, daß das Platzgreifen der
Begriffe und Strafen des Kriegsverraths und der Spionerie bedingt ist durch
die Antwort auf die Frage, ob das Luftschiff mit seinen Insassen in den Be¬
reich unserer Staatsgewalt eingetreten ist. Wie weit reicht also die rechtliche
Herrschaft unseres Staates in die Luftsäule, die auf unserm Staatsgebiet
oder auf dem von unserer Kriegsmacht besetzten fremden Gebiet ruhend gedacht
wird? In Beantwortung dieser Frage bietet nun das Verhältniß der Ge-



"so. Kamptz, Beitrage zum Staats- und Völkerrecht, Bd. I, 181S, S. "5-94.

über die Bevölkerung fremder Gebiete dadurch ausdehnen, daß wir dieses
fremde Gebiet kriegerisch besetzen. Ob die Bewegung, welche den Fremden
unter unsere Botmäßigkeit bringt, ausgeht von dem Letzteren, während unser
Staat, im Zustand der Ruhe bleibt, oder ob unser Staat es ist, der sich in
Bewegung setzt und dadurch seinen Machtbereich ausdehnt über fremdes Land
und fremde Leute, ist für den Erfolg ganz gleichgiltig. Endlich kann auch
eine Combination dieser beiden Bewegungen vorkommen: der Fremde, der aus
fremdem Gebiet eintritt in das durch kriegerische Besetzung vorübergehend er¬
weiterte Machtgebiet unseres Staates, wird gleichfalls dessen zeitweiliger Unter¬
than. Der Rechtsboden für die Bestrafung des Fremden, der sich gegen uns
des Kriegsverraths schuldig macht, wird also durch die Erwägung gewonnen,
daß der Fremde durch Verweilen in dem von unsern Truppen besetzten Ge¬
biet und schon durch Betreten desselben Pflichten gegen unsern Staat über¬
nimmt, welche er durch die Begünstigung des Feindes verletzt. Wie genau
diese Auffassung mit dem Kriegsbrauch übereinstimmt, ergiebt sich aus dem
Grundsatz, daß der Spion straflos bleibt, sobald er ungefährdet in den Macht¬
bereich der feindlichen Kriegsmacht zurück gelangt war. Es leuchtet nun auch
ein, weshalb der feindliche Soldat, der als solcher kenntlich in unsere Linien
eindringt u. s. w., nicht als Spion behandelt werden kann. Derselbe vertritt
nämlich auch in seiner Vereinzelung die Kriegsmacht des feindlichen Staates
selbst, wenngleich vielleicht nur auf kürzeste Zeit und im engsten Raum, setzt
er unsere Kriegsmacht wieder aus dem Besitz. Die einzige, noch jetzt nennens¬
werte Abhandlung, welche über Spione*) die völkerrechtliche Literatur auf¬
zuweisen hat, bringt für die Bestrafung der Spionage einen Rechtsgrund
nicht bei, sondern behauptet einfach, die Behandlung der Spione sei ein Ueber-
bleibsel derjenigen Grundsätze, welche das ältere Völkerrecht in Ansehung der
Behandlung aller Kriegsgefangenen aufgestellt habe. AW ob jemals üblich
gewesen wäre, alle Kriegsgefangenen aufzuknüpfen! Völlig räthselhaft erscheint
bei diesem Erklärungsversuch der von Kamptz nicht bestrittene Satz, daß die
Spionage straflos bleibt, wenn sie außerhalb des Bereiches der Macht ange¬
stellt wird, gegen welche von dem Erkundeten Gebrauch gemacht werden soll.

Wendet man diese Sätze an auf die fremden Passagiere des Luftballons,
der über unsere Linien hinsegelt, so ergiebt sich, daß das Platzgreifen der
Begriffe und Strafen des Kriegsverraths und der Spionerie bedingt ist durch
die Antwort auf die Frage, ob das Luftschiff mit seinen Insassen in den Be¬
reich unserer Staatsgewalt eingetreten ist. Wie weit reicht also die rechtliche
Herrschaft unseres Staates in die Luftsäule, die auf unserm Staatsgebiet
oder auf dem von unserer Kriegsmacht besetzten fremden Gebiet ruhend gedacht
wird? In Beantwortung dieser Frage bietet nun das Verhältniß der Ge-



"so. Kamptz, Beitrage zum Staats- und Völkerrecht, Bd. I, 181S, S. «5-94.
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[0477] über die Bevölkerung fremder Gebiete dadurch ausdehnen, daß wir dieses fremde Gebiet kriegerisch besetzen. Ob die Bewegung, welche den Fremden unter unsere Botmäßigkeit bringt, ausgeht von dem Letzteren, während unser Staat, im Zustand der Ruhe bleibt, oder ob unser Staat es ist, der sich in Bewegung setzt und dadurch seinen Machtbereich ausdehnt über fremdes Land und fremde Leute, ist für den Erfolg ganz gleichgiltig. Endlich kann auch eine Combination dieser beiden Bewegungen vorkommen: der Fremde, der aus fremdem Gebiet eintritt in das durch kriegerische Besetzung vorübergehend er¬ weiterte Machtgebiet unseres Staates, wird gleichfalls dessen zeitweiliger Unter¬ than. Der Rechtsboden für die Bestrafung des Fremden, der sich gegen uns des Kriegsverraths schuldig macht, wird also durch die Erwägung gewonnen, daß der Fremde durch Verweilen in dem von unsern Truppen besetzten Ge¬ biet und schon durch Betreten desselben Pflichten gegen unsern Staat über¬ nimmt, welche er durch die Begünstigung des Feindes verletzt. Wie genau diese Auffassung mit dem Kriegsbrauch übereinstimmt, ergiebt sich aus dem Grundsatz, daß der Spion straflos bleibt, sobald er ungefährdet in den Macht¬ bereich der feindlichen Kriegsmacht zurück gelangt war. Es leuchtet nun auch ein, weshalb der feindliche Soldat, der als solcher kenntlich in unsere Linien eindringt u. s. w., nicht als Spion behandelt werden kann. Derselbe vertritt nämlich auch in seiner Vereinzelung die Kriegsmacht des feindlichen Staates selbst, wenngleich vielleicht nur auf kürzeste Zeit und im engsten Raum, setzt er unsere Kriegsmacht wieder aus dem Besitz. Die einzige, noch jetzt nennens¬ werte Abhandlung, welche über Spione*) die völkerrechtliche Literatur auf¬ zuweisen hat, bringt für die Bestrafung der Spionage einen Rechtsgrund nicht bei, sondern behauptet einfach, die Behandlung der Spione sei ein Ueber- bleibsel derjenigen Grundsätze, welche das ältere Völkerrecht in Ansehung der Behandlung aller Kriegsgefangenen aufgestellt habe. AW ob jemals üblich gewesen wäre, alle Kriegsgefangenen aufzuknüpfen! Völlig räthselhaft erscheint bei diesem Erklärungsversuch der von Kamptz nicht bestrittene Satz, daß die Spionage straflos bleibt, wenn sie außerhalb des Bereiches der Macht ange¬ stellt wird, gegen welche von dem Erkundeten Gebrauch gemacht werden soll. Wendet man diese Sätze an auf die fremden Passagiere des Luftballons, der über unsere Linien hinsegelt, so ergiebt sich, daß das Platzgreifen der Begriffe und Strafen des Kriegsverraths und der Spionerie bedingt ist durch die Antwort auf die Frage, ob das Luftschiff mit seinen Insassen in den Be¬ reich unserer Staatsgewalt eingetreten ist. Wie weit reicht also die rechtliche Herrschaft unseres Staates in die Luftsäule, die auf unserm Staatsgebiet oder auf dem von unserer Kriegsmacht besetzten fremden Gebiet ruhend gedacht wird? In Beantwortung dieser Frage bietet nun das Verhältniß der Ge- "so. Kamptz, Beitrage zum Staats- und Völkerrecht, Bd. I, 181S, S. «5-94.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/477>, abgerufen am 29.09.2024.