Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

den die freundliche Böschung gewährte. Rechts von uns war die bereits
erwähnte Batterie, dann kam ein Bataillon Linieninfanterie, dann wieder
Kanonen, dann bis an das große Haus hin eine Masse von Miliz und
Freiwilligen und etwas Linie. So wenigstens war die Aufstellung, ehe das
Feuern begann, was später für Veränderungen vorgingen, weiß ich nicht.

Und jetzt begann die feindliche Artillerie zu donnern. Wo ihre Kanonen
standen, konnten wir nicht sehen, aber wir hörten das Sausen ihrer Gra¬
naten über unsern Köpfen und den Knall, wenn sie hart hinter uns platzten.
Und was jetzt vorging, bin ich kaum im Stande, euch zu sagen. Bisweilen,
wenn ich mir das Schauspiel zurückzurufen versuche, kommt mir's vor, als
hätte es nur ein paar Minuten gedauert. Doch weiß ich, daß ich, als wir
auf dem Boden lagen, dachte, die Stunden wollten nimmermehr vergehen.
Die Artilleristen arbeiteten fort indem sie auf den unsichtbaren Feind feuerten,
und hielten niemals inne, ausgenommen, wenn dann und wann ein dumpfer
Fall gehört wurde und ein Mann hinstürzte, wo dann drei oder vier von
seinen Kameraden ihn hinter die Linie schafften. Der Kapitän ritt nicht mehr
auf und ab, was aus ihm geworden, weiß ich nicht. Zwei von den Ge¬
schützen hörten auf zu schießen, sie waren irgendwie beschädigt, und ein Ar-
tilleriegeneräl ritt heran. Ich sehe ihn noch jetzt, ein sehr stattlicher Mann
mit ernsten Zügen und dunkelm Bart, die Brust mit Medaillen bedeckt. Er
schien sehr zornig, daß die Kanonen aufhörten.

"Wer commandirt diese Batterie?" rief er.

"Ich, Sir Henry," fagte ein Offizier, den ich bisher nicht bemerkt, vor¬
reitend.

Die Gruppe ist mir noch jetzt vor Augen, wie sie sich klar von dem
raucherfüllten Hintergrunde abhob. Sir Henry aufrecht auf seinem prächtigen
Streitroß, sein blitzendes Auge, sein linker Arm wie um etwas zu bekräftigen
was er sagen wollte, nach dem Feinde hinzeigend, der junge Offizier, der
sein Pferd dicht neben ihn gelenkt und ihn mit Erhebung feiner rechten Hand
an seine Mützenblende grüßte. Dieß einen Augenblick, dann ein dumpfer
Laut, und Rosse und Reiter lagen am Boden. Eine Vollkugel hatte alle
vier an der Sattellinie getroffen. Einige der Artilleristen liefen herzu, um
zu helfen, aber keiner der Offiziere hätte viele Minuten leben bleiben
können.

Sie waren nicht die ersten, die ich sterben sah. Etwas eher, fast un¬
mittelbar, nachdem der Feind sein Artilleriefeuer eröffnet hatte, hörte ich,
als wir so dalagen, etwas wie Anschlagen von Stahl an Stahl und in
selben Augenblick sank Dick Wale, der neben mir die Elbogen aufgestemmt
lag, vorwärts auf sein Angesicht. Ich sah mich um. Eine mit hoher Ele-
vation abgefeuerte Kanonenkugel war ihm über den Kopf gegangen und


den die freundliche Böschung gewährte. Rechts von uns war die bereits
erwähnte Batterie, dann kam ein Bataillon Linieninfanterie, dann wieder
Kanonen, dann bis an das große Haus hin eine Masse von Miliz und
Freiwilligen und etwas Linie. So wenigstens war die Aufstellung, ehe das
Feuern begann, was später für Veränderungen vorgingen, weiß ich nicht.

Und jetzt begann die feindliche Artillerie zu donnern. Wo ihre Kanonen
standen, konnten wir nicht sehen, aber wir hörten das Sausen ihrer Gra¬
naten über unsern Köpfen und den Knall, wenn sie hart hinter uns platzten.
Und was jetzt vorging, bin ich kaum im Stande, euch zu sagen. Bisweilen,
wenn ich mir das Schauspiel zurückzurufen versuche, kommt mir's vor, als
hätte es nur ein paar Minuten gedauert. Doch weiß ich, daß ich, als wir
auf dem Boden lagen, dachte, die Stunden wollten nimmermehr vergehen.
Die Artilleristen arbeiteten fort indem sie auf den unsichtbaren Feind feuerten,
und hielten niemals inne, ausgenommen, wenn dann und wann ein dumpfer
Fall gehört wurde und ein Mann hinstürzte, wo dann drei oder vier von
seinen Kameraden ihn hinter die Linie schafften. Der Kapitän ritt nicht mehr
auf und ab, was aus ihm geworden, weiß ich nicht. Zwei von den Ge¬
schützen hörten auf zu schießen, sie waren irgendwie beschädigt, und ein Ar-
tilleriegeneräl ritt heran. Ich sehe ihn noch jetzt, ein sehr stattlicher Mann
mit ernsten Zügen und dunkelm Bart, die Brust mit Medaillen bedeckt. Er
schien sehr zornig, daß die Kanonen aufhörten.

„Wer commandirt diese Batterie?" rief er.

„Ich, Sir Henry," fagte ein Offizier, den ich bisher nicht bemerkt, vor¬
reitend.

Die Gruppe ist mir noch jetzt vor Augen, wie sie sich klar von dem
raucherfüllten Hintergrunde abhob. Sir Henry aufrecht auf seinem prächtigen
Streitroß, sein blitzendes Auge, sein linker Arm wie um etwas zu bekräftigen
was er sagen wollte, nach dem Feinde hinzeigend, der junge Offizier, der
sein Pferd dicht neben ihn gelenkt und ihn mit Erhebung feiner rechten Hand
an seine Mützenblende grüßte. Dieß einen Augenblick, dann ein dumpfer
Laut, und Rosse und Reiter lagen am Boden. Eine Vollkugel hatte alle
vier an der Sattellinie getroffen. Einige der Artilleristen liefen herzu, um
zu helfen, aber keiner der Offiziere hätte viele Minuten leben bleiben
können.

Sie waren nicht die ersten, die ich sterben sah. Etwas eher, fast un¬
mittelbar, nachdem der Feind sein Artilleriefeuer eröffnet hatte, hörte ich,
als wir so dalagen, etwas wie Anschlagen von Stahl an Stahl und in
selben Augenblick sank Dick Wale, der neben mir die Elbogen aufgestemmt
lag, vorwärts auf sein Angesicht. Ich sah mich um. Eine mit hoher Ele-
vation abgefeuerte Kanonenkugel war ihm über den Kopf gegangen und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0424" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126206"/>
          <p xml:id="ID_1319" prev="#ID_1318"> den die freundliche Böschung gewährte. Rechts von uns war die bereits<lb/>
erwähnte Batterie, dann kam ein Bataillon Linieninfanterie, dann wieder<lb/>
Kanonen, dann bis an das große Haus hin eine Masse von Miliz und<lb/>
Freiwilligen und etwas Linie. So wenigstens war die Aufstellung, ehe das<lb/>
Feuern begann, was später für Veränderungen vorgingen, weiß ich nicht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1320"> Und jetzt begann die feindliche Artillerie zu donnern. Wo ihre Kanonen<lb/>
standen, konnten wir nicht sehen, aber wir hörten das Sausen ihrer Gra¬<lb/>
naten über unsern Köpfen und den Knall, wenn sie hart hinter uns platzten.<lb/>
Und was jetzt vorging, bin ich kaum im Stande, euch zu sagen. Bisweilen,<lb/>
wenn ich mir das Schauspiel zurückzurufen versuche, kommt mir's vor, als<lb/>
hätte es nur ein paar Minuten gedauert. Doch weiß ich, daß ich, als wir<lb/>
auf dem Boden lagen, dachte, die Stunden wollten nimmermehr vergehen.<lb/>
Die Artilleristen arbeiteten fort indem sie auf den unsichtbaren Feind feuerten,<lb/>
und hielten niemals inne, ausgenommen, wenn dann und wann ein dumpfer<lb/>
Fall gehört wurde und ein Mann hinstürzte, wo dann drei oder vier von<lb/>
seinen Kameraden ihn hinter die Linie schafften. Der Kapitän ritt nicht mehr<lb/>
auf und ab, was aus ihm geworden, weiß ich nicht. Zwei von den Ge¬<lb/>
schützen hörten auf zu schießen, sie waren irgendwie beschädigt, und ein Ar-<lb/>
tilleriegeneräl ritt heran. Ich sehe ihn noch jetzt, ein sehr stattlicher Mann<lb/>
mit ernsten Zügen und dunkelm Bart, die Brust mit Medaillen bedeckt. Er<lb/>
schien sehr zornig, daß die Kanonen aufhörten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1321"> &#x201E;Wer commandirt diese Batterie?" rief er.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1322"> &#x201E;Ich, Sir Henry," fagte ein Offizier, den ich bisher nicht bemerkt, vor¬<lb/>
reitend.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1323"> Die Gruppe ist mir noch jetzt vor Augen, wie sie sich klar von dem<lb/>
raucherfüllten Hintergrunde abhob. Sir Henry aufrecht auf seinem prächtigen<lb/>
Streitroß, sein blitzendes Auge, sein linker Arm wie um etwas zu bekräftigen<lb/>
was er sagen wollte, nach dem Feinde hinzeigend, der junge Offizier, der<lb/>
sein Pferd dicht neben ihn gelenkt und ihn mit Erhebung feiner rechten Hand<lb/>
an seine Mützenblende grüßte. Dieß einen Augenblick, dann ein dumpfer<lb/>
Laut, und Rosse und Reiter lagen am Boden. Eine Vollkugel hatte alle<lb/>
vier an der Sattellinie getroffen. Einige der Artilleristen liefen herzu, um<lb/>
zu helfen, aber keiner der Offiziere hätte viele Minuten leben bleiben<lb/>
können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1324" next="#ID_1325"> Sie waren nicht die ersten, die ich sterben sah. Etwas eher, fast un¬<lb/>
mittelbar, nachdem der Feind sein Artilleriefeuer eröffnet hatte, hörte ich,<lb/>
als wir so dalagen, etwas wie Anschlagen von Stahl an Stahl und in<lb/>
selben Augenblick sank Dick Wale, der neben mir die Elbogen aufgestemmt<lb/>
lag, vorwärts auf sein Angesicht. Ich sah mich um. Eine mit hoher Ele-<lb/>
vation abgefeuerte Kanonenkugel war ihm über den Kopf gegangen und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0424] den die freundliche Böschung gewährte. Rechts von uns war die bereits erwähnte Batterie, dann kam ein Bataillon Linieninfanterie, dann wieder Kanonen, dann bis an das große Haus hin eine Masse von Miliz und Freiwilligen und etwas Linie. So wenigstens war die Aufstellung, ehe das Feuern begann, was später für Veränderungen vorgingen, weiß ich nicht. Und jetzt begann die feindliche Artillerie zu donnern. Wo ihre Kanonen standen, konnten wir nicht sehen, aber wir hörten das Sausen ihrer Gra¬ naten über unsern Köpfen und den Knall, wenn sie hart hinter uns platzten. Und was jetzt vorging, bin ich kaum im Stande, euch zu sagen. Bisweilen, wenn ich mir das Schauspiel zurückzurufen versuche, kommt mir's vor, als hätte es nur ein paar Minuten gedauert. Doch weiß ich, daß ich, als wir auf dem Boden lagen, dachte, die Stunden wollten nimmermehr vergehen. Die Artilleristen arbeiteten fort indem sie auf den unsichtbaren Feind feuerten, und hielten niemals inne, ausgenommen, wenn dann und wann ein dumpfer Fall gehört wurde und ein Mann hinstürzte, wo dann drei oder vier von seinen Kameraden ihn hinter die Linie schafften. Der Kapitän ritt nicht mehr auf und ab, was aus ihm geworden, weiß ich nicht. Zwei von den Ge¬ schützen hörten auf zu schießen, sie waren irgendwie beschädigt, und ein Ar- tilleriegeneräl ritt heran. Ich sehe ihn noch jetzt, ein sehr stattlicher Mann mit ernsten Zügen und dunkelm Bart, die Brust mit Medaillen bedeckt. Er schien sehr zornig, daß die Kanonen aufhörten. „Wer commandirt diese Batterie?" rief er. „Ich, Sir Henry," fagte ein Offizier, den ich bisher nicht bemerkt, vor¬ reitend. Die Gruppe ist mir noch jetzt vor Augen, wie sie sich klar von dem raucherfüllten Hintergrunde abhob. Sir Henry aufrecht auf seinem prächtigen Streitroß, sein blitzendes Auge, sein linker Arm wie um etwas zu bekräftigen was er sagen wollte, nach dem Feinde hinzeigend, der junge Offizier, der sein Pferd dicht neben ihn gelenkt und ihn mit Erhebung feiner rechten Hand an seine Mützenblende grüßte. Dieß einen Augenblick, dann ein dumpfer Laut, und Rosse und Reiter lagen am Boden. Eine Vollkugel hatte alle vier an der Sattellinie getroffen. Einige der Artilleristen liefen herzu, um zu helfen, aber keiner der Offiziere hätte viele Minuten leben bleiben können. Sie waren nicht die ersten, die ich sterben sah. Etwas eher, fast un¬ mittelbar, nachdem der Feind sein Artilleriefeuer eröffnet hatte, hörte ich, als wir so dalagen, etwas wie Anschlagen von Stahl an Stahl und in selben Augenblick sank Dick Wale, der neben mir die Elbogen aufgestemmt lag, vorwärts auf sein Angesicht. Ich sah mich um. Eine mit hoher Ele- vation abgefeuerte Kanonenkugel war ihm über den Kopf gegangen und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/424
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/424>, abgerufen am 01.01.2025.