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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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erwarten, sind so gut unsre Söhne und Brüder, wie die unsres Blutes, sie
sind die Kinder dieses Landes dazu, denn das hessische und badische Land ist
nur ein Stück unsres ganzen deutschen Vaterlandes, zu dem wir nun für
immer gehören." Die deutschen Fahnen aber und die Pfingstglocken grüßten
hinein in die Scene. Die Menge erwartete reine Preußen aus Niederschlesien
und Posen, von denen noch ein Jahr zuvor gar mancher der nun festlich Ver¬
sammelten klug zu urtheilen meinte, wenn er sie mit dem Stuttgarter Be¬
obachter für ein wendisch-casubisches Mischvolk von Barbaren ausgab. Und
ein badischer Mann erzählte in ergreifender Weise von jenen hocherregten
Tagen, "seit denen landauf landab am Oberrhein kein höherer Schwur gilt,
als bei den Preußen." "Damals", so sagte er, "in den ersten Tagen nach der
Kriegserklärung, da sahen wir Männer zittern, die grau geworden waren
im muthigen Kampfe um den nationalen Staat. Allezeit ungebeugt waren
sie gestanden in dem oft heißen, verworrenen und persönlich widerwärtigen
Streit der Parteien, unbekümmert um die Gunst oder den Haß dessen, was
man jeweilig die öffentliche Meinung nannte. Aber nun erwarteten sie stünd¬
lich den Einbruch eines raubgierigen, zügellosen Feindes in die gesegneten
Fluren ihrer Heimath -- Alles, Alles was ein hartes Mannesleben an edlem
Lebensglück erringen kann, stand ihnen in Frage. Das überwältigte sie.
Wir eilten täglich mit der Bahn hinaus auf die höchsten Höhen der Pfalz
und des Schwarzwaldes und meinten jedesmal, mit dem Fernrohr erkennen
zu müssen, wie der Feind in hellen Haufen von Straßburg zum Angriff
heranziehe. Und jedesmal meldeten wir bei der Heimkehr: "noch nicht" --
mit wenig getrösteten Herzen; denn nur eine Handvoll Leute stand von Lan-
dau bis Mannheim der Grenze entlang und über die Bewegung des nordi¬
schen Heeres verlautete kein Wort. So kehrten wir auch eines Abends zurück
nach der Mannheimer Brücke bei sinkender Sonne. Da hielt uns ein wunder¬
barer Anblick festgebannt. In unabsehbarem Zuge, unter den Klängen der
"Wacht am Rhein," die tausendstimmig Soldat und Volk mitsang, schritten
die glänzenden Schaaren der preußischen Garde über die Rheinbrücke. Sie
waren bis hierher gefahren und sahen drum so schmuck und blank aus wie auf
dem Exereierplatz, und kamen, das Wort einzulösen, das ihnen so hellfreudig
aus dem Munde drang. So zog Regiment auf Regiment an uns vorüber,
wohl eine Stunde lang, und als ihr Lied in der Ferne erstarb: "Lieb' Vater¬
land, magst ruhig sein!" Da sahen wir uns getröstet an, und schämten
uns nicht, daß unsre Augen naß waren, und sagten uns, daß alle Gefahr
vorüber- sei, wo der mächtige Norden mit seinem Herzblut und dem Kern
seiner Jugend so dem Süden das Bündniß halte." So erzählte der ba¬
dische Mann.

Nun standen wir auf den Zinnen des Heidelberger Schlosses und ließen


erwarten, sind so gut unsre Söhne und Brüder, wie die unsres Blutes, sie
sind die Kinder dieses Landes dazu, denn das hessische und badische Land ist
nur ein Stück unsres ganzen deutschen Vaterlandes, zu dem wir nun für
immer gehören." Die deutschen Fahnen aber und die Pfingstglocken grüßten
hinein in die Scene. Die Menge erwartete reine Preußen aus Niederschlesien
und Posen, von denen noch ein Jahr zuvor gar mancher der nun festlich Ver¬
sammelten klug zu urtheilen meinte, wenn er sie mit dem Stuttgarter Be¬
obachter für ein wendisch-casubisches Mischvolk von Barbaren ausgab. Und
ein badischer Mann erzählte in ergreifender Weise von jenen hocherregten
Tagen, „seit denen landauf landab am Oberrhein kein höherer Schwur gilt,
als bei den Preußen." „Damals", so sagte er, „in den ersten Tagen nach der
Kriegserklärung, da sahen wir Männer zittern, die grau geworden waren
im muthigen Kampfe um den nationalen Staat. Allezeit ungebeugt waren
sie gestanden in dem oft heißen, verworrenen und persönlich widerwärtigen
Streit der Parteien, unbekümmert um die Gunst oder den Haß dessen, was
man jeweilig die öffentliche Meinung nannte. Aber nun erwarteten sie stünd¬
lich den Einbruch eines raubgierigen, zügellosen Feindes in die gesegneten
Fluren ihrer Heimath — Alles, Alles was ein hartes Mannesleben an edlem
Lebensglück erringen kann, stand ihnen in Frage. Das überwältigte sie.
Wir eilten täglich mit der Bahn hinaus auf die höchsten Höhen der Pfalz
und des Schwarzwaldes und meinten jedesmal, mit dem Fernrohr erkennen
zu müssen, wie der Feind in hellen Haufen von Straßburg zum Angriff
heranziehe. Und jedesmal meldeten wir bei der Heimkehr: „noch nicht" —
mit wenig getrösteten Herzen; denn nur eine Handvoll Leute stand von Lan-
dau bis Mannheim der Grenze entlang und über die Bewegung des nordi¬
schen Heeres verlautete kein Wort. So kehrten wir auch eines Abends zurück
nach der Mannheimer Brücke bei sinkender Sonne. Da hielt uns ein wunder¬
barer Anblick festgebannt. In unabsehbarem Zuge, unter den Klängen der
„Wacht am Rhein," die tausendstimmig Soldat und Volk mitsang, schritten
die glänzenden Schaaren der preußischen Garde über die Rheinbrücke. Sie
waren bis hierher gefahren und sahen drum so schmuck und blank aus wie auf
dem Exereierplatz, und kamen, das Wort einzulösen, das ihnen so hellfreudig
aus dem Munde drang. So zog Regiment auf Regiment an uns vorüber,
wohl eine Stunde lang, und als ihr Lied in der Ferne erstarb: „Lieb' Vater¬
land, magst ruhig sein!" Da sahen wir uns getröstet an, und schämten
uns nicht, daß unsre Augen naß waren, und sagten uns, daß alle Gefahr
vorüber- sei, wo der mächtige Norden mit seinem Herzblut und dem Kern
seiner Jugend so dem Süden das Bündniß halte." So erzählte der ba¬
dische Mann.

Nun standen wir auf den Zinnen des Heidelberger Schlosses und ließen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/432>, abgerufen am 28.12.2024.