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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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gegründet; und abgesehen von einem lose geknüpften förderativen Bande wur¬
den sie durch nichts zusammengehalten, als durch gemeinsame Schulden, durch
die Erinnerung schwerer Leiden und ihrer glorreichen Kämpfe und durch
einige hervorragende Staatsmänner.

Die letzteren glaubten, die junge Republik, die aus dem Krieg nichts
gerettet hatte, als das Dasein, die Freiheit und die Ehre, nicht besser kräfti¬
gen und in die Gemeinschaft der Staaten einführen zu können, als daß sie
die Hände ausstreckten nach Handels- und Freundschaftsbündnissen, welche vor
Allem die völkerrechtliche Anerkennung des Grundsatzes der Freiheit der
Meere in das Auge faßten. In Folge dessen beauftragte der Congreß durch
Beschluß vom 7. Mai 1784 drei zu diesem Zwecke ernannte Commissäre, die
Gesandten Adams, Franklin und Jefferson, mit den europäischen Staaten
Verträge in diesem Sinne abzuschließen. Die Instruction, welche der Con¬
greß seinen Gesandten gab, steht in directen Widerspruch mit der bisherigen
Handelspolitik der Seemächte England, Frankreich und Spanien. Sie be¬
kämpft das System der Handelsmonopole und stellt zuerst das Princip des
"Rechtes der meistbegünstigten Nationen" auf, das erst achtzig Jahre später
in den westeuropäischen Handelsverträgen zur vollen internationalen Aner¬
kennung gelangen sollte. Daneben verlangt sie freilich auch unmögliche
Dinge, wie z. B., daß die ausschließlich als "productiv" betrachteten Gesell¬
schaftsclassen, nämlich Handwerker, Bauern und Kaufleute von den Kriegser¬
eignissen überhaupt gar nicht berührt werden sollen u. dergl. in. Man kann
sich über die damals bei den Häuptern der amerikanischen Politik herrschende
Weltanschauung nicht besser unterrichten, als durch Kenntnißnahme einer
Denkschrift, welche Benjamin Franklin während der Unterhandlungen zwischen
Preußen und den Vereinigten Staaten ausarbeitete. Sie vereinigt den idea¬
listischen Standpunkt der französischen Enkyklopädisten mit der praktischen
Wahrung der realistischen Interessen der jungen transatlantischen Republik
in sehr charakteristischer Weise und lautet in ihren maßgebenden Stellen wie
folgt:

"Nach dem ursprünglichen Völkerrechte waren Krieg und Ausrottung die
Strafen für ein Unrecht. Es wurde aber allmälig immer menschlicher und
setzte die Sclaverei an die Stelle des Todes; es machte einen Schritt
weiter und tauschte die Gefangenen aus, statt sie zu Sclaven zu machen;
es ging noch weiter und erkannte in den eroberten Ländern das Privat¬
eigenthum an, indem es sich mit der politischen Herrschaft begnügte.
Warum sollte nun dieses Völkerrecht nicht fernerer Verbesserungen fähig sein?
Ganze Jahrhunderte hat es für jeden seiner Fortschritte gebraucht; da aber
in neuerer Zeit die Erkenntniß mächtig wächst, warum sollen die Fortschritte
nicht beschleunigt, warum soll nicht das Völkerrecht künftiger Zeitalter dahin


Grenzboten I. 1871. 114

gegründet; und abgesehen von einem lose geknüpften förderativen Bande wur¬
den sie durch nichts zusammengehalten, als durch gemeinsame Schulden, durch
die Erinnerung schwerer Leiden und ihrer glorreichen Kämpfe und durch
einige hervorragende Staatsmänner.

Die letzteren glaubten, die junge Republik, die aus dem Krieg nichts
gerettet hatte, als das Dasein, die Freiheit und die Ehre, nicht besser kräfti¬
gen und in die Gemeinschaft der Staaten einführen zu können, als daß sie
die Hände ausstreckten nach Handels- und Freundschaftsbündnissen, welche vor
Allem die völkerrechtliche Anerkennung des Grundsatzes der Freiheit der
Meere in das Auge faßten. In Folge dessen beauftragte der Congreß durch
Beschluß vom 7. Mai 1784 drei zu diesem Zwecke ernannte Commissäre, die
Gesandten Adams, Franklin und Jefferson, mit den europäischen Staaten
Verträge in diesem Sinne abzuschließen. Die Instruction, welche der Con¬
greß seinen Gesandten gab, steht in directen Widerspruch mit der bisherigen
Handelspolitik der Seemächte England, Frankreich und Spanien. Sie be¬
kämpft das System der Handelsmonopole und stellt zuerst das Princip des
„Rechtes der meistbegünstigten Nationen" auf, das erst achtzig Jahre später
in den westeuropäischen Handelsverträgen zur vollen internationalen Aner¬
kennung gelangen sollte. Daneben verlangt sie freilich auch unmögliche
Dinge, wie z. B., daß die ausschließlich als „productiv" betrachteten Gesell¬
schaftsclassen, nämlich Handwerker, Bauern und Kaufleute von den Kriegser¬
eignissen überhaupt gar nicht berührt werden sollen u. dergl. in. Man kann
sich über die damals bei den Häuptern der amerikanischen Politik herrschende
Weltanschauung nicht besser unterrichten, als durch Kenntnißnahme einer
Denkschrift, welche Benjamin Franklin während der Unterhandlungen zwischen
Preußen und den Vereinigten Staaten ausarbeitete. Sie vereinigt den idea¬
listischen Standpunkt der französischen Enkyklopädisten mit der praktischen
Wahrung der realistischen Interessen der jungen transatlantischen Republik
in sehr charakteristischer Weise und lautet in ihren maßgebenden Stellen wie
folgt:

„Nach dem ursprünglichen Völkerrechte waren Krieg und Ausrottung die
Strafen für ein Unrecht. Es wurde aber allmälig immer menschlicher und
setzte die Sclaverei an die Stelle des Todes; es machte einen Schritt
weiter und tauschte die Gefangenen aus, statt sie zu Sclaven zu machen;
es ging noch weiter und erkannte in den eroberten Ländern das Privat¬
eigenthum an, indem es sich mit der politischen Herrschaft begnügte.
Warum sollte nun dieses Völkerrecht nicht fernerer Verbesserungen fähig sein?
Ganze Jahrhunderte hat es für jeden seiner Fortschritte gebraucht; da aber
in neuerer Zeit die Erkenntniß mächtig wächst, warum sollen die Fortschritte
nicht beschleunigt, warum soll nicht das Völkerrecht künftiger Zeitalter dahin


Grenzboten I. 1871. 114
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[0385] gegründet; und abgesehen von einem lose geknüpften förderativen Bande wur¬ den sie durch nichts zusammengehalten, als durch gemeinsame Schulden, durch die Erinnerung schwerer Leiden und ihrer glorreichen Kämpfe und durch einige hervorragende Staatsmänner. Die letzteren glaubten, die junge Republik, die aus dem Krieg nichts gerettet hatte, als das Dasein, die Freiheit und die Ehre, nicht besser kräfti¬ gen und in die Gemeinschaft der Staaten einführen zu können, als daß sie die Hände ausstreckten nach Handels- und Freundschaftsbündnissen, welche vor Allem die völkerrechtliche Anerkennung des Grundsatzes der Freiheit der Meere in das Auge faßten. In Folge dessen beauftragte der Congreß durch Beschluß vom 7. Mai 1784 drei zu diesem Zwecke ernannte Commissäre, die Gesandten Adams, Franklin und Jefferson, mit den europäischen Staaten Verträge in diesem Sinne abzuschließen. Die Instruction, welche der Con¬ greß seinen Gesandten gab, steht in directen Widerspruch mit der bisherigen Handelspolitik der Seemächte England, Frankreich und Spanien. Sie be¬ kämpft das System der Handelsmonopole und stellt zuerst das Princip des „Rechtes der meistbegünstigten Nationen" auf, das erst achtzig Jahre später in den westeuropäischen Handelsverträgen zur vollen internationalen Aner¬ kennung gelangen sollte. Daneben verlangt sie freilich auch unmögliche Dinge, wie z. B., daß die ausschließlich als „productiv" betrachteten Gesell¬ schaftsclassen, nämlich Handwerker, Bauern und Kaufleute von den Kriegser¬ eignissen überhaupt gar nicht berührt werden sollen u. dergl. in. Man kann sich über die damals bei den Häuptern der amerikanischen Politik herrschende Weltanschauung nicht besser unterrichten, als durch Kenntnißnahme einer Denkschrift, welche Benjamin Franklin während der Unterhandlungen zwischen Preußen und den Vereinigten Staaten ausarbeitete. Sie vereinigt den idea¬ listischen Standpunkt der französischen Enkyklopädisten mit der praktischen Wahrung der realistischen Interessen der jungen transatlantischen Republik in sehr charakteristischer Weise und lautet in ihren maßgebenden Stellen wie folgt: „Nach dem ursprünglichen Völkerrechte waren Krieg und Ausrottung die Strafen für ein Unrecht. Es wurde aber allmälig immer menschlicher und setzte die Sclaverei an die Stelle des Todes; es machte einen Schritt weiter und tauschte die Gefangenen aus, statt sie zu Sclaven zu machen; es ging noch weiter und erkannte in den eroberten Ländern das Privat¬ eigenthum an, indem es sich mit der politischen Herrschaft begnügte. Warum sollte nun dieses Völkerrecht nicht fernerer Verbesserungen fähig sein? Ganze Jahrhunderte hat es für jeden seiner Fortschritte gebraucht; da aber in neuerer Zeit die Erkenntniß mächtig wächst, warum sollen die Fortschritte nicht beschleunigt, warum soll nicht das Völkerrecht künftiger Zeitalter dahin Grenzboten I. 1871. 114

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/385>, abgerufen am 29.09.2024.