Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

nach dem Osten gesandt werden sollten. So stellten wir unsere Gewehre in
Pyramiden auf und zerstreuten uns, um Essen und Trinken zu suchen, wel¬
ches letztere mehrere von uns vorzüglich nöthig hatten, da sie von der Hitze
und dem Gedränge sehr angegriffen waren. Ich trat eben mit Travers in
eine Wirthschaft ein, als plötzlich seine niedliche Frau angefahren kam. Die
meisten von unseren Freunden hatten in Surbiton Abschied genommen, aber
sie war in seinem Brougham auf der Landstraße herankutschirt und hatte
ihren kleinen Jungen mitgebracht, um ihn seinen Papa zum letzten Mal
sehen zu lassen. Sie hatte auch seinen Tornister und Mantel mitgebracht
und was noch annehmbarer war, einen Korb mit Geflügel, Zunge, Butter¬
brod und Zwieback und ein paar Flaschen Rothwein, welche kostbaren Luxus¬
artikel ich durchaus mit ihnen theilen mußte.

Inzwischen vergingen die Stunden. Das 4. Surrey-Miliz-Regiment,
welches den ganzen Weg von Kingston zu Fuße zurückgelegt hatte, war
herbeigekommen, deßgleichen die andern Freiwilligen-Corps. Der Bahnhof
war theilweise von den Vorräthen geräumt worden, welche ihn ungangbar
machten. Etwas Artillerie, zwei Milizregimenter und ein Bataillon Linie
waren abgefahren, und es war an uns die Reihe gekommen, und lange
Wagenzüge waren für uns bereit, aber noch immer blieben wir in der Straße.
Ihr könnt euch das Schauspiel vorstellen. Es schienen da so viele Leute zu
sein wie irgendwo in London, und wir konnten uns vor den Zuschauermassen
kaum bergen. Burschen, die mit Obst und Bequemlichkeiten für Freiwillige
handelten, Zeitungsjungen und so fort trieben sich herum, nicht zu gedenken
der Droschken und Omnibus, während Ordonnanzen und Adjutanten fort¬
während mit Botschaften herbeigeritten kamen. Viele von den Milizen und
ebenso einige von unsern Leuten hatten mehr als genügt an Getränk zu sich
genommen, vielleicht hatte die heiße Sonne auf einen leeren Magen gewirkt,
gleichviel, sie wurden sehr laut. Das Getöse, der Schmutz und die Hitze
waren unbeschreiblich. So zog sich der Abend langsam hin, und alles, was
unsere Officiere von dem Brigadier, der unter einem andern General zu stehen
schien, von Auskunft erhalten konnten, war, daß Befehle gekommen, nach
denen wir für's Erste stehn bleiben sollten. Allmählig wurde die Straße
ruhiger und kühler. Der Brigadier, welcher, um ein Beispiel zu geben,
mehrere Stunden den Sattel nicht verlassen hatte, holte sich einen Stuhl aus
einem Laden und nickte in demselben ein. Die meisten der Leute legten oder
setzten sich auf das Pflaster, einige schliefen, andere rauchten. Vergebens hatte
Travers seine Frau gebeten, heimzugehen. Sie erklärte, nachdem sie soweit
gekommen, werde sie bleiben und zwar bis zum letzten Augenblick. Der
Brougham war nach einer Nebenstraße weggeschickt worden, da er die Straße
versperrte, so setzte er sich auf eine Thürstufe, sie neben ihn auf seinen Tor-


nach dem Osten gesandt werden sollten. So stellten wir unsere Gewehre in
Pyramiden auf und zerstreuten uns, um Essen und Trinken zu suchen, wel¬
ches letztere mehrere von uns vorzüglich nöthig hatten, da sie von der Hitze
und dem Gedränge sehr angegriffen waren. Ich trat eben mit Travers in
eine Wirthschaft ein, als plötzlich seine niedliche Frau angefahren kam. Die
meisten von unseren Freunden hatten in Surbiton Abschied genommen, aber
sie war in seinem Brougham auf der Landstraße herankutschirt und hatte
ihren kleinen Jungen mitgebracht, um ihn seinen Papa zum letzten Mal
sehen zu lassen. Sie hatte auch seinen Tornister und Mantel mitgebracht
und was noch annehmbarer war, einen Korb mit Geflügel, Zunge, Butter¬
brod und Zwieback und ein paar Flaschen Rothwein, welche kostbaren Luxus¬
artikel ich durchaus mit ihnen theilen mußte.

Inzwischen vergingen die Stunden. Das 4. Surrey-Miliz-Regiment,
welches den ganzen Weg von Kingston zu Fuße zurückgelegt hatte, war
herbeigekommen, deßgleichen die andern Freiwilligen-Corps. Der Bahnhof
war theilweise von den Vorräthen geräumt worden, welche ihn ungangbar
machten. Etwas Artillerie, zwei Milizregimenter und ein Bataillon Linie
waren abgefahren, und es war an uns die Reihe gekommen, und lange
Wagenzüge waren für uns bereit, aber noch immer blieben wir in der Straße.
Ihr könnt euch das Schauspiel vorstellen. Es schienen da so viele Leute zu
sein wie irgendwo in London, und wir konnten uns vor den Zuschauermassen
kaum bergen. Burschen, die mit Obst und Bequemlichkeiten für Freiwillige
handelten, Zeitungsjungen und so fort trieben sich herum, nicht zu gedenken
der Droschken und Omnibus, während Ordonnanzen und Adjutanten fort¬
während mit Botschaften herbeigeritten kamen. Viele von den Milizen und
ebenso einige von unsern Leuten hatten mehr als genügt an Getränk zu sich
genommen, vielleicht hatte die heiße Sonne auf einen leeren Magen gewirkt,
gleichviel, sie wurden sehr laut. Das Getöse, der Schmutz und die Hitze
waren unbeschreiblich. So zog sich der Abend langsam hin, und alles, was
unsere Officiere von dem Brigadier, der unter einem andern General zu stehen
schien, von Auskunft erhalten konnten, war, daß Befehle gekommen, nach
denen wir für's Erste stehn bleiben sollten. Allmählig wurde die Straße
ruhiger und kühler. Der Brigadier, welcher, um ein Beispiel zu geben,
mehrere Stunden den Sattel nicht verlassen hatte, holte sich einen Stuhl aus
einem Laden und nickte in demselben ein. Die meisten der Leute legten oder
setzten sich auf das Pflaster, einige schliefen, andere rauchten. Vergebens hatte
Travers seine Frau gebeten, heimzugehen. Sie erklärte, nachdem sie soweit
gekommen, werde sie bleiben und zwar bis zum letzten Augenblick. Der
Brougham war nach einer Nebenstraße weggeschickt worden, da er die Straße
versperrte, so setzte er sich auf eine Thürstufe, sie neben ihn auf seinen Tor-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0398" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126180"/>
          <p xml:id="ID_1237" prev="#ID_1236"> nach dem Osten gesandt werden sollten. So stellten wir unsere Gewehre in<lb/>
Pyramiden auf und zerstreuten uns, um Essen und Trinken zu suchen, wel¬<lb/>
ches letztere mehrere von uns vorzüglich nöthig hatten, da sie von der Hitze<lb/>
und dem Gedränge sehr angegriffen waren. Ich trat eben mit Travers in<lb/>
eine Wirthschaft ein, als plötzlich seine niedliche Frau angefahren kam. Die<lb/>
meisten von unseren Freunden hatten in Surbiton Abschied genommen, aber<lb/>
sie war in seinem Brougham auf der Landstraße herankutschirt und hatte<lb/>
ihren kleinen Jungen mitgebracht, um ihn seinen Papa zum letzten Mal<lb/>
sehen zu lassen. Sie hatte auch seinen Tornister und Mantel mitgebracht<lb/>
und was noch annehmbarer war, einen Korb mit Geflügel, Zunge, Butter¬<lb/>
brod und Zwieback und ein paar Flaschen Rothwein, welche kostbaren Luxus¬<lb/>
artikel ich durchaus mit ihnen theilen mußte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1238" next="#ID_1239"> Inzwischen vergingen die Stunden. Das 4. Surrey-Miliz-Regiment,<lb/>
welches den ganzen Weg von Kingston zu Fuße zurückgelegt hatte, war<lb/>
herbeigekommen, deßgleichen die andern Freiwilligen-Corps. Der Bahnhof<lb/>
war theilweise von den Vorräthen geräumt worden, welche ihn ungangbar<lb/>
machten. Etwas Artillerie, zwei Milizregimenter und ein Bataillon Linie<lb/>
waren abgefahren, und es war an uns die Reihe gekommen, und lange<lb/>
Wagenzüge waren für uns bereit, aber noch immer blieben wir in der Straße.<lb/>
Ihr könnt euch das Schauspiel vorstellen. Es schienen da so viele Leute zu<lb/>
sein wie irgendwo in London, und wir konnten uns vor den Zuschauermassen<lb/>
kaum bergen. Burschen, die mit Obst und Bequemlichkeiten für Freiwillige<lb/>
handelten, Zeitungsjungen und so fort trieben sich herum, nicht zu gedenken<lb/>
der Droschken und Omnibus, während Ordonnanzen und Adjutanten fort¬<lb/>
während mit Botschaften herbeigeritten kamen. Viele von den Milizen und<lb/>
ebenso einige von unsern Leuten hatten mehr als genügt an Getränk zu sich<lb/>
genommen, vielleicht hatte die heiße Sonne auf einen leeren Magen gewirkt,<lb/>
gleichviel, sie wurden sehr laut. Das Getöse, der Schmutz und die Hitze<lb/>
waren unbeschreiblich. So zog sich der Abend langsam hin, und alles, was<lb/>
unsere Officiere von dem Brigadier, der unter einem andern General zu stehen<lb/>
schien, von Auskunft erhalten konnten, war, daß Befehle gekommen, nach<lb/>
denen wir für's Erste stehn bleiben sollten. Allmählig wurde die Straße<lb/>
ruhiger und kühler. Der Brigadier, welcher, um ein Beispiel zu geben,<lb/>
mehrere Stunden den Sattel nicht verlassen hatte, holte sich einen Stuhl aus<lb/>
einem Laden und nickte in demselben ein. Die meisten der Leute legten oder<lb/>
setzten sich auf das Pflaster, einige schliefen, andere rauchten. Vergebens hatte<lb/>
Travers seine Frau gebeten, heimzugehen. Sie erklärte, nachdem sie soweit<lb/>
gekommen, werde sie bleiben und zwar bis zum letzten Augenblick. Der<lb/>
Brougham war nach einer Nebenstraße weggeschickt worden, da er die Straße<lb/>
versperrte, so setzte er sich auf eine Thürstufe, sie neben ihn auf seinen Tor-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0398] nach dem Osten gesandt werden sollten. So stellten wir unsere Gewehre in Pyramiden auf und zerstreuten uns, um Essen und Trinken zu suchen, wel¬ ches letztere mehrere von uns vorzüglich nöthig hatten, da sie von der Hitze und dem Gedränge sehr angegriffen waren. Ich trat eben mit Travers in eine Wirthschaft ein, als plötzlich seine niedliche Frau angefahren kam. Die meisten von unseren Freunden hatten in Surbiton Abschied genommen, aber sie war in seinem Brougham auf der Landstraße herankutschirt und hatte ihren kleinen Jungen mitgebracht, um ihn seinen Papa zum letzten Mal sehen zu lassen. Sie hatte auch seinen Tornister und Mantel mitgebracht und was noch annehmbarer war, einen Korb mit Geflügel, Zunge, Butter¬ brod und Zwieback und ein paar Flaschen Rothwein, welche kostbaren Luxus¬ artikel ich durchaus mit ihnen theilen mußte. Inzwischen vergingen die Stunden. Das 4. Surrey-Miliz-Regiment, welches den ganzen Weg von Kingston zu Fuße zurückgelegt hatte, war herbeigekommen, deßgleichen die andern Freiwilligen-Corps. Der Bahnhof war theilweise von den Vorräthen geräumt worden, welche ihn ungangbar machten. Etwas Artillerie, zwei Milizregimenter und ein Bataillon Linie waren abgefahren, und es war an uns die Reihe gekommen, und lange Wagenzüge waren für uns bereit, aber noch immer blieben wir in der Straße. Ihr könnt euch das Schauspiel vorstellen. Es schienen da so viele Leute zu sein wie irgendwo in London, und wir konnten uns vor den Zuschauermassen kaum bergen. Burschen, die mit Obst und Bequemlichkeiten für Freiwillige handelten, Zeitungsjungen und so fort trieben sich herum, nicht zu gedenken der Droschken und Omnibus, während Ordonnanzen und Adjutanten fort¬ während mit Botschaften herbeigeritten kamen. Viele von den Milizen und ebenso einige von unsern Leuten hatten mehr als genügt an Getränk zu sich genommen, vielleicht hatte die heiße Sonne auf einen leeren Magen gewirkt, gleichviel, sie wurden sehr laut. Das Getöse, der Schmutz und die Hitze waren unbeschreiblich. So zog sich der Abend langsam hin, und alles, was unsere Officiere von dem Brigadier, der unter einem andern General zu stehen schien, von Auskunft erhalten konnten, war, daß Befehle gekommen, nach denen wir für's Erste stehn bleiben sollten. Allmählig wurde die Straße ruhiger und kühler. Der Brigadier, welcher, um ein Beispiel zu geben, mehrere Stunden den Sattel nicht verlassen hatte, holte sich einen Stuhl aus einem Laden und nickte in demselben ein. Die meisten der Leute legten oder setzten sich auf das Pflaster, einige schliefen, andere rauchten. Vergebens hatte Travers seine Frau gebeten, heimzugehen. Sie erklärte, nachdem sie soweit gekommen, werde sie bleiben und zwar bis zum letzten Augenblick. Der Brougham war nach einer Nebenstraße weggeschickt worden, da er die Straße versperrte, so setzte er sich auf eine Thürstufe, sie neben ihn auf seinen Tor-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/398
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/398>, abgerufen am 29.09.2024.