Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.vorher entgangen war, und kaum ist der Eindruck der Freude und des Be¬ Hierauf reiste ich nach Cortona weiter, wovon mein nächster Brief erzählen vorher entgangen war, und kaum ist der Eindruck der Freude und des Be¬ Hierauf reiste ich nach Cortona weiter, wovon mein nächster Brief erzählen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0376" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126158"/> <p xml:id="ID_1172" prev="#ID_1171"> vorher entgangen war, und kaum ist der Eindruck der Freude und des Be¬<lb/> hagens zu schildern, den mir die dortigen Fresken des Piero della Francesca<lb/> machten. Es war das Gefühl eines Durstigen, der einen kräftigen Trunk<lb/> des edelsten Weines thut. Man spricht oft von Augenweide: in Wahrheit,<lb/> hungeriges Wild kann nicht behaglicher aus einer saftigen Kräuterwiese gra¬<lb/> sen, als mein Auge an diesen gewaltigen Motiven, in diesem sprühenden<lb/> Leben sich sattsah. Auf eine Beschreibung der Details will ich nicht eingehen,<lb/> da diejenige in der Geschichte italienischer Malerei von Crowe und Cavalcaselle<lb/> nichts zu wünschen übrig läßt. Nur möchte ich bemerken, wenn bei irgend<lb/> einem Maler, so ist bei Piero della Francesca Donatellos umwälzender Ein¬<lb/> fluß auf alle Gebiete der bildenden Kunst im Is. Jahrhundert recht deutlich sichtbar.</p><lb/> <p xml:id="ID_1173"> Hierauf reiste ich nach Cortona weiter, wovon mein nächster Brief erzählen<lb/> soll. Ueber die Geschichte und Zustände Arezzo's sei nur so viel bemerkt.<lb/> Arezzo war eine der 12 etrurischen Städte, und unterwarf sich den Römern<lb/> zuletzt. Wenn es während der Marserkriege für seine gute Haltung mit dem<lb/> römischen Bürgerrechte beschenkt wurde, so nahm es dagegen wieder Theil an<lb/> der catilinarischen Verschwörung, die in den Bergen zwischen Pistoja und<lb/> Fiesole ein tragisches Ende nahm. Während des Mittelalters von den Kaisern<lb/> öfter mit Privilegien bedacht, war es stets ghibellinisch gesinnt und erlitt in<lb/> der Schlacht bei Campoldino gegen Florenz eine schwere Niederlage, in Folge<lb/> deren es seine Mauern einbüßte. 1384 verlor es auch seine Freiheit an Flo¬<lb/> renz, und schloß sich, vielleicht aus altem Groll darüber, sofort mit großer<lb/> Treue an die Medici an. Dieselbe Anhänglichkeit bezeigte die Stadt Ende<lb/> des vorigen Jahrhunderts der lothringischen Dynastie, vertrieb zu deren Gun¬<lb/> sten Dombrowski mit seiner polnischen Legion, verübte mehrere glänzende<lb/> Waffenthaten gegen die Franzosen, von denen sie auch Siena befreite, und<lb/> erlag erst einer neuen Abtheilung französischer Truppen, von denen sie darauf<lb/> geplündert wurde. Arezzo war im Alterthum berühmt durch seine zierlichen<lb/> Vasen von rother Erde; gegenwärtig gedeiht dort am meisten die Tuchfabri¬<lb/> kation. Die reine, freie Bergluft, die dort herrscht, mag die Intelligenz der<lb/> Bewohner fördern; Thatsache ist, daß wohl selten eine Stadt so viele Männer<lb/> von Genie hervorgebracht hat, als Arezzo. Ich nenne bloß Guido Monaco,<lb/> Restaurateur der Musik, Petrarca, Andrea Cesalpino, Entdecker des Blut¬<lb/> umlaufs, Leonardo Bruni, Carlo Marzuppini, Spinello, Nicolo ti Piero,<lb/> Pietro Aretino, Vasari und in diesem Jahrhundert Pietro Benvenuti. Va-<lb/> sari's Haus, das. mit Fresken reich geschmückt, höchst sehenswerth sein muß,<lb/> befindet sich im Borgo S. Vito, Ur. 953; doch habe ich es leider zu sehen<lb/> versäumt. Man kann ja nicht Alles sehen. Also das nächste Mal über<lb/> Cortona.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0376]
vorher entgangen war, und kaum ist der Eindruck der Freude und des Be¬
hagens zu schildern, den mir die dortigen Fresken des Piero della Francesca
machten. Es war das Gefühl eines Durstigen, der einen kräftigen Trunk
des edelsten Weines thut. Man spricht oft von Augenweide: in Wahrheit,
hungeriges Wild kann nicht behaglicher aus einer saftigen Kräuterwiese gra¬
sen, als mein Auge an diesen gewaltigen Motiven, in diesem sprühenden
Leben sich sattsah. Auf eine Beschreibung der Details will ich nicht eingehen,
da diejenige in der Geschichte italienischer Malerei von Crowe und Cavalcaselle
nichts zu wünschen übrig läßt. Nur möchte ich bemerken, wenn bei irgend
einem Maler, so ist bei Piero della Francesca Donatellos umwälzender Ein¬
fluß auf alle Gebiete der bildenden Kunst im Is. Jahrhundert recht deutlich sichtbar.
Hierauf reiste ich nach Cortona weiter, wovon mein nächster Brief erzählen
soll. Ueber die Geschichte und Zustände Arezzo's sei nur so viel bemerkt.
Arezzo war eine der 12 etrurischen Städte, und unterwarf sich den Römern
zuletzt. Wenn es während der Marserkriege für seine gute Haltung mit dem
römischen Bürgerrechte beschenkt wurde, so nahm es dagegen wieder Theil an
der catilinarischen Verschwörung, die in den Bergen zwischen Pistoja und
Fiesole ein tragisches Ende nahm. Während des Mittelalters von den Kaisern
öfter mit Privilegien bedacht, war es stets ghibellinisch gesinnt und erlitt in
der Schlacht bei Campoldino gegen Florenz eine schwere Niederlage, in Folge
deren es seine Mauern einbüßte. 1384 verlor es auch seine Freiheit an Flo¬
renz, und schloß sich, vielleicht aus altem Groll darüber, sofort mit großer
Treue an die Medici an. Dieselbe Anhänglichkeit bezeigte die Stadt Ende
des vorigen Jahrhunderts der lothringischen Dynastie, vertrieb zu deren Gun¬
sten Dombrowski mit seiner polnischen Legion, verübte mehrere glänzende
Waffenthaten gegen die Franzosen, von denen sie auch Siena befreite, und
erlag erst einer neuen Abtheilung französischer Truppen, von denen sie darauf
geplündert wurde. Arezzo war im Alterthum berühmt durch seine zierlichen
Vasen von rother Erde; gegenwärtig gedeiht dort am meisten die Tuchfabri¬
kation. Die reine, freie Bergluft, die dort herrscht, mag die Intelligenz der
Bewohner fördern; Thatsache ist, daß wohl selten eine Stadt so viele Männer
von Genie hervorgebracht hat, als Arezzo. Ich nenne bloß Guido Monaco,
Restaurateur der Musik, Petrarca, Andrea Cesalpino, Entdecker des Blut¬
umlaufs, Leonardo Bruni, Carlo Marzuppini, Spinello, Nicolo ti Piero,
Pietro Aretino, Vasari und in diesem Jahrhundert Pietro Benvenuti. Va-
sari's Haus, das. mit Fresken reich geschmückt, höchst sehenswerth sein muß,
befindet sich im Borgo S. Vito, Ur. 953; doch habe ich es leider zu sehen
versäumt. Man kann ja nicht Alles sehen. Also das nächste Mal über
Cortona.
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