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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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lässige habe. Aber Sie werden verstehen" -- indem sie einen Blick "ach oben
that -- "wie sehr ich in Anspruch genommen war."

"Wo ist," begann ich.

"Mein Knabe?" erwiderte sie, meine Frage vorausnehmend. "Ich habe
ihn zu seinem Bater gelegt. Aber jetzt muß für Ihre Wunden gesorgt wer¬
den. Wie blaß und schwach Sie aussehen! Ruhen Sie hier einen Augen¬
blick." Dann stieg sie nach dem Eßzimmer hinab und kehrte mit etwas Wein
zurück, den ich dankerfüllt trank, worauf sie mich auf die oberste Treppen¬
stufe niedersitzen ließ, Wasser und Leinwand brachte, den Aermel meines
Rockes abschnitt und meine Wunden wusch und verband. Ich war also
eigentlich selbstsüchtig, wenn ich so zu ihrer Noth beitrug, aber in Wahrheit
war ich zu schwach, um viel Willen übrig zu haben, und bedürfte die Hülfe,
welche sie mich anzunehmen zwang, und daß mir meine Wunden verbunden
wurden, that mir unbeschreiblich wohl.

Während sie so meiner.wartete, erklärte sie mir in abgebrochenen Sätzen,
wie die Dinge standen. Jedes Zimmer mit Ausnahme ihres eigenen und
des Stübchens, in welches sie mit Woods Hülfe mich getragen hatte, war
voll Soldaten. Wood war weggebracht worden, um bei der Wiederherstel¬
lung der Eisenbahn zu helfen, und Lucy war aus Furcht davongelaufen.
Aber die Köchin war auf ihrem Posten geblieben und hatte den Soldaten
Abendessen aufgetragen und ihnen den Keller geöffnet. Sie verstand nicht,
was sie sagten, und sie waren rauh und bäuerisch, aber nicht unartig. Ich
sollte jetzt gehen, sagte sie, da meine Wunden verbunden wären, um nach
meinem eigenen Hause zu sehen, wo man mich brauchen könnte. Was sie
anging, so wünsche sie nur, daß man ihr erlaube, dort oben -- damit zeigte
sie nach dem Zimmer, wo ihr Gatte und ihr Kind als Leichen lagen -- als
Wächterin zurückzubleiben. Sie würde da nicht belästigt werden- Ich fühlte,
daß ihr Rath gut war. Ich konnte als Beschützer nichts nutzen, Und ich
empfand eine angsterfüllte Sehnsucht, zu erfahren, was aus meiner kranken
Mutter und meiner Schwester geworden sei, überdies aber mußten irgendwie
Anordnungen getroffen werden in Betreff des Begräbnisses meines Freundes
und seines Kindes. So hinkte ich davon. Es bedürfte von keiner Seite des
Dankes und unser Kummer war zu tief, als daß.er durch irgend ein äußeres
Zeichen des Mitgefühls hätte erreicht werden können.

Außerhalb des Hauses gab es viel Bewegung und Geschäftigkeit. Eine
Menge Karren zogen des Weges, die Wagenführer waren offenbar gepreßt
und von Soldaten bewacht, und obschon kein Gas brannte, war die Straße
nach Kingston hell erleuchtet durch Fackeln, welche von Leuten gehalten wur¬
den, die in kurzen Entfernungen von einander standen und zu dem Zwecke
ergriffen worden waren. Einige von ihnen waren die Inhaber benachbarter


lässige habe. Aber Sie werden verstehen" — indem sie einen Blick »ach oben
that — „wie sehr ich in Anspruch genommen war."

„Wo ist," begann ich.

„Mein Knabe?" erwiderte sie, meine Frage vorausnehmend. „Ich habe
ihn zu seinem Bater gelegt. Aber jetzt muß für Ihre Wunden gesorgt wer¬
den. Wie blaß und schwach Sie aussehen! Ruhen Sie hier einen Augen¬
blick." Dann stieg sie nach dem Eßzimmer hinab und kehrte mit etwas Wein
zurück, den ich dankerfüllt trank, worauf sie mich auf die oberste Treppen¬
stufe niedersitzen ließ, Wasser und Leinwand brachte, den Aermel meines
Rockes abschnitt und meine Wunden wusch und verband. Ich war also
eigentlich selbstsüchtig, wenn ich so zu ihrer Noth beitrug, aber in Wahrheit
war ich zu schwach, um viel Willen übrig zu haben, und bedürfte die Hülfe,
welche sie mich anzunehmen zwang, und daß mir meine Wunden verbunden
wurden, that mir unbeschreiblich wohl.

Während sie so meiner.wartete, erklärte sie mir in abgebrochenen Sätzen,
wie die Dinge standen. Jedes Zimmer mit Ausnahme ihres eigenen und
des Stübchens, in welches sie mit Woods Hülfe mich getragen hatte, war
voll Soldaten. Wood war weggebracht worden, um bei der Wiederherstel¬
lung der Eisenbahn zu helfen, und Lucy war aus Furcht davongelaufen.
Aber die Köchin war auf ihrem Posten geblieben und hatte den Soldaten
Abendessen aufgetragen und ihnen den Keller geöffnet. Sie verstand nicht,
was sie sagten, und sie waren rauh und bäuerisch, aber nicht unartig. Ich
sollte jetzt gehen, sagte sie, da meine Wunden verbunden wären, um nach
meinem eigenen Hause zu sehen, wo man mich brauchen könnte. Was sie
anging, so wünsche sie nur, daß man ihr erlaube, dort oben — damit zeigte
sie nach dem Zimmer, wo ihr Gatte und ihr Kind als Leichen lagen — als
Wächterin zurückzubleiben. Sie würde da nicht belästigt werden- Ich fühlte,
daß ihr Rath gut war. Ich konnte als Beschützer nichts nutzen, Und ich
empfand eine angsterfüllte Sehnsucht, zu erfahren, was aus meiner kranken
Mutter und meiner Schwester geworden sei, überdies aber mußten irgendwie
Anordnungen getroffen werden in Betreff des Begräbnisses meines Freundes
und seines Kindes. So hinkte ich davon. Es bedürfte von keiner Seite des
Dankes und unser Kummer war zu tief, als daß.er durch irgend ein äußeres
Zeichen des Mitgefühls hätte erreicht werden können.

Außerhalb des Hauses gab es viel Bewegung und Geschäftigkeit. Eine
Menge Karren zogen des Weges, die Wagenführer waren offenbar gepreßt
und von Soldaten bewacht, und obschon kein Gas brannte, war die Straße
nach Kingston hell erleuchtet durch Fackeln, welche von Leuten gehalten wur¬
den, die in kurzen Entfernungen von einander standen und zu dem Zwecke
ergriffen worden waren. Einige von ihnen waren die Inhaber benachbarter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/467>, abgerufen am 29.09.2024.