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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Begrenzung der Personen tritt eine Begrenzung hinsichtlich des Ortes. Die
Insassen eines Ballons (gleichviel ob ballon mont6 oder ballon esptik), der
in Paris bei Windstille aufgestiegen wäre, um aus der Höhe unsere Werke
und Truppen zu beobachten, hätten wir keinesfalls als Spione behandeln
dürfen, wenn ein plötzlich ausbrechendes Ungewitter das Luftschiff innerhalb
unserer Aufstellungen zu Boden geworfen hätte. Weßhalb nicht? Weil sie
nicht mit ihrem Willen in unsern Machtbereich gelangten. Zwischen Mann¬
schaften der bewaffneten Macht und der Civilbevölkerung der belagerten Stadt
ist auch hier kein. Unterschied; die letztere darf im Machtbereich des Feindes
der Kriegsmacht desselben ungestraft Beistand leisten, und wir haben kein
Strafrecht wider die, welche mitten in einer solchen Beschäftigung ein Casus
der wörtlichsten Art in unsere Gewalt bringt. Nur einen Angehörigen un¬
sers eigenen Staates, der der feindlichen Macht dient, strafen wir wegen
Verletzung der staatsrechtlichen Pflichten, mit denen derselbe dauernd an uns
gekettet ist. Selbstverständlich würden wir den Angehörigen unseres Staates
nicht minder dann strafen, wenn er im Luftballon über unser Heerlager hin¬
segelte, um dem Feind mit seiner Kundschaft zu dienen, gleichviel ob er dem
feindlichen Heer eingereiht wäre und dessen Uniform trüge oder nicht.

Hiermit sind die Elemente zur Lösung der an die Spitze gestellten völker¬
rechtlichen Frage schon angedeutet. Wir können wegen Spionirens oder Kriegs¬
verraths nicht strafen, wenn die betreffenden Individuen weder Angehörige
unseres Staatswesens sind, noch während ihrer zur Unterstützung des Feindes
bestimmten Thätigkeit in den Machtbereich unseres Heeres absichtlich eintreten.
Die allgemeine Voraussetzung, deren Erfüllung in diesen beiden Formen mög¬
lich ist, zugleich der positive Rechtsgrund unserer Strafgewalt gegen Spione
und Kriegsverräther, liegt in einem Subjectionsverhältniß, in welchem der
Verbrecher zu unserer Staatsgewalt steht und welches er durch sein Handeln
verletzt. Dieses Subjectionsverhältniß ist ein persönliches, dauerndes, von dem
Wechsel des Ortes unabhängiges bei den Angehörigen unsers Staates, den
Lubjeeti xerxotui des Völkerrechts. Das Unterwerfungsverhältniß kann aber
auch ein blos räumliches und darum dem Wechsel unterworfenes sein; dies
ist der Fall bei den Fremden, so lange dieselben 'in der Machtsphäre unseres
Staates verweilen. Die Machtsphäre unseres Staates kann nun während desKriegs
die Grenzen unseres Staates überschreiten, und sie reicht im Gebiet des Fein¬
des so weit, als dasselbe von unsern Truppen besetzt ist. Dem modernen
Völkerrecht ist der Ausdruck su^'ceti tempor^ii geläufig zur Bezeichnung der
Fremden, die sich in unserm Land aufhalten. Es macht aber für diese räum¬
liche und zeitweilige Unterwerfung keinen Unterschied, ob die Fremden in den
festen Bau unseres Staates eintreten, oder ob wir die Macht unseres Staates,
damit zugleich aber dessen Recht auf Gehorsam und dessen Pflicht zum Schutz,


Begrenzung der Personen tritt eine Begrenzung hinsichtlich des Ortes. Die
Insassen eines Ballons (gleichviel ob ballon mont6 oder ballon esptik), der
in Paris bei Windstille aufgestiegen wäre, um aus der Höhe unsere Werke
und Truppen zu beobachten, hätten wir keinesfalls als Spione behandeln
dürfen, wenn ein plötzlich ausbrechendes Ungewitter das Luftschiff innerhalb
unserer Aufstellungen zu Boden geworfen hätte. Weßhalb nicht? Weil sie
nicht mit ihrem Willen in unsern Machtbereich gelangten. Zwischen Mann¬
schaften der bewaffneten Macht und der Civilbevölkerung der belagerten Stadt
ist auch hier kein. Unterschied; die letztere darf im Machtbereich des Feindes
der Kriegsmacht desselben ungestraft Beistand leisten, und wir haben kein
Strafrecht wider die, welche mitten in einer solchen Beschäftigung ein Casus
der wörtlichsten Art in unsere Gewalt bringt. Nur einen Angehörigen un¬
sers eigenen Staates, der der feindlichen Macht dient, strafen wir wegen
Verletzung der staatsrechtlichen Pflichten, mit denen derselbe dauernd an uns
gekettet ist. Selbstverständlich würden wir den Angehörigen unseres Staates
nicht minder dann strafen, wenn er im Luftballon über unser Heerlager hin¬
segelte, um dem Feind mit seiner Kundschaft zu dienen, gleichviel ob er dem
feindlichen Heer eingereiht wäre und dessen Uniform trüge oder nicht.

Hiermit sind die Elemente zur Lösung der an die Spitze gestellten völker¬
rechtlichen Frage schon angedeutet. Wir können wegen Spionirens oder Kriegs¬
verraths nicht strafen, wenn die betreffenden Individuen weder Angehörige
unseres Staatswesens sind, noch während ihrer zur Unterstützung des Feindes
bestimmten Thätigkeit in den Machtbereich unseres Heeres absichtlich eintreten.
Die allgemeine Voraussetzung, deren Erfüllung in diesen beiden Formen mög¬
lich ist, zugleich der positive Rechtsgrund unserer Strafgewalt gegen Spione
und Kriegsverräther, liegt in einem Subjectionsverhältniß, in welchem der
Verbrecher zu unserer Staatsgewalt steht und welches er durch sein Handeln
verletzt. Dieses Subjectionsverhältniß ist ein persönliches, dauerndes, von dem
Wechsel des Ortes unabhängiges bei den Angehörigen unsers Staates, den
Lubjeeti xerxotui des Völkerrechts. Das Unterwerfungsverhältniß kann aber
auch ein blos räumliches und darum dem Wechsel unterworfenes sein; dies
ist der Fall bei den Fremden, so lange dieselben 'in der Machtsphäre unseres
Staates verweilen. Die Machtsphäre unseres Staates kann nun während desKriegs
die Grenzen unseres Staates überschreiten, und sie reicht im Gebiet des Fein¬
des so weit, als dasselbe von unsern Truppen besetzt ist. Dem modernen
Völkerrecht ist der Ausdruck su^'ceti tempor^ii geläufig zur Bezeichnung der
Fremden, die sich in unserm Land aufhalten. Es macht aber für diese räum¬
liche und zeitweilige Unterwerfung keinen Unterschied, ob die Fremden in den
festen Bau unseres Staates eintreten, oder ob wir die Macht unseres Staates,
damit zugleich aber dessen Recht auf Gehorsam und dessen Pflicht zum Schutz,


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[0476] Begrenzung der Personen tritt eine Begrenzung hinsichtlich des Ortes. Die Insassen eines Ballons (gleichviel ob ballon mont6 oder ballon esptik), der in Paris bei Windstille aufgestiegen wäre, um aus der Höhe unsere Werke und Truppen zu beobachten, hätten wir keinesfalls als Spione behandeln dürfen, wenn ein plötzlich ausbrechendes Ungewitter das Luftschiff innerhalb unserer Aufstellungen zu Boden geworfen hätte. Weßhalb nicht? Weil sie nicht mit ihrem Willen in unsern Machtbereich gelangten. Zwischen Mann¬ schaften der bewaffneten Macht und der Civilbevölkerung der belagerten Stadt ist auch hier kein. Unterschied; die letztere darf im Machtbereich des Feindes der Kriegsmacht desselben ungestraft Beistand leisten, und wir haben kein Strafrecht wider die, welche mitten in einer solchen Beschäftigung ein Casus der wörtlichsten Art in unsere Gewalt bringt. Nur einen Angehörigen un¬ sers eigenen Staates, der der feindlichen Macht dient, strafen wir wegen Verletzung der staatsrechtlichen Pflichten, mit denen derselbe dauernd an uns gekettet ist. Selbstverständlich würden wir den Angehörigen unseres Staates nicht minder dann strafen, wenn er im Luftballon über unser Heerlager hin¬ segelte, um dem Feind mit seiner Kundschaft zu dienen, gleichviel ob er dem feindlichen Heer eingereiht wäre und dessen Uniform trüge oder nicht. Hiermit sind die Elemente zur Lösung der an die Spitze gestellten völker¬ rechtlichen Frage schon angedeutet. Wir können wegen Spionirens oder Kriegs¬ verraths nicht strafen, wenn die betreffenden Individuen weder Angehörige unseres Staatswesens sind, noch während ihrer zur Unterstützung des Feindes bestimmten Thätigkeit in den Machtbereich unseres Heeres absichtlich eintreten. Die allgemeine Voraussetzung, deren Erfüllung in diesen beiden Formen mög¬ lich ist, zugleich der positive Rechtsgrund unserer Strafgewalt gegen Spione und Kriegsverräther, liegt in einem Subjectionsverhältniß, in welchem der Verbrecher zu unserer Staatsgewalt steht und welches er durch sein Handeln verletzt. Dieses Subjectionsverhältniß ist ein persönliches, dauerndes, von dem Wechsel des Ortes unabhängiges bei den Angehörigen unsers Staates, den Lubjeeti xerxotui des Völkerrechts. Das Unterwerfungsverhältniß kann aber auch ein blos räumliches und darum dem Wechsel unterworfenes sein; dies ist der Fall bei den Fremden, so lange dieselben 'in der Machtsphäre unseres Staates verweilen. Die Machtsphäre unseres Staates kann nun während desKriegs die Grenzen unseres Staates überschreiten, und sie reicht im Gebiet des Fein¬ des so weit, als dasselbe von unsern Truppen besetzt ist. Dem modernen Völkerrecht ist der Ausdruck su^'ceti tempor^ii geläufig zur Bezeichnung der Fremden, die sich in unserm Land aufhalten. Es macht aber für diese räum¬ liche und zeitweilige Unterwerfung keinen Unterschied, ob die Fremden in den festen Bau unseres Staates eintreten, oder ob wir die Macht unseres Staates, damit zugleich aber dessen Recht auf Gehorsam und dessen Pflicht zum Schutz,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/476>, abgerufen am 29.09.2024.