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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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war die Schlucht, der Boden bei dem Aufeinandertreffen der Eisenbahnen und
der Straßen bildete unmittelbar vor der Schlucht ein kleines Thal, welches,
wie bereits bemerkt, mit Gebäuden und Bäumen bedeckt war. Dieß war der
Schlüssel zur Stellung; denn obwohl es nicht zu halten war, wenn wir die
dasselbe beherrschende Hügelkette inne hatten, konnte der Feind, wenn er die¬
sen Punkt nahm und durch die Schlucht vordrang, unsere Linie in zwei Hälf¬
ten zerschneiden. Aber ihr dürft nicht denken, daß ich damals das Terrain
mit solchen kritischen Augen betrachtete. In der That mußte jedermann über
die natürlichen Vortheile unserer Position erstaunt sein, aber nach meiner Erin¬
nerung machte den meisten Eindruck auf mich die friedliche Schönheit der
Scene, die kleine Stadt mit den im blauen Nebel der Ferne verschwindenden
Umrissen ihrer Häuser, der frische mächtige Baumschlag des Waldes, die
Umrisse der großen Bäume, beleuchtet von der Sonne und gehoben von tief¬
blauen Schatten. So dicht war das Gehölz hier, das die südlichen Thal¬
hänge heraufstieg, daß es fast wie ein Urwald aussah. Die Ruhe der Ge¬
gend machte um so mehr Eindruck, als es in der Seele mit den Sehnen con-
trastirte, die wir erwarteten, und ich kann mich, wie wenn es gestern gewesen wäre,
des Gefühls bittern Bedauerns erinnern, daß es jetzt zu spät war, diese Ent¬
weihung unseres Vaterlandes abzuwenden, welcher man so leicht hätte zuvor¬
kommen können. Ein wenig Festigkeit, ein wenig Voraussicht auf Seiten
unserer Staatslenker, selbst ein wenig gesunder Menschenverstand, und dieses
große Unglück würde ganz unmöglich gewesen sein. Aber ach! zu spät!
Wir waren wie die thörichten Jungfrauen im Gleichniß.

Aber ihr müßt nicht denken, daß die Scene unmittelbar um uns düster
war. Das Lager war munter und rührig genug. Wir hatten unsre Müdig¬
keit überwunden, unser Magen war gefüllt, wir empfanden eine natürliche
Begeisterung bei der Aussicht, nun bald wirklich als Vaterlandsvertheidiger
eine Rolle zu spielen, und wir wurden gestärkt durch den Anblick der be¬
deutenden Streitmacht, die jetzt versammelt war. An den Abhängen unsrer
Hügelkette kamen in unserm Rücken Truppen heraufmarschirt, Freiwillige,
Miliz, Reiterei, Kanonen. Sie waren, wie ich hörte, von Norden her in
der vorhergehenden Nacht bis Leatherhead gekommen und bei Tagesanbruch
hierhermarschirt. Lange Eisenbahnzüge mit Freiwilligen und Miliz kamen
durch die Schlucht an und schickten ihre Insassen rechts und links die Hügel¬
kette hinauf, wo sie meist auf den Abhängen vor und hinter uns Stellung
nahmen. Wir bildeten jetzt einen Theil eines aus drei Divisionen bestehenden
Armeecorps, aber aus was für Regimentern die andern beiden Divisionen
bestanden, habe ich niemals gehört. Diese ganze Bewegung konnten wir
von unserm Standorte deutlich sehen; denn wir hatten unser Frühstück rasch
eingenommen, indem wir jede Minute den Beginn der Schlacht erwarteten,


war die Schlucht, der Boden bei dem Aufeinandertreffen der Eisenbahnen und
der Straßen bildete unmittelbar vor der Schlucht ein kleines Thal, welches,
wie bereits bemerkt, mit Gebäuden und Bäumen bedeckt war. Dieß war der
Schlüssel zur Stellung; denn obwohl es nicht zu halten war, wenn wir die
dasselbe beherrschende Hügelkette inne hatten, konnte der Feind, wenn er die¬
sen Punkt nahm und durch die Schlucht vordrang, unsere Linie in zwei Hälf¬
ten zerschneiden. Aber ihr dürft nicht denken, daß ich damals das Terrain
mit solchen kritischen Augen betrachtete. In der That mußte jedermann über
die natürlichen Vortheile unserer Position erstaunt sein, aber nach meiner Erin¬
nerung machte den meisten Eindruck auf mich die friedliche Schönheit der
Scene, die kleine Stadt mit den im blauen Nebel der Ferne verschwindenden
Umrissen ihrer Häuser, der frische mächtige Baumschlag des Waldes, die
Umrisse der großen Bäume, beleuchtet von der Sonne und gehoben von tief¬
blauen Schatten. So dicht war das Gehölz hier, das die südlichen Thal¬
hänge heraufstieg, daß es fast wie ein Urwald aussah. Die Ruhe der Ge¬
gend machte um so mehr Eindruck, als es in der Seele mit den Sehnen con-
trastirte, die wir erwarteten, und ich kann mich, wie wenn es gestern gewesen wäre,
des Gefühls bittern Bedauerns erinnern, daß es jetzt zu spät war, diese Ent¬
weihung unseres Vaterlandes abzuwenden, welcher man so leicht hätte zuvor¬
kommen können. Ein wenig Festigkeit, ein wenig Voraussicht auf Seiten
unserer Staatslenker, selbst ein wenig gesunder Menschenverstand, und dieses
große Unglück würde ganz unmöglich gewesen sein. Aber ach! zu spät!
Wir waren wie die thörichten Jungfrauen im Gleichniß.

Aber ihr müßt nicht denken, daß die Scene unmittelbar um uns düster
war. Das Lager war munter und rührig genug. Wir hatten unsre Müdig¬
keit überwunden, unser Magen war gefüllt, wir empfanden eine natürliche
Begeisterung bei der Aussicht, nun bald wirklich als Vaterlandsvertheidiger
eine Rolle zu spielen, und wir wurden gestärkt durch den Anblick der be¬
deutenden Streitmacht, die jetzt versammelt war. An den Abhängen unsrer
Hügelkette kamen in unserm Rücken Truppen heraufmarschirt, Freiwillige,
Miliz, Reiterei, Kanonen. Sie waren, wie ich hörte, von Norden her in
der vorhergehenden Nacht bis Leatherhead gekommen und bei Tagesanbruch
hierhermarschirt. Lange Eisenbahnzüge mit Freiwilligen und Miliz kamen
durch die Schlucht an und schickten ihre Insassen rechts und links die Hügel¬
kette hinauf, wo sie meist auf den Abhängen vor und hinter uns Stellung
nahmen. Wir bildeten jetzt einen Theil eines aus drei Divisionen bestehenden
Armeecorps, aber aus was für Regimentern die andern beiden Divisionen
bestanden, habe ich niemals gehört. Diese ganze Bewegung konnten wir
von unserm Standorte deutlich sehen; denn wir hatten unser Frühstück rasch
eingenommen, indem wir jede Minute den Beginn der Schlacht erwarteten,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/406>, abgerufen am 29.09.2024.