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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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erlangten Befreiung. So kamen eine Menge Leute auf die Werften und
hätten wir statt ein paar Wochen etliche Jahre zur Vorbereitung gehabt, so
würden wir vermuthlich recht gut gefahren sein.

Es war an einem Montag, wo die Kriegserklärung übergeben wurde,
und in wenigen Stunden hatten wir unsern ersten Vorschmack von der Art
der Vorbereitungen, welche der Feind für das Ereigniß getroffen hatte, das
er eigentlich hervorgerufen, obwohl die Erklärung allerdings von uns aus¬
gegangen war. Eine fromme Berufung auf den Gott der Schlachten, den
wir geweckt haben sollten, wurde zurück telegraphirt, und von diesem Augen¬
blick an war jede Verbindung mit dem Norden Europa's abgeschnitten. Un¬
sere Gesandtschaften und Legationen mußten auf der Stelle einpacken, und es
war, als ob wir plötzlich wieder in's Mittelalter versetzt wären. Das stumme
Staunen, welches am nächsten Morgen in ganz London sichtbar war, als
die Zeitungen leer an Nachrichten herauskamen und nur andeuteten, was ge¬
schehen war, war eins der auffallendsten Dinge in diesem Kriege voll Über¬
raschungen. Aber alles war im Voraus arrangirt, und wir brauchten nicht
überrascht zu sein; denn wir hatten dieselbe Macht erst wenige Monate zuvor
im Verlauf weniger Tage eine halbe Million Kriegsleute in Bewegung setzen
sehen, um die größte Militärmacht Europa's zu besiegen, und zwar mit nicht
mehr Lärm, als unser Kriegsministerium zu machen pflegte, wenn es der
Verschickung einer Brigade von Aldershot nach Brighton galt. Was sich jetzt
begab, war durchaus nicht wunderbarer, aber bei uns konnte man sich nicht
zu dem Glauben bringen, daß etwas, das England vorher nicht passirt.
jemals passiren könnte. Wie unsere Nachbaren wurden wir klug, als es zu
spät war.

Natürlich währte es nicht lange, und die Blätter bekamen Nachrichten.
Selbst die mächtige Organisation, die zu arbeiten begonnen, konnte Special-
correspondenten nicht ganz ausschließen, und in wenigen Tagen kamen, ob¬
wohl die Telegraphen und Eisenbahnen gehemmt waren, die Hauptthatsachen
an's Licht. Auf alle Schiffe in jedem Hafen von der Ostsee bis nach Ostende
war Beschlag gelegt. Die Flotten der beiden großen Mächte (Deutschland
und Rußland, die der Verfasser sich verbündet denkt) waren in See gestochen
und waren, wie man vermuthete, auf der großen nördlichen Rhede vereinigt,
und Truppen wurden eilig an Bord der Dampfer gebracht, die in jenen
Häfen zurückgehalten worden, und von denen die meisten britische Fahrzeuge
waren. Es war klar, daß eine Invasion beabsichtigt wurde. Selbst da noch
hätten wir uns retten können, wenn die Flotte bereit gewesen wäre. Die
Forts, welche die feindliche Flotte bewachten, waren vielleicht für einen An¬
griff mit Schiffen zu stark; aber ein paar Panzerschiffe, gehandhabt, wie bri¬
tische Seeleute sie zu gebrauchen wissen, hätte wohl einen Theil der Transport-


erlangten Befreiung. So kamen eine Menge Leute auf die Werften und
hätten wir statt ein paar Wochen etliche Jahre zur Vorbereitung gehabt, so
würden wir vermuthlich recht gut gefahren sein.

Es war an einem Montag, wo die Kriegserklärung übergeben wurde,
und in wenigen Stunden hatten wir unsern ersten Vorschmack von der Art
der Vorbereitungen, welche der Feind für das Ereigniß getroffen hatte, das
er eigentlich hervorgerufen, obwohl die Erklärung allerdings von uns aus¬
gegangen war. Eine fromme Berufung auf den Gott der Schlachten, den
wir geweckt haben sollten, wurde zurück telegraphirt, und von diesem Augen¬
blick an war jede Verbindung mit dem Norden Europa's abgeschnitten. Un¬
sere Gesandtschaften und Legationen mußten auf der Stelle einpacken, und es
war, als ob wir plötzlich wieder in's Mittelalter versetzt wären. Das stumme
Staunen, welches am nächsten Morgen in ganz London sichtbar war, als
die Zeitungen leer an Nachrichten herauskamen und nur andeuteten, was ge¬
schehen war, war eins der auffallendsten Dinge in diesem Kriege voll Über¬
raschungen. Aber alles war im Voraus arrangirt, und wir brauchten nicht
überrascht zu sein; denn wir hatten dieselbe Macht erst wenige Monate zuvor
im Verlauf weniger Tage eine halbe Million Kriegsleute in Bewegung setzen
sehen, um die größte Militärmacht Europa's zu besiegen, und zwar mit nicht
mehr Lärm, als unser Kriegsministerium zu machen pflegte, wenn es der
Verschickung einer Brigade von Aldershot nach Brighton galt. Was sich jetzt
begab, war durchaus nicht wunderbarer, aber bei uns konnte man sich nicht
zu dem Glauben bringen, daß etwas, das England vorher nicht passirt.
jemals passiren könnte. Wie unsere Nachbaren wurden wir klug, als es zu
spät war.

Natürlich währte es nicht lange, und die Blätter bekamen Nachrichten.
Selbst die mächtige Organisation, die zu arbeiten begonnen, konnte Special-
correspondenten nicht ganz ausschließen, und in wenigen Tagen kamen, ob¬
wohl die Telegraphen und Eisenbahnen gehemmt waren, die Hauptthatsachen
an's Licht. Auf alle Schiffe in jedem Hafen von der Ostsee bis nach Ostende
war Beschlag gelegt. Die Flotten der beiden großen Mächte (Deutschland
und Rußland, die der Verfasser sich verbündet denkt) waren in See gestochen
und waren, wie man vermuthete, auf der großen nördlichen Rhede vereinigt,
und Truppen wurden eilig an Bord der Dampfer gebracht, die in jenen
Häfen zurückgehalten worden, und von denen die meisten britische Fahrzeuge
waren. Es war klar, daß eine Invasion beabsichtigt wurde. Selbst da noch
hätten wir uns retten können, wenn die Flotte bereit gewesen wäre. Die
Forts, welche die feindliche Flotte bewachten, waren vielleicht für einen An¬
griff mit Schiffen zu stark; aber ein paar Panzerschiffe, gehandhabt, wie bri¬
tische Seeleute sie zu gebrauchen wissen, hätte wohl einen Theil der Transport-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/360>, abgerufen am 29.09.2024.