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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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schoben. In seinem Aerger rief er uns zu, wir sollten uns doch gebührend
benehmen, wie Soldaten und nicht wie ein Hausen Bauernlümmel. "O hol's
der Teufel, Alterchen," sagte da Dick Wale, "Sie wollen doch nicht
zwischen einen armen Kerl und fein Futter hineinfahren." Wale war Advocat
und, wie wir damals sagten, ein vorlauter junger Vogel, obwohl ein gut¬
herziges Kerlchen. Ueber diese Rede, der von denen neben ihm ein paar Be¬
merkungen derselben Sorte folgten, wurde der Stabsofficier noch ärgerlicher.
"Ordonnanz," rief er, "bringen Sie mir den Burschen mal zum Profoß. Und
was Sie betrifft, mein Herr," sagteer, zum Obersten gewendet, der schweigend
vor Staunen auf seinem Pferde saß, "wenn Sie nicht etliche Ihrer Leute vor
der Zeit todtgeschossen sehen wollen, so thäten Sie und Ihre kostbaren Offi-
ciere besser, dieses Pack besser in Ordnung zu erhalten." Der arme Dick, der
den Kopf sehr hängen ließ, würde sicherlich an den Schwanz des Pferdes des
Sergeanten gebunden abgeführt worden sein, wenn der Brigadier nicht her¬
beigekommen und die Sache beigelegt hätte, worauf er uns nach der Höhe
über der Stadt abmarschiren ließ.

Dieser Vorfall ärgerte und entmuthigte uns. Wir waren böse, daß man
uns fo rauh anfuhr, zugleich aber fühlten wir, daß wir's verdient hatten, und
schämten uns unsrer üblen Aufführung. Dann aber hatten wir auch an Ver¬
trauen zu unserm Obersten verloren nach der traurigen Rolle, die er bei der
Sache gespielt. Er war ein guter Mensch, der Oberst, und zeigte sich am
nächsten Tage auch als ein tapferer, aber es lag ihm zu viel daran, beliebt
zu sein und er verstand sich nicht im Geringsten auf's Befehlen.

Wir hatten kaum die Höhe über der Stadt, wo unser Bivouac für die
Nacht sein sollte, erreicht, als die willkommene Nachricht eintraf, daß ein Zug
mit Proviant auf der Station angekommen sei. Aber es gab keine Karren,
die Sachen herauszubringen. So mußte eine Anzahl von uns hinunter, und
sie brachten uns auf den Armen Brote, ein Fäßchen Rum, Packete mit Thee
und Stücken Fleisch, reichlich für Alle. Aber nun hatte wieder das ganze
Regiment weder einen Kessel noch einen Kochtopf, und wir konnten doch das
Fleisch nicht roh essen. Oberst und Officiere waren nicht besser daran. Sie
hatten einen regelrechten Officierstisch arrangirt mit Geschirr, Castellan und allem
sonstigem Zubehör, aber das Etablissement ließ sich nie sehen, und was daraus
geworden, wußte niemand. Einige von uns wurden in die Stadt zurück ge¬
schickt, um zu sehen, was sich von Kochgeräth auftreiben ließe.

Wir fanden die Straße voll Artillerie, Gepäckwagen und berittne Offi¬
ciere und voll Freiwillige, die gleich uns einkaufen wollten, und alle Häuser
schienen mit Truppen belegt zu sein. Es gelang uns, ein paar Kessel und
Bratpfannen zu bekommen, und ich verschaffte mir eine Ledertasche zum Um¬
hängen, die sich später sehr härtlich erwies, und so beladen kehrten wir mit


schoben. In seinem Aerger rief er uns zu, wir sollten uns doch gebührend
benehmen, wie Soldaten und nicht wie ein Hausen Bauernlümmel. „O hol's
der Teufel, Alterchen," sagte da Dick Wale, „Sie wollen doch nicht
zwischen einen armen Kerl und fein Futter hineinfahren." Wale war Advocat
und, wie wir damals sagten, ein vorlauter junger Vogel, obwohl ein gut¬
herziges Kerlchen. Ueber diese Rede, der von denen neben ihm ein paar Be¬
merkungen derselben Sorte folgten, wurde der Stabsofficier noch ärgerlicher.
„Ordonnanz," rief er, „bringen Sie mir den Burschen mal zum Profoß. Und
was Sie betrifft, mein Herr," sagteer, zum Obersten gewendet, der schweigend
vor Staunen auf seinem Pferde saß, „wenn Sie nicht etliche Ihrer Leute vor
der Zeit todtgeschossen sehen wollen, so thäten Sie und Ihre kostbaren Offi-
ciere besser, dieses Pack besser in Ordnung zu erhalten." Der arme Dick, der
den Kopf sehr hängen ließ, würde sicherlich an den Schwanz des Pferdes des
Sergeanten gebunden abgeführt worden sein, wenn der Brigadier nicht her¬
beigekommen und die Sache beigelegt hätte, worauf er uns nach der Höhe
über der Stadt abmarschiren ließ.

Dieser Vorfall ärgerte und entmuthigte uns. Wir waren böse, daß man
uns fo rauh anfuhr, zugleich aber fühlten wir, daß wir's verdient hatten, und
schämten uns unsrer üblen Aufführung. Dann aber hatten wir auch an Ver¬
trauen zu unserm Obersten verloren nach der traurigen Rolle, die er bei der
Sache gespielt. Er war ein guter Mensch, der Oberst, und zeigte sich am
nächsten Tage auch als ein tapferer, aber es lag ihm zu viel daran, beliebt
zu sein und er verstand sich nicht im Geringsten auf's Befehlen.

Wir hatten kaum die Höhe über der Stadt, wo unser Bivouac für die
Nacht sein sollte, erreicht, als die willkommene Nachricht eintraf, daß ein Zug
mit Proviant auf der Station angekommen sei. Aber es gab keine Karren,
die Sachen herauszubringen. So mußte eine Anzahl von uns hinunter, und
sie brachten uns auf den Armen Brote, ein Fäßchen Rum, Packete mit Thee
und Stücken Fleisch, reichlich für Alle. Aber nun hatte wieder das ganze
Regiment weder einen Kessel noch einen Kochtopf, und wir konnten doch das
Fleisch nicht roh essen. Oberst und Officiere waren nicht besser daran. Sie
hatten einen regelrechten Officierstisch arrangirt mit Geschirr, Castellan und allem
sonstigem Zubehör, aber das Etablissement ließ sich nie sehen, und was daraus
geworden, wußte niemand. Einige von uns wurden in die Stadt zurück ge¬
schickt, um zu sehen, was sich von Kochgeräth auftreiben ließe.

Wir fanden die Straße voll Artillerie, Gepäckwagen und berittne Offi¬
ciere und voll Freiwillige, die gleich uns einkaufen wollten, und alle Häuser
schienen mit Truppen belegt zu sein. Es gelang uns, ein paar Kessel und
Bratpfannen zu bekommen, und ich verschaffte mir eine Ledertasche zum Um¬
hängen, die sich später sehr härtlich erwies, und so beladen kehrten wir mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/403>, abgerufen am 29.09.2024.