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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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mitnahm. Als ich nach Waterloo kam, waren allerhand Gerüchte im Gange.
Eine Flotte war vor den Downs gesehen worden, und die Depeschenboote,
die sich vor den Küsten herumtrieben, brachten die Nachricht, daß ein starkes
Geschwader vor Harwich liege, aber vom Ufer war nichts zu sehen, da dicke
Luft war. Die leichten Schiffe des Feindes hatten alle Fischerboote, deren
sie habhaft werden konnten, weggenommen und versenkt, um zu verhindern,
daß Mittheilungen über ihren Standort uns erreichten. Aber einige
entwischten in der Nacht und meldeten, daß die Fregatte Jnconstant aus der
Heimkehr von Nordamerika ohne Kunde von dem, was geschehen, mitten in
die feindliche Flotte hineingesegelt und genommen worden sei. In der Stadt
machten die Truppen sich alle zu einer Bewegung fertig. Die Garden in der
Wellington-Caserne standen unter den Waffen und ihre Baggagewagen waren
beladen in dem Bird-Cage-Wall aufgefahren. Die Schildwache beim Kriegs¬
ministerium war weggezogen, und Ordonnanzen und Stabsoffiziere gingen
ein und aus. Alles dieß sah ich auf dem Wege nach meiner Kanzlei, wo ich
bis 12 Uhr drauflos arbeitete und dann, nach meinem ersten Frühstück hung¬
rig geworden, über Parliament-Street nach meinem Club ging, um einen
Morgenimbiß einzunehmen. Im Kaffeezimmer befanden sich ein halb Dutzend
Leute, von denen ich keinen kannte, aber nach ein paar Minuten trat Dan-
vers vom Schatzamte in fürchterlicher Hast ein. Von ihm erhielt ich das
erste Bißchen sichere Nachrichten, welches ich diesen Tag bekam. Der Feind
war mit großer Macht bei Harwich gelandet, und die hauptstädtischen Regi¬
menter hatten Befehl erhalten, dorthinzugehen und die in dieser Gegend be¬
reits gesammelten Truppen zu verstärken. Sein Regiment sollte um ein Uhr
Parade haben, und er war gekommen, um vor dem Aufbruch etwas zu essen.
Wir schlangen rasch ein paar Bissen hinunter und wollten eben den Club
verlassen, als ein Bote aus dem Schatzamt in das Vorzimmer rannte.

"Oh, Herr Danvers," sagte er, "ich komme, um Sie zu suchen. Der
Secretär sagt, daß alle Herren in der Kanzlei gebraucht werden, und daß
nicht ein einziger von Ihnen mit den Regimentern gehen darf."

"Der Teufel!" rief Danvers.

"Wissen Sie, ob dieser Befehl sich auf alle öffentlichen Beamten erstreckt?"
fragte ich.

"Ich weiß nicht," sagte der Mann, "aberich glaube, ja. Ich weiß, daß
Boten nach allen Clubs und Frühstückslocalen ausgegangen sind, um nach
den Herren zu sehen. Der Secretär sagt, es ist ganz unmöglich, daß auch
nur einer entbehrt werden kann gerade jetzt, so viel ist zu thun, es ist eben
Befehl gekommen, unsre Acten nach Birmingham zu schicken heute Abend."

Ich wartete nicht, um Danvers mein Beileid zu spenden, sondern warf
rasch einen Blick nach Whitehall hinauf, um zu sehen, ob einer von unseren


mitnahm. Als ich nach Waterloo kam, waren allerhand Gerüchte im Gange.
Eine Flotte war vor den Downs gesehen worden, und die Depeschenboote,
die sich vor den Küsten herumtrieben, brachten die Nachricht, daß ein starkes
Geschwader vor Harwich liege, aber vom Ufer war nichts zu sehen, da dicke
Luft war. Die leichten Schiffe des Feindes hatten alle Fischerboote, deren
sie habhaft werden konnten, weggenommen und versenkt, um zu verhindern,
daß Mittheilungen über ihren Standort uns erreichten. Aber einige
entwischten in der Nacht und meldeten, daß die Fregatte Jnconstant aus der
Heimkehr von Nordamerika ohne Kunde von dem, was geschehen, mitten in
die feindliche Flotte hineingesegelt und genommen worden sei. In der Stadt
machten die Truppen sich alle zu einer Bewegung fertig. Die Garden in der
Wellington-Caserne standen unter den Waffen und ihre Baggagewagen waren
beladen in dem Bird-Cage-Wall aufgefahren. Die Schildwache beim Kriegs¬
ministerium war weggezogen, und Ordonnanzen und Stabsoffiziere gingen
ein und aus. Alles dieß sah ich auf dem Wege nach meiner Kanzlei, wo ich
bis 12 Uhr drauflos arbeitete und dann, nach meinem ersten Frühstück hung¬
rig geworden, über Parliament-Street nach meinem Club ging, um einen
Morgenimbiß einzunehmen. Im Kaffeezimmer befanden sich ein halb Dutzend
Leute, von denen ich keinen kannte, aber nach ein paar Minuten trat Dan-
vers vom Schatzamte in fürchterlicher Hast ein. Von ihm erhielt ich das
erste Bißchen sichere Nachrichten, welches ich diesen Tag bekam. Der Feind
war mit großer Macht bei Harwich gelandet, und die hauptstädtischen Regi¬
menter hatten Befehl erhalten, dorthinzugehen und die in dieser Gegend be¬
reits gesammelten Truppen zu verstärken. Sein Regiment sollte um ein Uhr
Parade haben, und er war gekommen, um vor dem Aufbruch etwas zu essen.
Wir schlangen rasch ein paar Bissen hinunter und wollten eben den Club
verlassen, als ein Bote aus dem Schatzamt in das Vorzimmer rannte.

„Oh, Herr Danvers," sagte er, „ich komme, um Sie zu suchen. Der
Secretär sagt, daß alle Herren in der Kanzlei gebraucht werden, und daß
nicht ein einziger von Ihnen mit den Regimentern gehen darf."

„Der Teufel!" rief Danvers.

„Wissen Sie, ob dieser Befehl sich auf alle öffentlichen Beamten erstreckt?"
fragte ich.

„Ich weiß nicht," sagte der Mann, „aberich glaube, ja. Ich weiß, daß
Boten nach allen Clubs und Frühstückslocalen ausgegangen sind, um nach
den Herren zu sehen. Der Secretär sagt, es ist ganz unmöglich, daß auch
nur einer entbehrt werden kann gerade jetzt, so viel ist zu thun, es ist eben
Befehl gekommen, unsre Acten nach Birmingham zu schicken heute Abend."

Ich wartete nicht, um Danvers mein Beileid zu spenden, sondern warf
rasch einen Blick nach Whitehall hinauf, um zu sehen, ob einer von unseren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/396>, abgerufen am 29.09.2024.