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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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dreischiffig. Auch hier fehlt das Querschiff; die Seitenschiffe endigen in flachen
Capellen, die sich ungefähr in gleicher Tiefe links und rechts von der Poly¬
gonen Chorapsis befinden. Der Eindruck, den der Eintretende empfängt, ist
ungemein großartig und harmonisch. Diese Kathedrale ist eine der schönsten
gothischen Kirchen Italiens. Die einheitliche Wirkung wird allerdings be¬
einträchtigt durch die an den Seitenwänden später eingebauten Capellen.

Der Marmoraltar, das Meisterwerk des Giovanni Pisano vom Jahre
1286, ist höchst originell in der Anlage; man möchte sagen, das Motiv dazu
sei aus Basiliken, wie S. Lorenzo fuori le aura bei Rom entnommen, wo
die Chortribüne, auf den Säulen der Krypta ruhend, ihrerseits über denselben
den Altar trägt. Der Altar des Giovanni Pisano besteht zunächst aus einem
reichsculpirten Altarblatt, das durch figurengeschmückte Lisenen in sechs Com-
partimente getheilt wird, die abwechselnd von Figürchen und Spitzgiebeln ge¬
krönt sind. Im mittleren Feld befindet sich, entzückend durch die Schönheit
und Zartheit des Gefühls, , das Relief der Madonna mit dem Kinde, das
sich schlummernd an ihre Schulter schmiegt. Ihre Hand trug einst einen
goldnen Ring und wurde deshalb leider von den Franzosen, bei der Plün¬
derung der Stadt im Jahre 1800 abgeschlagen. Leute, die nicht zu den
"Barbaren" gehören, dürfen dergleichen schon thun. Ebenso sind die übrigen
Felder mit Figuren von Heiligen!c. gefüllt. Während diese vordere Fassade
des Altars auf einem Altartisch ruht, so werden die reich mit Reliefdarstel¬
lungen geschmückten Seiten- und Rückwände derselben von mehreren Reihen
kleiner Säulchen getragen. Die Sculpturen sind von Rahmen mit geometri¬
schen und vegetabilischen Ornamenten aus blauem, gelbem, rothem und
schwarzem Email eingefaßt und sind reich an Bewegung und Gefühl, wenn
auch die Grimassen nicht fehlen. Bor diesen Darstellungen aus der Leidens¬
geschichte des heiligen Donatus erkennt man erst ganz, welch tiefgehenden
Einfluß Giovanni Pisano auf Giotto wie Orcagna ausübte. Giovanni selbst
aber knüpfte seinerseits theils an die antik-italische, theils an die lombardische,
theils selbst die gothisch-deutsche Richtung der vorhergegangenen Sculptur an;
jeden byzantinischen Einfluß aber wies er entschieden von sich ab, und da¬
durch half er auch den Malern wieder auf, bei denen sich, zumal in Toskana,
die byzantinische Marotte eingeschlichen hatte.

In Betreff des Grabes des kriegerischen Bischofs Guido Tarlati, das
von den Sieneser Bildhauern Giovanni und Agostino im Jahre 1327 her¬
gestellt wurde, genügt es, auf Burckhardt's Cicerone zu verweisen und zu
bemerken, daß das leidenschaftliche Haareraufen der Frauen um den Tod des
Bischofs in einem der Reliefs, von Anfang an so häusig bei toskanischen
Künstlern wiederkehrt, daß ich fast geneigt bin, es für ein direct aus der
Antike durch die Tradition in Toskana erhaltenes Motiv anzusehen.


dreischiffig. Auch hier fehlt das Querschiff; die Seitenschiffe endigen in flachen
Capellen, die sich ungefähr in gleicher Tiefe links und rechts von der Poly¬
gonen Chorapsis befinden. Der Eindruck, den der Eintretende empfängt, ist
ungemein großartig und harmonisch. Diese Kathedrale ist eine der schönsten
gothischen Kirchen Italiens. Die einheitliche Wirkung wird allerdings be¬
einträchtigt durch die an den Seitenwänden später eingebauten Capellen.

Der Marmoraltar, das Meisterwerk des Giovanni Pisano vom Jahre
1286, ist höchst originell in der Anlage; man möchte sagen, das Motiv dazu
sei aus Basiliken, wie S. Lorenzo fuori le aura bei Rom entnommen, wo
die Chortribüne, auf den Säulen der Krypta ruhend, ihrerseits über denselben
den Altar trägt. Der Altar des Giovanni Pisano besteht zunächst aus einem
reichsculpirten Altarblatt, das durch figurengeschmückte Lisenen in sechs Com-
partimente getheilt wird, die abwechselnd von Figürchen und Spitzgiebeln ge¬
krönt sind. Im mittleren Feld befindet sich, entzückend durch die Schönheit
und Zartheit des Gefühls, , das Relief der Madonna mit dem Kinde, das
sich schlummernd an ihre Schulter schmiegt. Ihre Hand trug einst einen
goldnen Ring und wurde deshalb leider von den Franzosen, bei der Plün¬
derung der Stadt im Jahre 1800 abgeschlagen. Leute, die nicht zu den
„Barbaren" gehören, dürfen dergleichen schon thun. Ebenso sind die übrigen
Felder mit Figuren von Heiligen!c. gefüllt. Während diese vordere Fassade
des Altars auf einem Altartisch ruht, so werden die reich mit Reliefdarstel¬
lungen geschmückten Seiten- und Rückwände derselben von mehreren Reihen
kleiner Säulchen getragen. Die Sculpturen sind von Rahmen mit geometri¬
schen und vegetabilischen Ornamenten aus blauem, gelbem, rothem und
schwarzem Email eingefaßt und sind reich an Bewegung und Gefühl, wenn
auch die Grimassen nicht fehlen. Bor diesen Darstellungen aus der Leidens¬
geschichte des heiligen Donatus erkennt man erst ganz, welch tiefgehenden
Einfluß Giovanni Pisano auf Giotto wie Orcagna ausübte. Giovanni selbst
aber knüpfte seinerseits theils an die antik-italische, theils an die lombardische,
theils selbst die gothisch-deutsche Richtung der vorhergegangenen Sculptur an;
jeden byzantinischen Einfluß aber wies er entschieden von sich ab, und da¬
durch half er auch den Malern wieder auf, bei denen sich, zumal in Toskana,
die byzantinische Marotte eingeschlichen hatte.

In Betreff des Grabes des kriegerischen Bischofs Guido Tarlati, das
von den Sieneser Bildhauern Giovanni und Agostino im Jahre 1327 her¬
gestellt wurde, genügt es, auf Burckhardt's Cicerone zu verweisen und zu
bemerken, daß das leidenschaftliche Haareraufen der Frauen um den Tod des
Bischofs in einem der Reliefs, von Anfang an so häusig bei toskanischen
Künstlern wiederkehrt, daß ich fast geneigt bin, es für ein direct aus der
Antike durch die Tradition in Toskana erhaltenes Motiv anzusehen.


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[0373] dreischiffig. Auch hier fehlt das Querschiff; die Seitenschiffe endigen in flachen Capellen, die sich ungefähr in gleicher Tiefe links und rechts von der Poly¬ gonen Chorapsis befinden. Der Eindruck, den der Eintretende empfängt, ist ungemein großartig und harmonisch. Diese Kathedrale ist eine der schönsten gothischen Kirchen Italiens. Die einheitliche Wirkung wird allerdings be¬ einträchtigt durch die an den Seitenwänden später eingebauten Capellen. Der Marmoraltar, das Meisterwerk des Giovanni Pisano vom Jahre 1286, ist höchst originell in der Anlage; man möchte sagen, das Motiv dazu sei aus Basiliken, wie S. Lorenzo fuori le aura bei Rom entnommen, wo die Chortribüne, auf den Säulen der Krypta ruhend, ihrerseits über denselben den Altar trägt. Der Altar des Giovanni Pisano besteht zunächst aus einem reichsculpirten Altarblatt, das durch figurengeschmückte Lisenen in sechs Com- partimente getheilt wird, die abwechselnd von Figürchen und Spitzgiebeln ge¬ krönt sind. Im mittleren Feld befindet sich, entzückend durch die Schönheit und Zartheit des Gefühls, , das Relief der Madonna mit dem Kinde, das sich schlummernd an ihre Schulter schmiegt. Ihre Hand trug einst einen goldnen Ring und wurde deshalb leider von den Franzosen, bei der Plün¬ derung der Stadt im Jahre 1800 abgeschlagen. Leute, die nicht zu den „Barbaren" gehören, dürfen dergleichen schon thun. Ebenso sind die übrigen Felder mit Figuren von Heiligen!c. gefüllt. Während diese vordere Fassade des Altars auf einem Altartisch ruht, so werden die reich mit Reliefdarstel¬ lungen geschmückten Seiten- und Rückwände derselben von mehreren Reihen kleiner Säulchen getragen. Die Sculpturen sind von Rahmen mit geometri¬ schen und vegetabilischen Ornamenten aus blauem, gelbem, rothem und schwarzem Email eingefaßt und sind reich an Bewegung und Gefühl, wenn auch die Grimassen nicht fehlen. Bor diesen Darstellungen aus der Leidens¬ geschichte des heiligen Donatus erkennt man erst ganz, welch tiefgehenden Einfluß Giovanni Pisano auf Giotto wie Orcagna ausübte. Giovanni selbst aber knüpfte seinerseits theils an die antik-italische, theils an die lombardische, theils selbst die gothisch-deutsche Richtung der vorhergegangenen Sculptur an; jeden byzantinischen Einfluß aber wies er entschieden von sich ab, und da¬ durch half er auch den Malern wieder auf, bei denen sich, zumal in Toskana, die byzantinische Marotte eingeschlichen hatte. In Betreff des Grabes des kriegerischen Bischofs Guido Tarlati, das von den Sieneser Bildhauern Giovanni und Agostino im Jahre 1327 her¬ gestellt wurde, genügt es, auf Burckhardt's Cicerone zu verweisen und zu bemerken, daß das leidenschaftliche Haareraufen der Frauen um den Tod des Bischofs in einem der Reliefs, von Anfang an so häusig bei toskanischen Künstlern wiederkehrt, daß ich fast geneigt bin, es für ein direct aus der Antike durch die Tradition in Toskana erhaltenes Motiv anzusehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/373>, abgerufen am 29.09.2024.