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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Landhäuser. Einer der ersten dieser Fackelträger war ein alter Herr, mit
dessen Gesicht ich wohl bekannt war, indem ich häufig mit ihm in demselben
Zuge die Hin- und Rückfahrt nach London gemacht hatte. Er war ein
älterer Beamter in einer Regierungskanzlei, glaube ich, und ein sanftmüthig
aussehender alter Mann mit einem frischen Gesicht und einem langen Halse,
den er in ein doppeltes weißes Halstuch zu wickeln pflegte, was man selbst
damals nur selten noch zu sehen bekam. Es war eine bittere Zeit, dennoch
konnte ich mir nicht helfen, mich heiter gestimmt zu fühlen über die wunder¬
liche Figur, die dieser arme alte Kerl vorstellte, mit seinem würdevollen Ge¬
sicht und seiner langen Kravatte, wie er wie ein Bußethuender vor seiner
eignen Thür mit der Fackel stand, um unsern Besiegern den Pfad zu er¬
hellen.

Aber jetzt bot sich ein ernsterer Gegenstand dar. Ein Korporal mit zwei
Mann schritt mit zwei englischen Freiwilligen vorüber, denen die Hände aus
den Rücken gebunden waren. Sie warfen einen flehenden Blick nach mir,
und ich trat in die Straße, um den Korporal zu fragen, was los sei, und
wagte sogar, als er vorbeiging, meine Hand auf den Aermel des Korporals
zu legen.

"Aus dem Wege, Spitzbube!" schrie der Unmensch und erhob sein Ge¬
wehr, als ob er mich niederschlagen wollte. "Die Gefangenen, welche auf
uns noch feuern, müssen erschossen werden," setzte er hinzu, und die armen
Burschen würden gewiß erschossen worden sein, wenn ich mich nicht bei einem
Offizier für sie verwendet hätte, der zufällig vorbeiritt.

"Herr Hauptmann," rief ich so laut ich konnte, "ist das Ihre Disciplin,
daß Sie unbewaffnete Gefangene ohne Befehl erschießen lassen?"

Der auf diese Weise angesprochene Offizier hielt fein Pferd an und ließ
die Wache anhalten, bis er gehört, was ich zu sagen hatte. Meine Kennt¬
niß fremder Sprachen kam mir hier zu Statten; denn die Gefangenen, .Fabrik¬
arbeiter aus dem Norden dem Anschein nach, waren natürlich gänzlich außer
Stande, sich verständlich zu machen, und wußten nicht einmal, wodurch sie
sich vergangen hatten. Ich machte daher in Betreff ihrer Erklärungen den
Dolmetscher. Sie waren in einer Scheune zurückgelassen worden, während
sie in der Gegend von Dillon als Plänkler gefochten hatten, und als sie
aus ihrem Versteck mit ihren Büchsen in der Hand hervorgekommen und in
eine Abtheilung des Feindes gerathen waren, hatte man geglaubt, sie wollten
von hinten auf sie schießen. Es war ein Wunder, daß man sie nicht auf
der Stelle erschossen hatte. Der Kapitän hörte ihren Bericht und sagte dann
den Soldaten, sie sollten sie gehen lassen, worauf sie sich sogleich in eine
Nebengasse davontrollten.

Der Hauptmann war ein schöner soldatisch aussehender Mann, aber


Landhäuser. Einer der ersten dieser Fackelträger war ein alter Herr, mit
dessen Gesicht ich wohl bekannt war, indem ich häufig mit ihm in demselben
Zuge die Hin- und Rückfahrt nach London gemacht hatte. Er war ein
älterer Beamter in einer Regierungskanzlei, glaube ich, und ein sanftmüthig
aussehender alter Mann mit einem frischen Gesicht und einem langen Halse,
den er in ein doppeltes weißes Halstuch zu wickeln pflegte, was man selbst
damals nur selten noch zu sehen bekam. Es war eine bittere Zeit, dennoch
konnte ich mir nicht helfen, mich heiter gestimmt zu fühlen über die wunder¬
liche Figur, die dieser arme alte Kerl vorstellte, mit seinem würdevollen Ge¬
sicht und seiner langen Kravatte, wie er wie ein Bußethuender vor seiner
eignen Thür mit der Fackel stand, um unsern Besiegern den Pfad zu er¬
hellen.

Aber jetzt bot sich ein ernsterer Gegenstand dar. Ein Korporal mit zwei
Mann schritt mit zwei englischen Freiwilligen vorüber, denen die Hände aus
den Rücken gebunden waren. Sie warfen einen flehenden Blick nach mir,
und ich trat in die Straße, um den Korporal zu fragen, was los sei, und
wagte sogar, als er vorbeiging, meine Hand auf den Aermel des Korporals
zu legen.

„Aus dem Wege, Spitzbube!" schrie der Unmensch und erhob sein Ge¬
wehr, als ob er mich niederschlagen wollte. „Die Gefangenen, welche auf
uns noch feuern, müssen erschossen werden," setzte er hinzu, und die armen
Burschen würden gewiß erschossen worden sein, wenn ich mich nicht bei einem
Offizier für sie verwendet hätte, der zufällig vorbeiritt.

„Herr Hauptmann," rief ich so laut ich konnte, „ist das Ihre Disciplin,
daß Sie unbewaffnete Gefangene ohne Befehl erschießen lassen?"

Der auf diese Weise angesprochene Offizier hielt fein Pferd an und ließ
die Wache anhalten, bis er gehört, was ich zu sagen hatte. Meine Kennt¬
niß fremder Sprachen kam mir hier zu Statten; denn die Gefangenen, .Fabrik¬
arbeiter aus dem Norden dem Anschein nach, waren natürlich gänzlich außer
Stande, sich verständlich zu machen, und wußten nicht einmal, wodurch sie
sich vergangen hatten. Ich machte daher in Betreff ihrer Erklärungen den
Dolmetscher. Sie waren in einer Scheune zurückgelassen worden, während
sie in der Gegend von Dillon als Plänkler gefochten hatten, und als sie
aus ihrem Versteck mit ihren Büchsen in der Hand hervorgekommen und in
eine Abtheilung des Feindes gerathen waren, hatte man geglaubt, sie wollten
von hinten auf sie schießen. Es war ein Wunder, daß man sie nicht auf
der Stelle erschossen hatte. Der Kapitän hörte ihren Bericht und sagte dann
den Soldaten, sie sollten sie gehen lassen, worauf sie sich sogleich in eine
Nebengasse davontrollten.

Der Hauptmann war ein schöner soldatisch aussehender Mann, aber


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[0468] Landhäuser. Einer der ersten dieser Fackelträger war ein alter Herr, mit dessen Gesicht ich wohl bekannt war, indem ich häufig mit ihm in demselben Zuge die Hin- und Rückfahrt nach London gemacht hatte. Er war ein älterer Beamter in einer Regierungskanzlei, glaube ich, und ein sanftmüthig aussehender alter Mann mit einem frischen Gesicht und einem langen Halse, den er in ein doppeltes weißes Halstuch zu wickeln pflegte, was man selbst damals nur selten noch zu sehen bekam. Es war eine bittere Zeit, dennoch konnte ich mir nicht helfen, mich heiter gestimmt zu fühlen über die wunder¬ liche Figur, die dieser arme alte Kerl vorstellte, mit seinem würdevollen Ge¬ sicht und seiner langen Kravatte, wie er wie ein Bußethuender vor seiner eignen Thür mit der Fackel stand, um unsern Besiegern den Pfad zu er¬ hellen. Aber jetzt bot sich ein ernsterer Gegenstand dar. Ein Korporal mit zwei Mann schritt mit zwei englischen Freiwilligen vorüber, denen die Hände aus den Rücken gebunden waren. Sie warfen einen flehenden Blick nach mir, und ich trat in die Straße, um den Korporal zu fragen, was los sei, und wagte sogar, als er vorbeiging, meine Hand auf den Aermel des Korporals zu legen. „Aus dem Wege, Spitzbube!" schrie der Unmensch und erhob sein Ge¬ wehr, als ob er mich niederschlagen wollte. „Die Gefangenen, welche auf uns noch feuern, müssen erschossen werden," setzte er hinzu, und die armen Burschen würden gewiß erschossen worden sein, wenn ich mich nicht bei einem Offizier für sie verwendet hätte, der zufällig vorbeiritt. „Herr Hauptmann," rief ich so laut ich konnte, „ist das Ihre Disciplin, daß Sie unbewaffnete Gefangene ohne Befehl erschießen lassen?" Der auf diese Weise angesprochene Offizier hielt fein Pferd an und ließ die Wache anhalten, bis er gehört, was ich zu sagen hatte. Meine Kennt¬ niß fremder Sprachen kam mir hier zu Statten; denn die Gefangenen, .Fabrik¬ arbeiter aus dem Norden dem Anschein nach, waren natürlich gänzlich außer Stande, sich verständlich zu machen, und wußten nicht einmal, wodurch sie sich vergangen hatten. Ich machte daher in Betreff ihrer Erklärungen den Dolmetscher. Sie waren in einer Scheune zurückgelassen worden, während sie in der Gegend von Dillon als Plänkler gefochten hatten, und als sie aus ihrem Versteck mit ihren Büchsen in der Hand hervorgekommen und in eine Abtheilung des Feindes gerathen waren, hatte man geglaubt, sie wollten von hinten auf sie schießen. Es war ein Wunder, daß man sie nicht auf der Stelle erschossen hatte. Der Kapitän hörte ihren Bericht und sagte dann den Soldaten, sie sollten sie gehen lassen, worauf sie sich sogleich in eine Nebengasse davontrollten. Der Hauptmann war ein schöner soldatisch aussehender Mann, aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/468>, abgerufen am 29.09.2024.