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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Boten mich verfolge, und lief dann so rasch ich konnte auf die Westminster
Brücke zu und so nach dem Waterloo-Bahnhof.

Der Ort hatte seit dem Morgen sein Aussehen gänzlich verändert. Der
regelmäßige Dienst der Züge war eingestellt, und der Bahnhof sammt seinen
Zugängen war voll Truppen, darunter die Garden und Artillerie. Alles
war feldmäßig, die Mannschaften hatten die Waffen in Pyramiden zusammen¬
gestellt und standen in Gruppen herum. Jedermanns Gesicht spiegelte das
Bedauern wieder, daß wir die uns gegebenen Warnungen vernachlässigt, und
daß jetzt die so lange als unmöglich und abgeschmackt verlachte Gefahr wirk¬
lich gekommen und uns unvorbereitet getroffen. Aber die Soldaten sahen
zwar ernst, aber entschlossen aus wie Leute, welche ihre Pflicht zu thun ge¬
dachten, komme, was wolle. Ein Zug mit Garde fuhr eben nach Guildford
ab. Ich hörte, daß er in Surbiton halten würde und fand mit andern
gleich mir unserm Regiment melkenden Freiwilligen einen Platz darin. Wir
kamen keinen Augenblick zu früh an; denn das Regiment marschirte eben
von Kingston nach dem Bahnhofe hinab. Unsere Brigade war nach der
Ostküste bestimmt. Leere Wagen waren seitwärts aufgestellt, und unser Re¬
giment sollte zuerst abfahren. Eine Menge Leute hatten sich versammelt, um
es abgehen zu sehen, darunter die Recruten, die in den letzten beiden Wochen
zu uns gestoßen, und welche bei Weitem den größten Theil unserer Stärke
bildeten. Sie sollten zurückbleiben und waren allerdings schon jetzt sehr im
Wege; denn da alle Officiere und Sergeanten zu dem activen Theil gehörten,
so war niemand da, um unter ihnen die Disciplin aufrecht zu erhalten, und
sie drängten sich um uns, brachen durch die Glieder und erschwerten das
Einsteigen. Hier sah ich unsern neuen Brigadier zum ersten Mal, Er hatte
ein soldatisches Aeußere und kannte ohne Zweifel seine Pflicht, aber er schien
ein Neuling in Bezug auf Freiwillige zu sein und nicht zu wissen, wie er
sich den Herren Gemeinen gegenüber stellen sollte. Ich wäre sehr gern nach
Hause gelaufen, um mir den Mantel und Tornister zu holen, die ich mir
ein paar Tage vorher gekauft hatte, fürchtete jedoch, zurückgelassen zu werden.
Ein gutherziger Recrut bot sich an, sie mir zu holen, aber er kehrte erst
wieder, als wir abgefahren waren, und ich begann die Campagne mit einer
Ausrüstung, die aus einem Macintosh und einem kleinen Tabaksbeutel bestand.

Wir saßen im Zuge fürchterlich zusammengequetscht. Denn außer den
zehn Mann, welche saßen, standen in jedem Coupe noch drei oder vier, und
der Nachmittag war schwül, und es wurde auf dem Wege so oft angehalten,
daß es fast anderthalb Stunden dauerte, bis wir nach Waterloo hingeschneckt
waren. Es war zwischen fünf und sechs Uhr Abends, als wir dort ein¬
trafen, und es war fast sieben, als wir nach dem Shoreditch-Bahnhofe mar-
schirren. Der ganze Platz war angefüllt mit Vorräthen und Munition, die


Boten mich verfolge, und lief dann so rasch ich konnte auf die Westminster
Brücke zu und so nach dem Waterloo-Bahnhof.

Der Ort hatte seit dem Morgen sein Aussehen gänzlich verändert. Der
regelmäßige Dienst der Züge war eingestellt, und der Bahnhof sammt seinen
Zugängen war voll Truppen, darunter die Garden und Artillerie. Alles
war feldmäßig, die Mannschaften hatten die Waffen in Pyramiden zusammen¬
gestellt und standen in Gruppen herum. Jedermanns Gesicht spiegelte das
Bedauern wieder, daß wir die uns gegebenen Warnungen vernachlässigt, und
daß jetzt die so lange als unmöglich und abgeschmackt verlachte Gefahr wirk¬
lich gekommen und uns unvorbereitet getroffen. Aber die Soldaten sahen
zwar ernst, aber entschlossen aus wie Leute, welche ihre Pflicht zu thun ge¬
dachten, komme, was wolle. Ein Zug mit Garde fuhr eben nach Guildford
ab. Ich hörte, daß er in Surbiton halten würde und fand mit andern
gleich mir unserm Regiment melkenden Freiwilligen einen Platz darin. Wir
kamen keinen Augenblick zu früh an; denn das Regiment marschirte eben
von Kingston nach dem Bahnhofe hinab. Unsere Brigade war nach der
Ostküste bestimmt. Leere Wagen waren seitwärts aufgestellt, und unser Re¬
giment sollte zuerst abfahren. Eine Menge Leute hatten sich versammelt, um
es abgehen zu sehen, darunter die Recruten, die in den letzten beiden Wochen
zu uns gestoßen, und welche bei Weitem den größten Theil unserer Stärke
bildeten. Sie sollten zurückbleiben und waren allerdings schon jetzt sehr im
Wege; denn da alle Officiere und Sergeanten zu dem activen Theil gehörten,
so war niemand da, um unter ihnen die Disciplin aufrecht zu erhalten, und
sie drängten sich um uns, brachen durch die Glieder und erschwerten das
Einsteigen. Hier sah ich unsern neuen Brigadier zum ersten Mal, Er hatte
ein soldatisches Aeußere und kannte ohne Zweifel seine Pflicht, aber er schien
ein Neuling in Bezug auf Freiwillige zu sein und nicht zu wissen, wie er
sich den Herren Gemeinen gegenüber stellen sollte. Ich wäre sehr gern nach
Hause gelaufen, um mir den Mantel und Tornister zu holen, die ich mir
ein paar Tage vorher gekauft hatte, fürchtete jedoch, zurückgelassen zu werden.
Ein gutherziger Recrut bot sich an, sie mir zu holen, aber er kehrte erst
wieder, als wir abgefahren waren, und ich begann die Campagne mit einer
Ausrüstung, die aus einem Macintosh und einem kleinen Tabaksbeutel bestand.

Wir saßen im Zuge fürchterlich zusammengequetscht. Denn außer den
zehn Mann, welche saßen, standen in jedem Coupe noch drei oder vier, und
der Nachmittag war schwül, und es wurde auf dem Wege so oft angehalten,
daß es fast anderthalb Stunden dauerte, bis wir nach Waterloo hingeschneckt
waren. Es war zwischen fünf und sechs Uhr Abends, als wir dort ein¬
trafen, und es war fast sieben, als wir nach dem Shoreditch-Bahnhofe mar-
schirren. Der ganze Platz war angefüllt mit Vorräthen und Munition, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/397>, abgerufen am 29.09.2024.